Europa hat mit den spektakulären Maßnahmen der EZB in der letzten Woche Schlagzeilen gemacht. Die Stimmung der Menschen hat sich dadurch aber nicht gebessert. Zum Teil haben sie Angst vor dem, was mit dem vielen Geld jetzt alles passieren könnte. Zum Teil fühlen sich viele nach wie vor als Kellerkinder der Weltwirtschaft. Wird das so bleiben?
Im Augenblick sieht es so aus. Manchmal hat man in der Tat den Eindruck, als habe sich die Welt gegen Europa verschworen. Auf einmal scheint alles schief zu gehen. In der letzten Woche hat der Internationale Währungsfonds seine neue Prognose über die Entwicklung der Weltwirtschaft vorgelegt. Danach wachsen die Vereinigten Staaten in diesem Jahr mit 3,6 Prozent fast drei Mal so schnell wie Deutschland (1,3 Prozent) oder der Euroraum (1,2 Prozent). Im Konjunkturzyklus hinken die Europäer weit hinter den USA her (siehe Grafik).
Nachzügler im Zyklus: Position im Auf und Ab der Konjunktur [Quelle: Morgan Stanley]
Die sinkenden Ölpreise erhöhen zwar die Kaufkraft. Sie machen die Position der Europäer in der Welt aber noch schlechter. Die Amerikaner, die mehr Auto fahren und nicht so sparsam mit Energie umgehen, profitieren vom Ölpreisverfall fast doppelt so stark wie die Europäer.
In der Währungsunion ist der kurze "Honeymoon" der letzten zwei Jahre vorbei. In Griechenland wird nach den Wahlen neu über Reformen und Schulden verhandelt. In Italien und Frankreich kommt die Konsolidierung nicht voran. In Spanien stehen Wahlen an. Überall gibt es wachsende europakritische Bewegungen.
Die geopolitischen Probleme im Nahen Osten und in der Ukraine belasten die Europäer wegen der geografischen Nähe mehr als andere.
Die meisten sagen, dass Europa nur aus dem Tal kommt, wenn es seine Volkswirtschaften neu aufstellt und die Wettbewerbsfähigkeit erhöht. Da sie berechtigte Zweifel hegen, dass das geschieht und da das vor allem lang dauern wird, bleiben sie pessimistisch. Ich teile diese Meinung. Natürlich führt für eine dauerhafte Stärkung Europas nichts an Reformen vorbei.
Trotzdem möchte ich etwas Wasser in den Wein des Pessimismus gießen. Es gibt nämlich auch noch etwas anderes, was oft übersehen wird. Wenn es wie derzeit in Europa, Ungleichgewichte gibt, dann löst das ökonomische Anpassungen aus. Sie verändern die Konstellation in der Welt. Das werden wir auch jetzt wieder erleben.
Derzeit sind zwei solcher Anpassungsprozesse im Gange. Der Eine: Die Amerikaner bereiten sich vor, die Zinsen zu erhöhen, um eine Überhitzung der Wirtschaft zu verhindern. Die Europäer tun genau das Gegenteil. Der Andere (und nicht ganz unabhängig davon): Der Euro schwächt sich ab, der US-Dollar wird fester. Wenn es im Tempo der letzten zwölf Monate so weitergeht, dann wäre der Euro Ende 2015 deutlich unter der Parität.
Als Folge verringert sich in den USA das Wachstum, in Europa erhöht es sich. Amerika wird am Ende des Jahres schlechter dastehen als jetzt vermutet, Europa besser. Das löst zwar nicht die großen strukturellen Probleme. Es ist aber eine Erleichterung. Die Aktienmärkte scheinen dies vorwegzunehmen. Seit Jahresbeginn ist der DAX um sieben Prozent gestiegen, der amerikanische Dow um zwei Prozent gefallen.
Freilich sollten wir uns nicht zu früh freuen. Erkauft wird es nämlich durch einige unangenehme Nebenwirkungen. Jeder tut gut daran, sich darauf einzustellen.
Das größte Risiko ist, dass die Schwellen- und Entwicklungsländer durch die Zinserhöhung in den USA und die Aufwertung des Dollars in Probleme geraten. Es könnte zu einer neuen Asien- oder Lateinamerikakrise kommen. Das würde nicht nur die Europäer, sondern die ganze Welt in Turbulenzen stürzen.
Denkbar ist auch, dass die Verwerfungen bei den Wechselkursen zu politischen Schwierigkeiten führen. Die USA haben die Aufwertung durch den Japanischen Yen erstaunlich gelassen hingenommen. Ich würde mich aber nicht wundern, wenn sie bei einer erneuten Aufwertung, diesmal gegenüber dem Euro, sagen: Jetzt reicht's. Ein Währungskrieg wäre so ziemlich das Letzte, was die Europäer und auch die Welt jetzt brauchen können.
Schließlich ist möglich, dass größere Währungsverschiebungen zu Marktinstabilitäten führen. Wir haben bei der Freigabe des Frankenkurses gesehen, was alles passieren kann. Ich hätte mir im Traum nicht vorstellen können, wie viele Institutionen in Schweizer Franken spekulierten, die dann in Schwierigkeiten kamen. Es war ein bisschen wie bei der Pleite von Lehman Brothers 2008, als auch niemand ahnte, dass so viele Menschen in der Welt Lehman-Zertifikate besaßen.
Autor:
Dr. Martin W. Hüfner, Chief Economist, Assenagon Asset Management S.A.