Nicht etwa ein Umsatzeinbruch, sondern eine über Jahre stetig sinkende Profitabilität ist der wichtigste Indikator für Unternehmenskrisen, der auf eine mögliche spätere Insolvenz von kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) hindeutet. Kleine und mittelständische Unternehmen werden hierbei definiert als Unternehmen mit einem Umsatz kleiner 500 Millionen Euro pro Jahr.
Die Eigenkapitalquote sowie die Zinsdeckung sind die beiden weiteren Kenngrößen, die Unternehmen bei ihren Abnehmern im Auge behalten sollten. Zu diesem Schluss kommt die aktuelle Studie des weltweit führenden Kreditversicherers Euler Hermes und TRIB Rating, dem Rating-Service von Euler Hermes Rating in Zusammenarbeit mit Moody’s Investors Service für europaweit einheitliche Ratings für mittelständische Unternehmen. Die Experten haben dazu Datensätze von mehr als 250.000 kleinen und mittelständischen Unternehmen in Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien ausgewertet und dabei insbesondere die letzten vier Jahre vor einer Insolvenz betrachtet.
Abb.: Phasen des Krisenverlaufs [Quelle: Euler Hermes Rating GmbH]
Umsatz nicht die beste Messgröße: Umfangreiche Vertriebsprogramme steuern dagegen
"Der klassische Verlauf von Unternehmenskrisen aus dem Lehrbuch besagt, dass auf die nach außen hin in der Regel unsichtbaren Strategiekrise ein stetiger Umsatzrückgang folgt", sagt Kai Gerdes, Direktor Analyse bei Euler Hermes Rating. "Unsere Analyse zeigt für Deutschland jetzt allerdings das komplette Gegenteil. Im Schnitt stiegen die Umsätze in den letzten vier Jahren vor der Insolvenz von KMU in Deutschland sogar. Das hat einen einfachen Grund: Die Unternehmen versuchen mit umfangreichen Verkaufsoffensiven gegenzusteuern und so die Auslastung der Kapazitäten quasi künstlich hoch zu halten. Doch da beißt sich die Katze in den Schwanz, denn diese Maßnahmen gehen auf die Marge und die Profitabilität. Deshalb ist auch die Profitabilität der wichtigste Indikator für Unternehmenskrisen."
Bei KMU in Frankreich, Spanien und Italien sanken die Umsätze in den vier Jahren vor der Insolvenz im Durchschnitt nur sehr leicht – aber auch hier war kein deutlicher Umsatzeinbruch zu erkennen, der für die notwendige Trennschärfe für diese Finanzkennzahl im Verlauf der Unternehmenskrise sprechen würde.
Brenzlig wird es, wenn es über Jahre abwärts geht – Liquidität in Bilanz schwer sichtbar
"Wir begleiten sehr viele Unternehmen in schwierigen Zeiten", sagt Ron van het Hof CEO von Euler Hermes in Deutschland, Österreich und der Schweiz. "Eine Delle bei der Profitabilität sehen wir beispielweise durch konjunkturelle Veränderungen sehr häufig. Das ist meistens nicht weiter beunruhigend. Erst wenn es Jahr für Jahr abwärts geht wird es langsam brenzlig, denn die sinkende Profitabilität beeinflusst unmittelbar die Liquidität. Und diese Kennzahl wiederum ist für Außenstehende nur schwer sichtbar. Die Bilanz gibt meistens keine genaue Angabe darüber, wie viel Geld wirklich noch da ist und wie viele Mittel gebunden sind. Hinschauen sollte man also deutlich früher – bevor die Abwärtsspirale so richtig einsetzt."
Vier Jahre vor der Insolvenz liegt die Profitabilität (Messgröße ist Return on Capital Employed (ROCE): EBIT / Netto Finanzschulden + Eigenkapital) bei pleitegegangenen deutschen KMU im Durchschnitt bei relativ schwachen 7 Prozent. In Frankreich (etwa 6 Prozent), Spanien (unter 4 Prozent) und Italien (fast 0 Prozent) ist sie allerdings noch niedriger und fällt im weiteren Krisenverlauf deutlich ab, meist in den tiefroten Bereich. Zum Vergleich: Die durchschnittliche Profitabilität von allen KMU in diesen Ländern liegt bei 10 bis 14 Prozent.
Zwei weitere aussagekräftige Indikatoren für Unternehmenskrisen: Eigenkapitalquote und Zinsdeckung
Neben der Profitabilität sind nach Analyse von Euler Hermes und TRIBRating die Eigenkapitalquote (Eigenkapitalquote = Eigenkapital / Bilanzsumme) und die Zinsdeckung (Zinsdeckung = EBIT / Zinsaufwand) die beiden weiteren wichtigen Indikatoren für Unternehmenskrisen, die auf eine möglicherweise drohende Insolvenz von europäischen KMU hindeuten könnten. Die Eigenkapitalquote sinkt in den meisten Ländern analog zur Ertragsentwicklung, allerdings deutlich langsamer. Erst im letzten Jahr vor der Insolvenz findet ein drastischer Abfall statt, der zu einer Überschuldung der KMU führt – außer in Deutschland.
Kein Allheilmittel: Rechnungen und Zinsen lassen sich nicht aus dem Eigenkapital bezahlen
"Deutsche KMU sind im europäischen Vergleich auch beim Eigenkapital das 'kleine gallische Dorf', das weiterhin tapfer Widerstand leistet", sagt Van het Hof. "Allerdings hilft Ihnen auch das meist wenig, wenn die Abwärtsspirale erst einmal voll im Gang ist. Im Vergleich zu den anderen europäischen Ländern rutschen deutsche KMU mit einer wesentlich besseren Kapitalisierung in die Pleite. Das zeigt einmal mehr: Zinsen oder Rechnungen lassen sich nicht aus dem Eigenkapital bezahlen. Insofern ist es auch wenig verwunderlich, dass in Deutschland nicht die Überschuldung, sondern die Zahlungsunfähigkeit der häufigste Grund für eine Insolvenz ist."
Die Eigenkapitalquote bei deutschen KMU liegt im letzten Bilanzjahr vor der Insolvenz bei durchschnittlich 16,1 Prozent. Damit ist sie im Krisenverlauf nur um gut vier Prozentpunkte gesunken. Die durchschnittliche Eigenkapitalquote aller KMU in den vier europäischen Ländern liegt mit 30 Prozent also deutlich höher. In Italien hingegen liegt die Eigenkapitalquote im letzten Bilanzjahr vor der Insolvenz bereits weit im roten Bereich mit -36,6 Prozent. Französische KMU haben ihr Eigenkapital auch weitestgehend aufgebraucht (0 Prozent) und Spanien ist mit -4,8 Prozent ebenfalls im Negativbereich bei der Eigenkapitalquote.
Der dritte aussagekräftige Frühindikator bei kriselnden KMU ist die Zinsdeckung. Diese war über alle vier untersuchten Länder hinweg bereits drei Jahre vor der Insolvenz sehr schwach.
Schon drei Jahre vor Insolvenz: Operativer Gewinn kann Zinsaufwand kaum noch decken
"Die operativen Gewinne der später insolventen KMU waren also bereits vier Jahre vor der Insolvenz kaum noch oder bereits nicht mehr ausreichend, um die Zinsaufwendungen zu decken", sagt Gerdes. "Im weiteren Verlauf der Unternehmenskrise nimmt dies noch rapide weiter ab. Die KMU nehmen weitere Schulden auf, um ihre Kosten zu decken. Zusammen mit der rückläufigen Profitabilität macht sie das noch instabiler und sehr gefährdet für jegliche negative Entwicklung von außen."
Strategiekrise ist nach außen unsichtbar: Managementfehler spielen immer eine Rolle
Die Phasen einer klassischen Unternehmenskrise aus dem Lehrbuch lassen sich in der Praxis nach Analysen der Studie von Euler Hermes nicht immer trennscharf anwenden. Wirklich gut in der Bilanz sichtbar, ist eigentlich nur der Mittelteil: Die Profitabilitätskrise. Die vorangegangene Strategiekrise und die folgende Liquiditätskrise sind hingegen nur schwer von außen sichtbar.
"Die Strategiekrise ist für Außenstehende zunächst meist gar nicht sichtbar", sagt Van het Hof. "Häufig sind das Managementfehler oder eine falsche Geschäftsstrategie. Aber auch Veränderungen beim Kundenverhalten, bei den Kaufgewohnheiten, technologische oder strukturelle Veränderungen, der Markteintritt von neuen Wettbewerbern, politische oder rechtliche Veränderungen können hier eine große Rolle spielen. Allerdings liegt eigentlich immer eine strategische Fehleinschätzung dieser externen Faktoren vor. Je länger diese unerkannt bleibt, desto drastischer der anschließende Verlauf der Unternehmenskrise."