Mit Hilfe von Stresstests können Unternehmen die potenziellen Auswirkungen von katastrophenähnlichen Ereignissen und krisenhafter Entwicklungen im Detail analysieren und sich präventiv vorbereiten. Stresstests haben sich daher in den vergangenen Jahren zu einem wichtigen Bestandteil des Risikomanagements der Banken entwickelt. Und gerade aus diesem Grund muss die Frage gestellt werden, warum die Mehrzahl der Stresstests die aktuelle Finanzkrise komplett ausgeblendet hatten.
Es ist keine neue Weisheit, dass extreme Ereignisse für alle Unternehmen auch gleichzeitig mit extremen Risiken verbunden sind, die vor allem auch die Risikotragfähigkeit belasten oder gar zur Insolvenz führen können. Daher sind und müssen Stresstests ein wesentlicher Baustein einer umfassenden Risikomessung in Unternehmen, und vor allem in Banken, sein. Erst mit Hilfe von Stresstests können die Institute sicher stellen, dass sie auch in Extremsituationen über genügend Eigenkapital verfügen.
Stresstests sollten nicht nur zu einer höheren Transparenz bei einem einzelnen Institut führen, sondern auch einen wertvollen Beitrag für die Finanzstabilität insgesamt liefern. Daher überrascht es umso mehr, wenn die Bundesbank nach einer im Sommer 2004 durchgeführten Analyse zu dem Ergebnis kommt, dass trotz des beachtlichen Ausmaßes der unterstellten Szenarioschocks, zurzeit keine Gefährdung der Finanzstabilität zu erkennen sei. Fazit der Analyse: Alles im grünen Bereich. Die Bundesbank weist darauf hin, dass sowohl die einzelrisikobezogenen Sensitivitätsanalysen als auch die auf Basis ökonometrischer Modelle entwickelten Makrostresstests dieses Ergebnis nahelegen.
Allen Stresstests liegt eine mehr oder wenige identische Struktur zu Grunde. Die Unternehmen untersuchen, wie stark sich der Wert eines Wertpapier- oder Kreditportfolios bei einem unterstellten Schock in den Risikoparametern verändert. Als Risikoparameter kommen vor allem verschiedene Zinskurven, Wechselkurse, Aktienpreise oder die Ratings der Kreditnehmer in Betracht.
Nicht selten blind für die Realität
Die Bundesbank hatte im Spätsommer 2004 mit Hilfe ökonometrischer Schätzungen eigene Makrostresstests für das deutsche Bankensystem durchgeführt. Neben dem Basisszenario wurden zwei weitere Rahmenszenarien unterstellt. Bei einem Ölpreisszenario wurde ein deutlicher Anstieg des Ölpreises im dritten Quartal 2004 unterstellt, der auch in den folgenden Quartalen auf diesem Niveau verharrt. Die weltwirtschaftliche Entwicklung wird durch den höheren Ölpreis gedämpft und das Wachstum der deutschen Absatzmärkte geht zurück. In einem zweiten Szenario wurden höhere Inflationserwartungen verbunden mit der Unsicherheit auf den Finanzmärkten unterstellt, die zu einem Anstieg der Risikoaufschläge in den Kreditzinsen führen. Daher steigen in diesem Szenario die langfristigen Zinsen weltweit an, was zu einem geringeren Wachstum der deutschen Exportmärkte
führt. Außerdem wird angenommen, dass das ausländische Konkurrenzpreisniveau ansteigt und der Euro nominal gegenüber dem US-Dollar abwertet.
Fahren mit beschlagener Frontscheibe
In dem jüngst veröffentlichten Konsultationspapier "Principles for sound stress testing practices and supervision" weist der Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht darauf hin, dass die Stresstests oft nur als Szenarien durchgespielt wurden, bei denen die Institute maximal einen Quartalsgewinn als Verlust verbuchen. Die jüngste Finanzkrise hat nun aber gezeigt, dass die Risikotragfähigkeit eines Instituts sehr schnell ins Wanken geraten kann. Ergänzend kritisiert der Baseler Ausschuss, dass sich Banken stark an statistischen Vergangenheitswerten orientiert hätten, obwohl die Erfahrung zeigt, dass solche Daten nicht immer gute Indikatoren für die Zukunft seinen. So wurden relativ viele historische Szenarien aus der Russlandkrise 1998, den Ereignissen des 11. September 2001 oder dem Irakkrieg des Jahres 2003 abgeleitet. Es zeigt sich einmal mehr, dass Banken sich im Risikomanagement verhalten wie der Autofahrer, dessen Frontscheibe beschlagen ist und der deshalb mit Hilfe des Rückspiegels fährt.
Im Zusammenhang mit der aktuellen Finanzkrise wurden vor allem neue und komplexe Risiken im Zusammenhang mit CDOs und ABS in den Stressszenarien weitgehend ausgeblendet. Viele Banken hätten außerdem Stresstests nur isoliert für einzelne Geschäftsbereiche, bestimmte Risiken oder Portfolios durchgeführt. Insbesondere wurden systemische Risiken, die Kettenreaktionen an den Finanzmärkten auslösen können, bei Stresstests komplett ausgeblendet.
Der Baseler Ausschuss schlägt in dem aktuellen Konsultationspapier die folgenden Änderungen vor:
- Stresstests sollten ein integraler Bestandteil der Risikokultur und der Corporate Governance sein. Außerdem sollten Stresstests ein integraler Bestandteil der (strategischen) Unternehmenssteuerung sein. Ohne die Unterstützung des Top-Managements wäre eine effektive Umsetzung von Stresstests nicht möglich, so der Baseler Ausschuss. Das Management sollte fähig sein, den Risikoappetit der Bank klar zu definieren sowie die Auswirkungen bestimmter Stressszenarien auf das Risikoprofil der Bank verstehen.
- Stresstests folgen keinem "one-size-fits-all"-Ansatz. Daher sollten Institute ein Stress-Test-Programm aufsetzen, welches die Identifikation und Steuerung von potenziellen Risiken fördert, eine gesamthafte Risikosicht unterstützt, das Kapital- und Liquiditätsmanagement professionalisiert sowie interne und externe Kommunikation unterstützt.
- Stresstests sollten nicht nur isoliert für einzelne Geschäftsbereiche, bestimmte Risiken oder Portfolios durchgeführt werden, sondern einen integrierten Blick auf die gesamt Organisation verfolgen und die Bank aus verschiedenen Perspektiven analysieren.
- Das Stress-Test-Programm sollte im Rahmen einer Prozessbeschreibung und Richtlinie dokumentiert sein. Auch die Ergebnisse müssen schriftlich festgehalten werden.
- Eine Bank sollte eine adäquate und robuste Infrastruktur installiert haben, um flexibel unterschiedliche Methoden und Granularitätsstufen im Rahmen der Stresstests zu berücksichtigen.
- Der Werkzeugkasten und das "Framework" für die Stresstests sollte regelmäßig überprüft und ggf. angepasst werden. Zu diesem Assessment gehören u. a. die folgenden Bereiche: Effizienz der Stresstests, Dokumentation, Systemimplementierung, Managementaufsicht, Datenqualität, Stressannahmen.
- Stresstests sollten eine ganze Breite von Risiken und Geschäftsbereich umfassen. Dies beinhaltet auch ein Blick auf das gesamte Unternehmen, d. h. der Baseler Ausschuss empfiehlt eine integrierte und unternehmensweite Stresssimulation auf Gesamtunternehmensebene und Gesamtrisikoebene.
- Stresstests sollten nicht auf wenige, singuläre Stresspfade begrenzt sein, sondern eine Reihe von zukünftigen Szenarien beinhalten, die jenseits der Vorstellungskraft liegen ("think the unthinkable"). In diesem Kontext sollten vor allem auch externe Expertenschätzungen berücksichtigt werden.
- Banken sollten auch "reverse stress tests" durchführen. Als Ausgangspunkt wird hier ein bestimmtes Stressergebnis unterstellt (beispielsweise Insolvenz oder Liquiditätsprobleme) und in einem nächsten Schritt analysiert, welche Ursachen (auch in einer Verkettung) zu diesem Ereignis führen können. Des weiteren sollten Stresstests Szenarien aufzeigen, die zu extremen Verlusten führen oder auch die Reputation einer Bank massiv beeinflussen.
- "Funding"- und "Asset"-Märkte sind stark miteinander korreliert. Diese Tatsache sollte in Stresstests berücksichtigt werden. Außerdem sollte der massive Rückgang von Marktliquidität als Stressszenarien analysiert werden.
Weitere Informationen zum Konsultationspapier: "Principles for sound stress testing practices and supervision" unter www.bis.org/publ/bcbs147.htm
Download des Artikels "Makroökonomische Stresstests in Banken":
Kommentare zu diesem Beitrag
Leider haben die Banken bei ihren Stresstests allerhöchstens (wenn überhaupt) in den Rückspiegel geschaut (wahrscheinlich haben sie eher in ihre Geldbörse geschaut) ... und nun wundern sie sich auch noch.
Schaut man sich das neue Baseler Diskussions-Papier zu den Stresstests an (Januar 2009), so kann man keine konkreten Hinweise ableiten wie denn nun die zukunftsorientierten Stresstests entwickelt werden sollen. Es gibt keine Normen und das ist typische für den Wandel von der quanitativen zur qualitativen Aufsicht: Die Banken bekommen gesagt dass sie was machen müssen, aber nicht wie. Und so kann jeder wieder nach seinem Gusto werkeln und die Aufsicht wird vielleicht irgendwann mal einen vorsichtigen Kommentar dazu abgeben (sofern sie Mängel rechtzeitig entdecken kann)... Ob das wirklich zu einer Qualitätsverbesserung im Risikomanagement führt?