Zu den wachsenden gesetzlichen und regulatorischen Aufgaben, mit denen sich Banken und Vermögensberater konfrontiert sehen, könnte demnächst auch das neue Verhältnis zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU beitragen. Sollte es zu einem harten Brexit ohne vertragliche Lösung kommen, fielen die bisher innerhalb der EU geltenden Passporting-Rechte weg, outbound wie inbound. Das Vereinigte Königreich wäre aus Sicht der EU ein Drittland wie jedes andere und hätte an Banken wieder seine eigenen regulatorischen Anforderungen – die der Prudential Regulation Authority der Bank of England (PRA). Aber ob MiFID II, MiFIR, PRIIPs oder auch FIDLEG und FINIG in der Schweiz – schon jetzt sind all die Compliance-Aufgaben für das Front Office manuell nicht mehr in den Griff zu bekommen, zumindest nicht zu vertretbaren Kosten. Automatisierung wird unverzichtbar. Sei es durch Regulatory Technology oder indem Banken und Wealth Manager ihre Tätigkeiten, die nicht marktdifferenzierend sind, komplett auslagern: als Business Process as a Service (BPaaS).
Schlüsselrolle der PRA nach dem Brexit?
Gerade in unserem Beispiel des harten Brexits ohne vertragliche Abfederung ist es sehr wohl möglich, dass beispielsweise ein deutsches Institut, das weiterhin im Vereinigten Königreich tätig sein will, eine völlig neue Banklizenz bei der englischen PRA beantragen muss. Daraus können sich auch ganz neue Anforderungen an eine compliancegerechte IT-Infrastruktur ergeben. Für neue Tochtergesellschaften ist es wohl der einfachste Weg, wenn sie sich eine regulationskonforme Infrastruktur einfach dadurch verschaffen, dass sie ihre Technologie oder sogar ihre Bankprozesse outsourcen. Der Vorteil, wenn sie dabei auf Kernbankensysteme und BPaaS-Leistungen zurückgreifen, die international verfügbar sind, besteht im Zweifelsfall darin, dass diese den nationalen Compliance-Anforderungen auf der Infrastrukturseite bereits von Haus aus entsprechen.
Die Zeit der Kundenberater ist zu kostbar
Ob es beim Vermögensverwalter ist oder bei der Privatbank: Die Herausforderung, für Compliance sorgen zu müssen, kann einem Kundenberater – oder seinen Vorgesetzten – durchaus schlaflose Nächte bereiten. Betrachtet man genauer, wie sich die Arbeitszeit des Beraters verteilt, ergibt sich ein ernüchterndes Bild. Erfahrungsgemäß verbringen Berater, die High Net Worth Individuals betreuen, weniger als 20 Prozent ihrer Zeit tatsächlich mit Beratung und Verkauf – ein falscher Einsatz hochpreisiger Ressourcen. Bei der Beratung von Ultra High Net Worth Individuals ist das Bild noch dramatischer: Hier berichten Kundenberater, dass oft sogar ein noch kleinerer Teil ihrer Arbeitszeit auf ihre eigentliche Sales- und Beratungstätigkeit entfällt. Diese anschwellende Flut an Compliance-Aufgaben beeinträchtigt die Umsätze der Unternehmen – und parallel weckt sie unter den Beratern die Sorge, negative Konsequenzen tragen zu müssen, weil sie nicht mehr in der Lage sind, ihre Ertragsziele zu erreichen.
Keine Vermögensberatung ohne RegTech
Mit einer geeigneten Wealth Advisory-Lösung, die den Berater durch den Prozess führt und viele Schritte automatisiert, nicht zuletzt im Compliance-Bereich, lässt sich das aktuelle Ungleichgewicht bei der Tätigkeit in Private Banking und Vermögensberatung wieder deutlich in Richtung Sales und Beratung verschieben. Solch ein Wealth Advisory Tool mit integrierter RegTech-Funktionalität hilft dem Kundenberater, die Beratungsvoraussetzungen seines Klienten zu ermitteln, seine Identität automatisch gegen eine KYC-Datenbank zu prüfen und automatisierte Checks vorzunehmen, welche regulatorischen und gesetzlichen Normen überhaupt anwendbar sind. Abhängig von der Klassifikation des Klienten kann es dann auch automatische Prüfungen seiner Knowledge- und Experience-Situation und einen Suitability-Test gemäß MiFID II geben. Solch ein softwaregestützter Beratungsvorgang hat einen weiteren großen Vorzug: Kundenberater sparen sich dadurch den manuellen Dokumentationsaufwand. Denn die Lösung kann optimalerweise die erforderliche Dokumentation des Beratungsvorgangs selbst generieren und falls nötig weiterleiten, vom Suitability Report bis zum Beratungsprotokoll.
Per Outsourcing ins Ökosystem
Im Idealfall ist solch ein Wealth Advisory Tool gleich durch Schnittstellen mit den Diensten weiterer Serviceanbieter verknüpft. Beispielsweise könnte eine Bank die Kundeninformationsblätter gemäß PRIIPs-Regulierung für die verschiedenen Jurisdiktionen und Sprachen nur mit erheblichem Aufwand selber produzieren – Schnittstellen zu einschlägigen Serviceanbietern erleichtern dies deutlich. Weitere Schnittstellen dienen einem automatisierten Transaction Reporting gemäß MiFID II für die Aufsichtsbehörden oder dem Automatic Exchange of Information (AEOI) nach OECD-Standard für die zuständige Steuerverwaltung. Die Erweiterbarkeit einer Wealth Advisory-Lösung ist vor dem Hintergrund ständig neuer Regulierungsanforderungen ein wichtiger Aspekt. Zu den etablierten SaaS- bzw. BPaaS-Banking-Lösungen gehört auch eine entsprechende Kundenbasis – und damit ein Ökosystem, das die Services und Kompetenzen unterschiedlichster Partner, Dienstleister und Kunden bündelt. Dieses Ökosystem ist zudem in der Lage, Compliance-Lösungen auf ihre Validität zu prüfen, denn es aggregiert das Wissen eines ganzen Heeres von Legal- und Compliance-Officers, bei einer Vielzahl von Vermögensberatern, Privat- und Retailbanken. Gerade für kleinere und mittlere Institute und Vermögensberater eröffnet der Zusammenschluss in einem Ökosystem einen ganz anderen, neuen Zugang zu Expertenwissen, bis hin zum Zugriff auf das Wissen großer Wirtschaftsprüfungsgesellschaften. Zugleich gewährt ein Ökosystem-Modell allen Teilnehmern den Zugriff auf neue Compliance-Tools und -Lösungen. Denn im Ökosystem treiben Entwicklungspartner gemeinsam wichtige Projekte voran und schaffen Tools und Lösungen, die letztlich für das gesamte Ökosystem nutzbar werden. Schließlich arbeiten all dessen Mitglieder auf der gleichen Plattform, mit dem gleichen Kernbankensystem.
Den Prozess von Anfang bis Ende im Blick
Wenn Banken bislang Outsourcing betrieben haben, geschah das oft dadurch, dass sie ihre IT an einen Dienstleister ausgelagert haben und ihr Backoffice gegebenenfalls an einen anderen. Dabei können Finanzdienstleister und Vermögensverwalter sehr davon profitieren, wenn sie sich gleich für eine umfassende Business Process as a Service-Lösung entscheiden und alles in dieselben Hände legen. Denn sobald parallel zu den Kernbankenfunktionen auch die Backoffice-Tätigkeiten inklusive der Compliance-Aufgaben ausgelagert sind, wird ein ganz anderes Automatisierungsniveau möglich. Straight-through-Processing-Raten nahe der 100 Prozent sind dann keine schöne Fiktion mehr, sondern häufig Alltag. Zudem ist mit der BPaaS-Nutzung oft auch ein strukturiertes und ebenfalls prozessual standardisiertes Exception Handling verknüpft. Ganz grundsätzlich ist der End-to-End-Blick auf den Prozess, der im Rahmen solch einer umfassenden Digitalisierung und Automatisierung entsteht, aus Compliance-Perspektive ein enormer Vorteil.
Fazit: Effiziente Compliance ist digitalisiert
Relationship Management, die Beziehung zum Klienten, dessen optimale Beratung – dies sind die zentralen Stärken von Privatbanken und Vermögensverwaltern. Parallel dazu komplexe Compliance-Aufgaben erfüllen zu müssen, hält die erfahrenen Berater dagegen letztlich nur von ihrer eigentlichen Aufgabe ab. Es ist viel sinnvoller, wenn sie ihre kostbare Zeit damit verbringen, Kunden umfassend zu beraten. Wenn manuelle Aufgaben so weit wie möglich automatisiert werden und Berater nicht mehr gezwungen sind, umständlich Daten zu erheben, Papiere auszufüllen und hin- und herzuschicken, profitieren davon alle. Der Klient freut sich, weil sein Vorgang sehr viel schneller bearbeitet werden kann. Und der Berater ist froh, weil er dadurch seinen manuellen Aufwand und auch die Non-Processing Downtime drastisch reduziert. Die Bank freut sich, denn alle Vorgänge sind revisionssicher dokumentiert. Für Banken und Wealth Managers gilt darum: Die beste Compliance ist eine digitalisierte Compliance.
Autor
Dr. Thomas Beck ist Group Chief Technology Officer und Mitglied der Geschäftsleitung bei Avaloq, einem internationalen Fintech-Unternehmen und führenden Anbieter von integrierten Banklösungen. Er war drei Jahre lang Head of Innovation Development, bevor er 2015 als General Manager of Software Development das Avaloq Executive Board ergänzte. Er verfügt über 20 Jahre IT-Erfahrung in der Finanzindustrie und bekleidete verschiedene Positionen im Senior-Management der UniCredit Bank, bevor er zu Avaloq stieß. Neben seiner Berufserfahrung hat Thomas Beck an zwei der führenden deutschen Universitäten Vorlesungen in Wirtschaft und Finanzmathematik gehalten. Seinen Abschluss in Mathematik und Informatik erwarb er an der Technischen Universität München, wo er auch promovierte.