Das Risiko wird in einer Genossenschaft auf viele Schultern verteilt – eine ideale Grundlage für ein gutes Risikomanagement. So verfügte beispielsweise die Hamburger Feuerkasse – als ältestes Versicherungsunternehmen der Welt am 30. November 1676 gegründet – bereits über präventive Ansätze, nicht höhere Risiken einzugehen, als die Risikotragfähigkeit zugelassen hat. So betrug die maximale Versicherungssumme 15.000 Mark mit "einem quart" Selbstbeteiligung. So wurde aktiv das "subjektive" Betrugsrisiko reduziert. Außerdem wurde mit den Mitgliedern neben festen Beiträgen (ordentliche Zulage) auch eine unbegrenzte Nachschusspflicht (außerordentliche Zulage) vereinbart. So konnte die Risikotragfähigkeit flexibel an die tatsächliche Risikosituation angepasst werden. Der Steuerzahler musste hier im Krisenfall nicht in die Bresche springen.
Passt das skizzierte Bild noch in die heutige Welt der Genossenschaftsunternehmen?
Theresia Theurl: Einerseits fühlen wir uns mit dem angeführten Beispiel der Hamburger Feuerkasse weit in die Geschichte zurück versetzt. Die wirtschaftlichen und regulatorischen Rahmenbedingungen haben sich deutlich verändert, besonders für Finanzdienstleister. Andererseits gilt heute nach wie vor, dass Genossenschaften in der Lage sind, gemeinsam höhere Risiken zu stemmen und zu organisieren als dies einzelnen Unternehmen oder Personen alleine möglich wäre. Sie können "economies of risk" verwirklichen, also Risikovorteile: eine Verringerung der Gesamtrisiken sowie deren Aufteilung auf mehrere Wirtschaftseinheiten. So konnte in einer Studie des Centrums für Angewandte Wirtschaftsforschung der Westfälischen Universität Münster mit Daten der Creditreform bereits im Jahr 2005 gezeigt werden, dass kooperierende Unternehmen mit einer höheren Wahrscheinlichkeit ein geringeres Insolvenzrisiko aufweisen als nicht kooperierende Unternehmen. Doch um diese generelle Information für einzelne Kooperationen und Unternehmen – beispielsweise Genossenschaften – weiter zu konkretisieren, sind zusätzliche Informationen erforderlich. Zu diesen zählen vor allem die Details des Risikomanagements sowie die konkrete Governance der Kooperation.
Für Versicherungen und für Banken sind die Handhabung des eigenen Risikos sowie jenes ihrer Kunden von besonderer Bedeutung. Es ist zu beachten, dass auch heute zahlreiche Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit unterschiedlicher Größenordnungen sowie genossenschaftliche Bankenverbünde aktiv sind, beide mit einer außerordentlich langen Tradition und beide mit einer speziellen Risiko-Governance. Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit sind zwar formal keine Genossenschaften, weisen jedoch genossenschaftsähnliche Strukturen auf. In der Krise der Jahre 2007 fortfolgende hat sich die Risikotragfähigkeit von genossenschaftlich und genossenschaftsähnlich organisierten Unternehmen und Gruppen klar herausgestellt, die in der Finanzwirtschaft tätig sind. Zu diesen zählen sowohl Banken als auch Versicherungen. Die Ereignisse und Entwicklungen dieser Jahre können für diese Akteure auch als reale Stresstests verstanden werden. Die in Gang gekommenen Entwicklungen auf ihren Märkten und bei den regulatorischen Rahmenbedingungen stellen sowohl Banken als auch Versicherungen seit mehreren Jahren hingegen vor komplexe Herausforderungen in ihrem Risikomanagement. Es hat sich auch herausgestellt, dass genossenschaftlich organisierte Unternehmen der Finanzwirtschaft in diesen Jahren ohne staatliche Unterstützung, sondern getragen durch die einzelnen Elemente ihrer Risiko- Governance, nicht nur bestehen, sondern zusätzlich Marktanteile gewinnen konnten.
Wie können Genossenschaftsbanken, die überwiegend durch kleinere und mittlere Unternehmensstrukturen geprägt sind, den wachsenden Anforderungen nach Spezialisierung in betriebswirtschaftlichen und aufsichtsrechtlichen Themen zukünftig noch gerecht werden?
Theresia Theurl: Diese Entwicklungen stellen tatsächlich Herausforderungen für Genossenschaftsbanken dar. Die Antwort besteht auch hier in der effizienten Zusammenarbeit in der genossenschaftlichen Finanzgruppe. Diese Form der Arbeitsteilung ermöglicht seit jeher die Substitution von organisatorischer Größe und zentraler Steuerung eines Bankkonzerns. Organisiert als Wertschöpfungsnetzwerk können sowohl die Vorteile der unmittelbaren Verankerung im lokalen Umfeld der Mitglieder und Kunden als auch jene der gemeinsamen Organisation von Leistungen und von Kompetenzzentren kombiniert werden. Auf diese Weise können nicht nur Informations- und Bindungsvorteile, sondern auch Kosten- und Wissensvorteile generiert und genutzt werden. Betriebswirtschaftliche und aufsichtsrechtliche Themen, aber auch die Ertrags- und Kosteneffekte der Niedrigzinspolitik erzwingen es, die Arbeitsteilung in der genossenschaftlichen Finanzgruppe kontinuierlich zu perfektionieren und zu überprüfen. In Projekten gemeinsam erarbeitete betriebswirtschaftliche Lösungen und Routinen für die Genossenschaftsbanken, ihr auf diese Weise optimiertes Risikomanagement, die Entwicklung von Outsourcing-Modellen für zahlreiche Prozesse, die Gründung von spezialisierten Gesellschaften für einzelne kundenferne Aufgaben, aber auch die Organisation einer professionellen politischen Kommunikation im Regulierungsprozess sind Beispiele dafür.
Dies ändert jedoch nichts daran, dass die wirtschaftlichen und regulatorischen Entwicklungen der vergangenen Jahre tendenziell einen Druck auf eine Erhöhung der Betriebsgrößen ausüben. Dies ist nicht nur mit einer Intensivierung der Kooperationsstrategien verbunden, sondern bringt auch Fusionen von Genossenschaftsbanken sowie von Zentral- und Spezialunternehmen mit sich. Eine Entwicklung, die noch nicht abgeschlossen ist. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass ein großer Anteil der aktuellen bankenregulatorischen Reformmaßnahmen, der zu strukturellen Veränderungen sowie zur Prüfung von Strategien zwingt, nicht durch das Geschäftsmodell der Genossenschaftsbanken ausgelöst wurde, dieses jedoch stark tangiert.
Ist die Bankenunion der richtige Ausweg aus der Krise?
Theresia Theurl: Die Bankenunion ist nun beschlossen und steht nicht mehr zur Disposition, dennoch gilt es ein paar Aspekte zu problematisieren. Dass es in der Europäischen Union eine Bankenunion geben wird, hat nichts mit den Aktivitäten von Genossenschaftsbanken zu tun, doch es wird sie in besonderer Weise betreffen. Die Bankenunion soll es erstens ermöglichen, den gemeinsamen Markt für Finanzdienstleistungen durch eine einheitliche Aufsicht der Finanzinstitute und – sofern als nötig erachtet – deren Abwicklung oder deren Sanierung durchzuführen. Zweitens liegt ihr die Stabilisierungsidee zugrunde, schädliche Verbindungslinien zwischen Staaten und Banken zu durchtrennen. Solche entstehen durch steigende Risiken in den Bankbilanzen, die durch erhöhte Ausfallrisiken von Staatsanleihen eingebracht werden, ebenso wie durch Probleme der Banken, die staatliche Rettungsmaßnahmen mit den entsprechenden budgetären Konsequenzen nach sich ziehen, beispielsweise – aber nicht nur – die Too-big-to-fail-Problematik. In der Euro-Währungsunion wurden diese Zusammenhänge wegen der schwerwiegenden Informations- und Anreizdefekte zu einem folgenreichen Problem. Eine Entlastung der nationalen Staatshaushalte durch den Einbezug von Bankgläubigern zur Bereinigung von Bankproblemen sowie eine Verringerung des Engagements von Banken in Staatsanleihen des eigenen Staates sollen zu einer Entkopplung der problematischen Verbindung führen und gleichzeitig fiskalische und finanzielle Stabilität erreichen lassen. Diese Zielsetzungen sind wichtig, dennoch ist die Frage, ob die Bankenunion der richtige Ausweg aus der Krise ist, nicht einfach zu beantworten, was mit ihrer konkreten Ausgestaltung zu tun hat.
Die Europäische Bankenunion wird eine Kompetenzverlagerung zu EU-Institutionen und neu geschaffenen Organisationen mit sich bringen. Vier Elemente bilden in ihrer Gesamtheit die Bankenunion: (1) das regulatorische Rahmenwerk von Basel III, (2) eine einheitliche europäische Bankenaufsicht, (3) ein einheitlicher Sanierungs- und Abwicklungsmechanismus und (4) einheitliche Standards für die Einlagensicherungssysteme. Es fällt auf, dass auf der europäischen Ebene eine Konzentration auf die Bankenregulierung erfolgt ist, während die Glaubwürdigkeit aller Maßnahmen zur Konsolidierung der Staatshaushalte nach wie vor nicht gegeben ist. Vor diesem Hintergrund ist nicht auszuschließen, dass auch in Zukunft die Zinsspreads nicht den eigentlichen Risiken von Banken und Staaten entsprechen, sofern nicht die Altlasten in beiden Bereichen im Vorfeld bereinigt werden, wovon derzeit jedoch nicht auszugehen ist. Zusätzlich ist zu beachten, dass bei allen wohlmeinenden Absichten der politischen Entscheidungsträger die ursprünglichen Motive für eine Bankenunion, nämlich eine strengere Regulierung systemrelevanter Banken und risikoreicher Geschäftsmodelle, die zur Finanzkrise beigetragen haben, im Zuge der Verhandlungen und Konkretisierung wieder stärker in den Hintergrund getreten sind. Die Eigendynamik der EU-Integrationslogik ließ hingegen einen umfangreichen Vergemeinschaftungsschritt entstehen.
Für die Genossenschaftsbanken wird es in der Europäischen Bankenunion nicht einfacher werden. Bislang ist es ihnen gelungen, die Besonderheiten ihres Geschäftsmodells – beispielsweise die Institutssicherung mit der Sicherungseinrichtung des BVR – in die Diskussion einzubringen und in einzelnen Regeln auch in Ansätzen zu verankern. Dennoch bleibt die Tatsache, dass die Bail-in-Mechanismen letztlich für börsennotierte und finanzmarktaktive Großbanken konstruiert wurden, jedoch auch auf kleine und mittlere Banken mit abweichendem Risikoprofil und präventiver Eigeninitiative angewendet werden. Auch sie müssen Bail-in-fähige Anleihen vorhalten, deren Höhe die Abwicklungsbehörde festlegt, um eine Beteiligung der Gläubiger sicherzustellen, was gerade in einem Niedrigzinsumfeld die Ertragslage der Genossenschaftsbanken unverhältnismäßig beeinträchtigten kann.
Die Grundidee der Bankenunion ist also zu begrüßen, allerdings ist partiell Kritik an der konkreten Ausgestaltung der einzelnen Elemente zu üben, die dazu führen kann, dass die beabsichtigten Zielsetzungen nicht oder nicht in ausreichendem Ausmaß erreicht werden. Wir müssen es abwarten.
Während in der Basler Rahmenvereinbarung nur emittiertes Grund- bzw. Stammkapital als "Common Equity Tier 1" – also hartes Kernkapital – vorgesehen war, werden nun in der europäischen Umsetzung Kapitalinstrumente unabhängig von der Rechtsform anerkannt. Was muss bei der vertraglichen Gestaltung berücksichtigt werden, damit Genossenschaftsanteile und Vermögenseinlagen stiller Gesellschafter die relevanten Kriterien bzgl. der Verlusttragung entsprechen?
Theresia Theurl: Zur Anerkennung von Genossenschaftsanteilen und stillen Einlagen müssen diese Kapitalinstrumente die hohen qualitativen Kriterien zur Verlustabsorptionsfähigkeit des harten Kernkapitals gemäß Basel III erfüllen. Allerdings zeigt eine Studie des Instituts für Genossenschaftswesen Münster, welche auf Informationen der Jahresabschlüsse und Offenlegungsberichtsdaten von nahezu sämtlichen Genossenschaftsbanken in Deutschland basiert, dass nur wenige Primärbanken über stille Einlagen verfügen. Folglich sind vertragliche Anpassungen zur Sicherstellung der Konformität von stillen Einlagen an die Anforderungen an das harte Kernkapital von den Genossenschaftsbanken nur in Einzelfällen notwendig. Anders sieht es bei den Genossenschaftsanteilen aus. Da das gezeichnete Kapitel bei den Genossenschaftsbanken einen hohen Anteil am gesamten harten Kernkapital aufweist, wäre eine Nicht-Anerkennung dieser Kapitalinstrumente als hartes Kernkapital mit weitreichenden Konsequenzen für die Genossenschaftsbanken verbunden. Durch eine Erweiterung der Satzung um ein Kündigungswiderspruchsrecht durch den Vorstand/Aufsichtsrat einer Genossenschaftsbank bei Kündigung eines Mitgliedschaftsanteils sind die Mitgliedschaftsanteile jedoch auch weiterhin als hartes Kernkapital anerkennungsfähig. Da diese notwendige Modifikation der vertraglichen Ausgestaltung von Genossenschaftsanteilen den Banken schon vor der finalen Einführung von Basel III in nationales Recht bekannt war, konnten sie diese Satzungsänderungen bereits im Rahmen der letztjährigen ordentlichen General-/Vertreterversammlung beschließen und umsetzen.
Welche Auswirkungen erwarten Sie von der Einführung des antizyklischen Puffers (Countercyclical Buffer) für die Genossenschaftsbanken?
Theresia Theurl: Die oben genannte Studie des Instituts für Genossenschaftswesen Münster zeigt, dass die Genossenschaftsbanken mit einer durchschnittlichen Kernkapitalquote von rund 11 Prozent die Anforderungen an die Kernkapitalquote in Höhe von 8,5 Prozent (inkl. eines Kapitalerhaltungspuffers in Höhe von 2,5 Prozent der aufsichtsrechtlichen Risikopositionen) deutlich übererfüllen. Selbst durch eine Einführung eines antizyklischen Kapitalerhaltungspuffers in der vollen Höhe (2,5 Prozent der aufsichtsrechtlichen Risikopositionen) könnten die Genossenschaftsbanken diese Anforderungen im Durchschnitt schon jetzt einhalten. Allerdings erhöht sich durch die Einführung eines antizyklischen Kapitalpuffers die Anzahl an Primärbanken, die sich dadurch mit einem regulatorischen Kapitalbedarf konfrontiert sehen würden, deutlich, wodurch sich weitrechende Konsequenzen für die Genossenschaftsbanken ergeben würden.
Es ist jedoch fraglich, ob und in welcher Höhe die BaFin von den Banken das Vorhalten eines antizyklischen Kapitalerhaltungspuffers fordern wird. Folglich gilt es auf Institutsebene die diesbezüglichen Neuerungen der BaFin sorgfältig zu verfolgen. Zudem ist davon auszugehen, dass ein möglicher antizyklischen Kapitalpuffer durch die BaFin schrittweise eingeführt würde, wodurch sich die Auswirkungen dieser Regulierungsvorschriften auf die Genossenschaftsbanken reduzieren würden, da sie in den kommenden Jahren Kernkapital für einen ggf. erforderlichen antizyklischen Kapitalpuffer aufbauen können. Da die Genossenschaftsbanken zudem über hohe stille Rücklagen verfügen, dürften sie diese Anforderungen selbst dann erfüllen können, wenn ein rascher Aufbau eines antizyklischen Kapitalpuffers vorgeschrieben werden würde. Durch eine Umwidmung von stillen Rücklagen, die im Rahmen von Basel III nicht vollständig als hartes Kernkapital anerkannt werden, in offenen Rücklagen (Fonds für allgemeine Bankrisiken) können die Genossenschaftsbanken ihr Kernkapital deutlich erhöhen. Allerdings ist bei einer solchen Maßnahme eine Verringerung der Möglichkeit einer stillen Verlustabdeckung durch den Vorstand einer Genossenschaftsbank zu berücksichtigen.
Können die Genossenschaftsbanken hingegen die aggregierten Kernkapitalanforderungen durch eine Umwidmung von stillen Rücklagen zu offenen Rücklagen nicht einhalten, würden sie sich tatsächlich mit weitrechenden Konsequenzen konfrontiert sehen. Dies ist auf die Abhängigkeit einer Erhöhung des Kernkapitals von der Möglichkeit der Gewinnthesaurierung zurückzuführen. So existiert für die Mitgliedschaftsanteile kein organisierter Markt. Auch eine Rückführung von Aktiva zur Einhaltung eines antizyklischen Kapitalpuffers würde sich für die Genossenschaftsbanken als unvorteilhaft erweisen. Durch eine damit einhergehende mögliche Verringerung des Kreditgeschäfts könnte der Nutzen eines Mitgliedes an einer Genossenschaftsbank, der sogenannte "Member Value", negativ beeinträchtigt werden.
Nicht selten läuft am Ende eine europäische Lösung auf ein europäisches Haftungssystem hinaus. Sollte das Thema Eigenverantwortung nicht stärker in den Vordergrund gestellt werden?
Theresia Theurl: Europäische Haftungssysteme sind in der Tat in unterschiedlichsten Bereichen geschaffen worden. Ein Bereich, in dem dies in den vergangenen Jahren sehr deutlich geworden ist, waren die nicht glaubwürdigen Fiskalregeln der Europäischen Währungsunion sowie die bekannte "no bail out"-Regel, die dem Praxistest nicht standhielt. Auch in der Bankenunion bleiben Anreizprobleme, die eigentlich mit ihr hätten beseitigt werden sollen. Die Möglichkeit einer Subventionierung risikoaffiner Banken, eine Unterstützung von risikobereiten und problembehafteten durch solide und in ihren Aktivitäten regional verankerte Banken kann nicht ausgeschlossen werden.
Selbstverständlich sollte die Eigenverantwortung stärker in den Vordergrund gestellt werden, jene von Banken und anderen Unternehmen sowie jene von Staaten. Eigenverantwortung ist ein stark disziplinierender Mechanismus, der die Performance von Organisationen erhöht, die auf Zusammenarbeit angewiesen sind. Dies gilt für Staaten, aber auch für Unternehmen. Fehlende Eigenverantwortung ist gleichbedeutend mit Anreizen für ein Moral Hazard-Verhalten. Dieses führt dazu, dass gemeinsam geschaffene Ergebnisse im Nachhinein umverteilt werden und zwar zu jenen Akteuren, die sich nicht an die Regeln halten. Es kommt also zu einer Schädigung des Kollektivs durch die Übernahme von zu hohen Risiken. Regelverletzungen werden belohnt, was wiederum schädliche Verhaltensanreize für alle Akteure beinhaltet.
Es stellt sich die Frage, weshalb Eigenverantwortung in Kollektiven heute abnehmende Bedeutung hat. Vier sich ergänzende Antworten sind zu finden. Erstens können Mechanismen der Solidarität und damit Fremdverantwortung beabsichtigt sein. Zweitens können heterogene Voraussetzungen und Zielsetzungen der Verhandlungspartner nur in risikofördernden Regeln einen Konsens finden lassen. Drittens können Regeln, die Eigenverantwortung fördern sollen – zwar vereinbart – jedoch als nicht glaubwürdig in der Umsetzung eingeschätzt werden, entsprechend werden sie auch verletzt. Viertens kann verletzte Eigenverantwortung im Nachhinein akzeptiert und sogar verstärkt werden, um die Kollateralschäden für das Kollektiv zu verringern.
Charles Calomiris (Comlumbia University) und Hans Peter Grüner (Universität Mannheim) halten ein zu starke staatliche Regulierung für verhängnisvoll und sehen darin eine der Ursachen der heutigen Krise. Staatliche Einlagensicherungsfonds hätten dazu geführt, dass sich Manager und Investoren zu sicher gefühlt hätten und daher übermäßig Risiken eingegangen seien (Stichwort "moral hazard"). Ihrer Meinung nach ist das Risiko von Krisen in einem Land umso größer, je stärker die Finanzinstitute durch ein staatliches Sicherheitsnetz geschützt sind. Im Umkehrschluss heißt das: Banken müssen dem Risiko des Scheiterns ausgesetzt sein.
Theresia Theurl: Grundsätzlich teile ich die Einschätzung der Kollegen. Das einzelwirtschaftliche Risiko des Scheiterns ist Bestandteil einer marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung. Doch sollten einige Aspekte ergänzt werden. Zu wissen oder stark zu vermuten, dass im Problemfall eine Instanz hilft – vordergründig meist der Staat, faktisch jedoch die Steuerzahler –, dass ein einzelwirtschaftliches Scheitern nicht möglich ist, fördert das Eingehen zusätzlicher Risiken, erhöht die Risikoneigung und senkt die Bereitschaft zur Eigenverantwortung. Diese Wirkungen wurden sowohl in der globalen Finanzmarktkrise der Jahre 2007 fortfolgende als auch in der Staatsverschuldungskrise der Europäischen Union hinlänglich und nachhaltig vor Augen geführt. Was bleibt ist die Frage der Alternativen. Staatliche Regulierung ist vor allem dann notwendig, wenn die Märkte mit ihrer Eigenverantwortung der Unternehmen und Menschen nicht funktionieren. Auf den Finanzmärkten haben wir es in vielen Segmenten mit Informationsdefiziten zu tun, einer Konstellation, die zu Marktversagen führt. Staatliche Regulierung soll entweder Informationen generieren oder die Betroffenen vor den Konsequenzen schützen. Doch auch hier gilt: Wenn gut gemeinte Regulierung nicht vorhandene Sicherheit schaffen soll, wird sich das Verhalten in Richtung einer höheren Risikoneigung mit den angesprochenen Effekten verändern. Zusätzlich ist zu berücksichtigen, dass die global und segmentmäßig heute höchst verflochtenen Finanzmärkte umfassende Ausweichreaktionen auf die staatliche Regulierung einzelner Segmente oder Produkte hervorrufen. Im Ergebnis muss zur Kenntnis genommen werden, dass Regulierung meist zu einer umfassenden Regulierungsspirale führt, die einzelwirtschaftliches Scheitern zunehmend verhindert.
Ein damit verbundener zusätzlicher Aspekt ist zu beachten, wenn befürchtet wird, dass das Scheitern einzelner Unternehmen oder Banken eine Systemkrise auslöst, also andere mit sich in den Abgrund reißen wird. Dies plausibel argumentieren zu können, ruft meist unabhängig von den Inhalten der Bankenregulierung staatliche Aktivitäten hervor, die dem Muster des "too big to fail" et cetera folgen. Um dies zu verhindern, müssten also im Vorfeld solche Ansteckungseffekte ausgeschlossen werden können, was recht herausfordernd ist. Es gilt also: Banken müssen glaubwürdig dem Risiko des Scheiterns ausgesetzt sein, jedoch ohne dass ein Systemzusammenbruch befürchtet werden muss. Entsprechende Regulierungsregime zu vereinbaren und umzusetzen, stellt sich als eine höchst herausfordernde Aufgabe dar.
Welchen Einfluss erwarten Sie aus den veränderten regulatorischen Rahmenbedingungen für die Produktgestaltung im Genossenschaftsbereich?
Theresia Theurl: Vorweg ist festzuhalten, dass den Mitgliedern und Kunden von Genossenschaftsbanken auch in Zukunft ein Produktportfolio gemäß ihren Wünschen zur Verfügung stehen wird. Wie bei allen anderen Banken auch sind eine Verschärfung der regulatorischen Rahmenbedingungen jedoch immer Anlass und Notwendigkeit, deren Auswirkungen auf Kosten und Erträge, hebbare Effizienzpotenziale bei Produkten, Prozessen und Strukturen zu prüfen. Dass eine Verschärfung der Regulierung aktuell geballt auf die Genossenschaftsbanken trifft (Bankenunion, Compliance-Vorschriften, Regelungen des Verbraucherschutzes) ist hinlänglich bekannt und entsprechende Prüfungen werden konsequent stattfinden. Denn Regulierung bedeutet immer auch Regulierungskosten, die es von den regulierten Banken unterzubringen gilt. Diese Kosten werden trotz Proportionalitätsgebots die kleinen und mittleren Banken, zu denen die Genossenschaftsbanken zählen, überproportional betreffen. Schätzungen gehen bis zu 10 Mrd. Euro, die allein von der Bankenunion verursacht von den deutschen Banken jährlich aufzubringen sind und letztlich, zumindest partiell, in der konkreten Marktsituation auf die Kunden überwälzt würden. Dennoch gehe ich nicht davon aus, dass es zu einschneidenden Veränderungen der Produktgestaltung sowie des Produktrisikoprofils kommen wird. Allerdings könnten weitere Standardisierungen sowie kompetenzorientierte Spezialisierungen innerhalb der genossenschaftlichen Finanzgruppe eine zunehmende Bedeutung gewinnen.
Die Genossenschaftsbanken leben vom Regionalprinzip und der engen, persönlichen Bindung zu Kunden und Entscheidungsträgern aus der regionalen Politik und Wirtschaft. Diese persönlichen Beziehungen sind oft über Jahre gewachsen und tief verwurzelt. Werden diese Bande durch ein Compliancemanagement beeinträchtigt?
Theresia Theurl: Wie bei der Regulierung auch kommt es bei den Regeln der Compliance auf die konkreten Inhalte an. Dies gilt für Ihre Wirksamkeit und dafür, ob sie adäquat sind und ihren Zweck erfüllen. Eine zweite Parallele zwischen Regulierung und Compliance besteht darin, dass auch letztere nicht für die Genossenschaftsbanken konzipiert sind, für diese jedoch undifferenziert gelten. Das genossenschaftliche Geschäftsmodell beeinflusst die Risikoprofile der einzelnen Genossenschaftsbanken ebenso wie ihre Geschäftsfelder, Strategien und Verhaltensweisen. Dies führt zu einer besonderen Betroffenheit durch die aktuellen Compliance-Regeln, die von – wiederum bezogen auf die Größe der Genossenschaftsbanken – überproportional hohen Compliancekosten betroffen sind, sich teils auf Aktivitäten richten, die nicht typisch für Genossenschaftsbanken sind und die schließlich die dauerhaft gedachten Geschäftsbeziehungen mit den Stakeholdern von Genossenschaftsbanken belasten können. Zusammenfassend ist jedoch entscheidend, wie gut es gelingt, die verfügbaren Freiräume genossenschaftsadäquat auszugestalten, das Compliancemanagement so gut es geht an die Gegebenheiten des Geschäftsgebiets anzupassen sowie die Regeln adäquat und unter Vermittlung ihrer Zielsetzung zu kommunizieren. Wie bei der Bankenregulierung gilt auch bei den Complianceregeln, dass es nicht um eine "Schonung" von Genossenschaftsbanken geht, sondern um adäquate Regeln, die es ihnen ermöglichen, ihr bewährtes Geschäftsmodell auch in Zukunft zu praktizieren, ohne dass schutzwürdige Stakeholder dadurch belastet werden.
Sie sind geschäftsführende Direktorin des Instituts für Genossenschaftswesen an der Westfälischne Wilhelms-Universität Münster. Welche Rolle spielt das Thema Ausbildung – unter anderem auch im Risikomanagement, um derartige Krisen zukünftig zu verhindern oder zumindest abzumildern?
Theresia Theurl: Das Institut für Genossenschaftswesen ist sehr stark in der Lehre engagiert und zeichnet sich durch außergewöhnlich viele Studierende aus, die die angebotenen Fächer studieren. Dies betrifft erstens das Studium der Kooperation von Unternehmen mit der Organisation der Zusammenarbeit in der genossenschaftlichen Finanzgruppe und ihrer Arbeitsteilung im Kern des Fachs. Volkswirtschaftliche wie managementorientierte Aspekte stehen im Zentrum der Analyse, natürlich auch die Risiko-Governance von Genossenschaftsbanken auf der Makro- und auf der Mikroebene sowie daraus abgeleitet das Risikomanagement und die möglichen Reaktionen auf die Regulierung von Banken.
Einen zweiten Schwerpunkt bilden alle Fragen der Regulierung von Unternehmen in marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnungen, deren Begründungen, Ausgestaltungen und Wirkungen auf die Anreize der Regulierten. Auch hier werden die direkten Zusammenhänge zur Bankenregulierung im Allgemeinen und zu jener für Genossenschaftsbanken im Besonderen prominent bearbeitet, jeweils mit ihren gesamtwirtschaftlichen und ihren einzelwirtschaftlichen Konsequenzen.
Schließlich zählt die Analyse von Währungs-, Finanz-, Banken- und Verschuldungskrisen vor den unterschiedlichsten Rahmenbedingungen seit Jahrzehnten zu den von mir präferierten Forschungsfelder, so dass auch die Zusammenhänge zwischen Makro-Entwicklungen, staatlicher Regulierung, Krisen aller Art und dem Risikomanagement von Banken eine bedeutende Rolle in Vorlesungen und Seminaren spielen.
Ich kann also behaupten, dass unsere Absolventen bestens vorbereitet in die Praxis gehen. Ob dies ausreicht, Krisen zu verhindern oder abzumildern, mag jedoch dahingestellt bleiben. Denn die Ursachen von Krisen und Mechanismen ihrer Ausbreitung kennen wir sehr gut, im Kern verändern sie sich auch kaum. Doch die ex post-Informationen unterscheiden sich immer von jenen, die ex ante verfügbar sind und unterschiedliche Interessen der einzelnen Gruppen sowie politische Kalküle erschweren es seit jeher in schwierigen Situationen jene Maßnahmen zu ergreifen, die das Lehrbuch vorgeben würde. Dennoch geht nichts über ein fundiertes Risikobewusstsein, das in der Lage ist, sich Illusionen entgegenzusetzen. Dies gilt für Banken, für ihre Kunden, für Regierungen und für Regulatoren.
Welche Herausforderungen des Risikomanagements schätzen Sie aus wissenschaftlicher Sicht als dringend bzw. intellektuell herausfordernd ein?
Theresia Theurl: Auf diese Frage will ich auf zwei Ebenen antworten. Am wichtigsten scheint mir immer wieder die glaubwürdige Vermittlung eines simplen Zusammenhangs zu sein, der dennoch am häufigsten außer Acht gelassen wird, nämlich dass es eine Korrespondenz zwischen Risiko und Ertrag gibt, die nur temporär zu durchbrechen ist. Dieser einfache Zusammenhang hat Eingang in das Risikomanagement zu finden und seine Kommunikation in das Compliancemanagement integriert zu werden. Obwohl es ein einfacher Zusammenhang ist, zählt es zu den wissenschaftlichen Aufgaben, ihn vor unterschiedlichen Rahmenbedingungen empirisch nachzuweisen.
Alle mit dem Risikomanagement verbundenen wissenschaftlichen Aufgaben sind komplexer, differenzierter und schwieriger geworden, wenngleich die Aufgabenstellungen als solche unverändert sind: die Identifikation von Risiken, ihre Vorsorge und Überwachung, ihre Steuerung, ihre Kommunikation sowie die Abwicklung von Risikopositionen. Am herausforderndsten ist heute die Identifikation der Risiken, was mit der Entwicklung komplexer und strukturierter Produkte verbunden ist, gefolgt von der Risikosteuerung. Um diese Elemente des Risikomanagements wissenschaftlich zu durchdringen, sind längst Spezialisten aus den Naturwissenschaften unverzichtbar geworden. Besonders herausfordernd ist meiner Einschätzung nach die Bewertung von Gesamtrisiken, bestehend aus unterschiedlichen Elementen. Ihr Risikogehalt kann sich mit einer Veränderung der Zusammensetzung grundlegend verändern und in diesem Prozess zu einem vorher nicht vorhandenen Systemrisiko werden, das neuen Entwicklungsgesetzen folgt. Intellektuell herausfordernd ist auch die Erforschung der Risiko-Governance der genossenschaftlichen Finanzgruppe. Einerseits wurden effiziente Mechanismen der Risikobewältigung gefunden, andererseits muss davon ausgegangen werden, dass einzelne Unternehmen zusätzliche Risiken in das Finanznetzwerk einbringen, die dieses vor bestimmten Rahmenbedingungen problemanfällig machen können.
[Die Fragen stellte Frank Romeike, verantwortlicher Chefredakteur RiskNET - The Risk Management Network sowie Mitglied des Vorstands der Gesellschaft für Risikomanagement und Regulierung e. V.]
Univ.-Prof. Dr. Theresia Theurl ist Professorin für Volkswirtschaftslehre und geschäftsführende Direktorin des Instituts für Genossenschaftswesen der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.
Ihre Schwerpunkte in der wissenschaftlichen Forschung, der universitären Lehre und im Transfer in die unternehmerische und in die politische Praxis sind die Analyse der Governance, des Managements und der Regulierung aller Formen der Kooperation von Unternehmen, die Ökonomik und das Management der Genossenschaften und ihrer Netzwerke sowie die Institutionen- und Organisationsökonomik und aktuelle wirtschaftspolitische Themen. Sie ist Vorsitzende und Mitglied zahlreicher Fachgremien in Wissenschaft und Praxis.
[Das Interview ist in Ausschnitten im FIRM-Innenteil der Zeitschrift RISIKO MANAGER erschienen. Die Inhalte werden achtmal im Jahr in der Zeitschrift RISIKO MANAGER vom Frankfurter Institut für Risikomanagement und Regulierung (FIRM) bzw. der Gesellschaft für Risikomanagement und Regulierung e. V. veröffentlicht. Bildquelle oben: © raywoo - Fotolia.com]