Durchschnittlicher Schaden rund 4,3 Mio. Euro

Drastischer Anstieg der Wirtschaftskriminalität


Laut der Studie "Wirtschaftskriminalität 2009 - Zur Sicherheitslage in deutschen Großunternehmen" der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC) und der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sind die direkten finanziellen Schäden durch Wirtschaftskriminalität in den vergangenen zwei Jahren drastisch gestiegen. Demnach verursachte jedes aufgedeckte Delikt einen durchschnittlichen Schaden von knapp 4,3 Mio. Euro, während der Vergleichswert im Zeitraum von 2005 bis 2007 erst bei knapp 1,6 Mio. Euro lag. Die zusätzlichen Aufwendungen für das Schadensmanagement (beispielsweise die Anwaltskosten) blieben mit rund 830.000 Euro je Delikt dagegen weitestgehend konstant.

Für die Studie wurden im Frühjahr 2009 zunächst 500 deutsche Großunternehmen befragt. Im August folgten 100 Interviews zu den erwarteten Folgen der Wirtschaftskrise. Die Erhebung umfasst alle entdeckten Straftaten der Jahre 2007 und 2008 und ist damit umfassender als die Kriminalstatistik, in der nur die zur Anzeige gebrachten Delikte berücksichtigt werden. Um Verzerrungen durch Einzelfälle zu vermeiden, wurden nur Delikte bis zu einer Schadenshöhe von 250 Mio. Euro in die Analyse einbezogen.

Hohe indirekte Schäden

"Die direkten Kriminalitätskosten sind oft nur die Spitze des Eisbergs. Vor allem bei Korruption, Datendiebstahl oder auch Preisabsprachen wiegt der Schaden für den Ruf des betroffenen Unternehmens mittlerweile schwerer als der messbare finanzielle Verlust", betont Steffen Salvenmoser, ehemaliger Staatsanwalt und Partner bei PwC, die Bedeutung der indirekten Konsequenzen wirtschaftskrimineller Handlungen.

So haben im betrachteten Zeitraum von 2007 bis 2009 rund 44 Prozent der Unternehmen einen erheblichen Reputationsverlust in Folge einer aufgedeckten Straftat erlitten. In der Vorläuferstudie von 2007 war dies nur bei 27 Prozent der Befragten der Fall. Als gravierende indirekte Schäden nannten die Unternehmen zudem die Beeinträchtigung der Beziehungen zu Geschäftspartnern (45 Prozent) und Behörden (31 Prozent) sowie einen Rückgang der Arbeitsmoral bei den Beschäftigten (36 Prozent). Gut jedes fünfte börsennotierte Unternehmen verzeichnete einen Rückgang des Aktienkurses als Kriminalitätsfolge – in der Studie von 2007 hatte nur jeder zwölfte Befragte diesen Aspekt genannt.

Wirtschaftskrise verstärkt das Problem

Für die kommenden Jahre erwarten die Unternehmen – auch angesichts der Wirtschaftskrise – einen weiteren Anstieg der Wirtschaftskriminalität. Gut 40 Prozent der Befragten rechnen in ihrer Branche verstärkt mit Wettbewerbsdelikten wie Industriespionage oder Kartellabsprachen, knapp jedes dritte Unternehmen prognostiziert mehr Straftaten aufgrund der zunehmenden Arbeitsplatzsorgen der Beschäftigten. Vor diesem Hintergrund zeigen sich die Studienautoren überrascht, dass die befragten Unternehmen ihre Investitionen in Präventions- und Kontrollmaßnahmen kaum erhöhen wollen. Jede fünfte Firma will das Budget in den kommenden zwei Jahren sogar kürzen. "Anders als beispielsweise in den Vereinigten Staaten wird das Thema ‚Compliance‘ von vielen deutschen Unternehmen offenbar noch immer nicht ernst genommen", so die Kritik von Claudia Nestler, Partnerin bei PwC im Bereich Forensic Services.

Höchstschaden durch Wettbewerbsdelikte

Die meisten Wirtschaftsstraftaten der vergangenen zwei Jahre waren Vermögensdelikte wie beispielsweise Betrug oder Unterschlagung (41 Prozent aller Fälle), gefolgt von Wettbewerbsdelikten (39 Prozent) und Korruption (13 Prozent). Allerdings verursachten Kartellabsprachen, Produktpiraterie, Datendiebstahl und andere Wettbewerbsstraftaten mit gut 5,8 Mio. Euro den weitaus größten Durchschnittsschaden. Vermögensdelikte schlugen mit rund 1,7 Mio. Euro zu Buche, Korruptionsfälle mit durchschnittlich knapp 1,6 Mio. Euro.
In diesen Berechnungen sind die kaum quantifizierbaren indirekten Schäden allerdings nicht enthalten. Diese sind vor allem bei Wettbewerbsdelikten hoch. So berichtet jedes vierte Unternehmen, das an einer Kartellabsprache beteiligt war, über große Folgeschäden, beispielsweise durch die Abwanderung von Kunden oder verstärkte Kontrollen der Aufsichtsbehörden. Die indirekten Schäden durch Patentverletzungen sind bei knapp jedem fünften Betroffenen groß, aufgedeckte Korruptionsfälle bringen etwa jedem achten Unternehmen erhebliche verdeckte Verluste.

Kommissar "Zufall" dominiert

Obwohl die befragten Unternehmen ihre Kontroll- und Präventionsmaßnahmen in den vergangenen zwei Jahren verstärkt haben, wurden rund sieben von zehn Straftaten durch Tippgeber oder nur rein zufällig entdeckt. Etwas häufiger als in früheren Jahren brachten aber auch systematische Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft Delikte ans Licht. Deren Anteil stieg von sechs Prozent zwischen 2005 und 2007 auf nunmehr acht Prozent. Die interne Revision deckte dagegen nur noch 13 Prozent der Vergehen (nach 16 Prozent im Zeitraum von 2005 bis 2007) auf.

"Die nach wie vor hohe Zufallsquote weckt auf den ersten Blick Zweifel an der Effizienz von Kontroll- und Präventionsvorkehrungen. Außerdem haben noch zu wenige Unternehmen einen Hinweisgebersystem oder zumindest einen Ombudsmann etabliert, an die sich Unternehmensangehörige oder auch Externe wie beispielsweise Lieferanten oder Subunternehmen) vertrauensvoll wenden können", erläutert Professor Kai Bussmann von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg die aktuellen Befunde.

Zumindest haben mittlerweile 44 Prozent der Befragten einen Compliance-Beauftragten. Mit wettbewerbswidrigen Absprachen setzen sich aber nur zwei von drei Kontrolleuren gezielt auseinander und auch das Thema Korruption gehört für immerhin 15 Prozent der Compliance-Beauftragten nicht zu ihren Kernaufgaben.

Dass gezielte und konsequente Präventionsmaßnahmen erfolgreich sind, zeigt ein Vergleich deutscher Unternehmen mit in Deutschland ansässigen Tochterunternehmen von US-Konzernen. So gab es zwischen 2007 und 2009 nur bei zwei Prozent der US-Tochterunternehmen Korruptionsdelikte, jedoch bei 14 Prozent der Unternehmen mit deutschem Stammsitz. Zu diesem Befund passt, dass 61 Prozent der US-Töchter ein Hinweisgebersystem für Korruptionsfälle installiert haben, während dies nur bei 31 Prozent der deutschen Firmen der Fall ist.

Top-Manager landen seltener vor Gericht

Eine knappe Mehrheit von 51 Prozent der Haupttäter stammt aus den geschädigten Unternehmen selbst. Der "typische" Täter ist dabei männlich (in 90 Prozent der Fälle) und seit mehr als zehn Jahren in der Firma beschäftigt (bei 45 Prozent der Delikte). Gut zwei Drittel der Straftaten werden von Führungskräften begangen, in knapp 30 Prozent der Delikte sind Angestellte aus dem Top-Management involviert.

Die Tatmotive sind aus Sicht der befragten Unternehmen vielfältig: Die Mehrzahl der Überführten wurde offenbar wegen einer Kombination aus finanziellen Anreizen (55 Prozent) und mangelndem Unrechtsbewusstsein (62 Prozent) straffällig. Allerdings verweisen einige Befragte auch auf unternehmensspezifische Defizite. So waren für 14 Prozent der Delikte eine mangelnde Kommunikation von Unternehmenswerten und ethischen Richtlinien ausschlaggebend. Bei einem ebenso großen Anteil war der Druck durch Zielvorgaben nach Einschätzung der Befragten zumindest einer der Auslöser für die Straftat.

Bemerkenswert erscheint, dass sich Täter in den vergangenen Jahren seltener vor Gericht verantworten mussten. Stellten die Unternehmen zwischen 2005 und 2007 noch gegen 61 Prozent der überführten Täter eine Strafanzeige, sank diese Quote zwischen 2007 und 2009 auf 50 Prozent. Dabei wurden nur 33 Prozent der Täter aus dem Top-Management angezeigt. Der entsprechende Anteil bei den mittleren Führungskräften betrug immerhin schon 49 Prozent und bei Beschäftigten ohne Führungsaufgaben wurden 54 Prozent der Täter angezeigt. Für 20 Prozent der überführten Top-Manager hatte ihre Tat sogar überhaupt keine Konsequenzen.

"Zwar lässt sich die relative Milde gegenüber Tätern aus der Führungsetage auch mit besonderen rechtlichen und sachlichen Schwierigkeiten im Einzelfall erklären. Allerdings ist diese Praxis unter dem Gesichtspunkt der Glaubwürdigkeit und Vorbildfunktion des Managements äußerst problematisch", kritisiert Salvenmoser die gängige Praxis deutscher Unternehmen.



Kommentare zu diesem Beitrag

Grubi /13.10.2009 00:04
Die Zunahme der Wirtschaftskriminalität ist nur ein Spiegelbild unserer Gesellschaft. Ich hatte vor einiger Zeit mal ein nettes Zitat in einer Schweizer Tageszeitung gelesen: Das grösste Sozialprestige wird in der heutigen Zeit nicht denjenigen entgegengebracht, die Überdurchschnittliches leisten, sondern denjenigen, die sich trotz minimalstem Einsatz den grössten vorstellbaren Luxus leisten können.

In dem Zusammenhang sind wirtschaftskriminelle Handlungen oft der effizienteste Weg ;-(
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