Wie ist die aktuelle Lage in der Eurokrise zu beurteilen? Entspannt sich die Situation oder wird alles noch schlimmer? Wie schön wäre es, wenn man dazu nicht nur auf vage Stimmungen und subjektive Einschätzungen angewiesen wäre, sondern wenn es dazu einen objektiven Indikator gäbe. Den gibt es tatsächlich. Es sind die sogenannten Target-Salden.
Die Grafik unten zeigt die Entwicklung der Target-Salden der Bundesbank. Seit Beginn der Finanz- und Währungskrise 2007, als die Eurokrise begann, sind sie kontinuierlich gestiegen. Der Höhepunkt lag bei EUR 751 Mrd. Mitte 2012. Das war die Zeit, als viele mit einem Zusammenbrechen der Gemeinschaftswährung rechneten. Dann gingen sie Stück für Stück bis auf EUR 575 Mrd. zurück. Die Spannungen in der Währungsunion nahmen ab. In den letzten zwei Monaten hat sich dieser Prozess jedoch verlangsamt. Kann man daraus schließen, dass die Besserung im Euro zu Ende geht?
Zunächst ein Wort zum Begriff der Target-Salden, der immer noch nicht jedem verständlich ist. Er leitet sich vom Target-System ab. Das ist das Zahlungssystem innerhalb der Währungsunion, das die Europäische Zentralbank zur Erleichterung der grenzüberschreitenden Überweisungen eingerichtet hat. Über dieses System laufen alle Zahlungen zwischen den Mitgliedern der Währungsunion.
Rückläufige Target-Salden: Forderungen der Bundesbank an das Eurosystem [Quelle: ifo Institut]
Wie bei jedem Zahlungssystem entstehen hier Salden, wenn Zahlungsein- und ausgänge eines Landes nicht gleich sind. Deutschland und die Niederlande haben beispielsweise einen positiven Saldo (also mehr Eingänge als Ausgänge), Italien und Spanien einen negativen. Österreich hat einen negativen Saldo, aber einen sehr kleinen.
Solche Salden sind normalerweise kein Problem. In den nationalen Zahlungssystemen werden sie von den beteiligten Banken in die Bücher genommen. Die Notenbanken haben damit nichts zu tun. So war das in den Anfangsjahren auch in der Währungsunion. Es gab daher keine Target-Salden.
Erst mit dem Ausbruch der Eurokrise änderte sich das. Da wollten die Banken plötzlich keine Forderungen und Verbindlichkeiten gegenüber anderen Eurostaaten mehr haben. Sie vertrauten einander nicht mehr. Sie veräußerten die Salden des Zahlungsverkehrs daher unmittelbar an die nationalen Notenbanken. So entstanden die Target-Salden der nationalen Notenbanken. Sie sind juristisch Forderungen beziehungsweise Verbindlichkeiten der nationalen Notenbanken gegenüber dem Eurosystem als dem Träger des Target-Systems.
Der Anstieg der deutschen Target-Forderungen in den letzten Jahren hatte vier Ursachen: 1. Die Leistungsbilanzüberschüsse Deutschlands gegenüber den anderen Staaten des Euroraumes; 2. die deutschen Kapitalimporte aus Ländern des Euroraumes und 3. die zeitweilige Kapitalflucht aus Südeuropa. All das führte zu Zahlungseingängen in Deutschland. Hinzu kam 4. natürlich der Verlust des Vertrauens zwischen den Banken, der die Bundesbank ins Spiel brachte.
Seit Juli 2012 hat sich die Situation verändert. Es gibt bei der Bundesbank per Saldo keine Zahlungseingänge mehr. Vielmehr überwogen die Abflüsse. Hauptgrund dafür ist die Rückkehr der Gelder, die vorher aus den Schuldnerländern geflüchtet waren. Als sich die unmittelbare Gefahr verringerte, dass der Euro auseinanderbrechen könnte oder dass das eine oder andere Land aus dem Euro ausscheiden würde, holten eine Reihe von "Kapitalflüchtlingen" ihr Geld aus Deutschland wieder zurück in die Heimat. Sie erzielten dort mehr Erträge als die Minizinsen, die sie in der Bundesrepublik erhielten.
Diese Rückflüsse gehen jetzt zu Ende. Weitere größere Verbesserungen bei den Target-Salden sind von dieser Seite also nicht mehr zu erwarten. Sie können jetzt nur noch dadurch kommen, dass entweder die Leistungsbilanzsalden innerhalb der Gemeinschaft kleiner werden oder dass mehr Kapital von Deutschland in die Schuldnerländer in Südeuropa exportiert wird. Mit beidem ist kaum zu rechnen.
Dann bleibt als einzige Möglichkeit für eine Verringerung der Target-Salden nur noch, dass wieder Vertrauen in das europäische Bankensystem zurückkehrt. Die Geschäftsbanken müssen wieder bereit sein, grenzüberschreitende Forderungen und Verbindlichkeiten selbst zu halten und sie nicht an die Bundesbank zu veräußern. So ein Aufbau des Vertrauens braucht viel Zeit.
Dies insbesondere auch deshalb, weil es, wie jeder weiß, nach wie vor eine Reihe von Baustellen in der Währungsunion gibt (Griechenland, Italien etc.). Die Tatsache, dass sich die Target-Salden jetzt nur noch langsam zurückbilden, heißt also nicht, dass sich die Lage in der Währungsunion erneut verschlechtert. Sie zeigt nur, dass die Phase der Kapitalflucht vorbei ist. Jetzt geht es um den Kern der Währungsunion, nämlich die Wiederherstellung des Vertrauens auf den Geld- und Kapitalmärkten.
Autor: Dr. Martin W. Hüfner, Chief Economist, Assenagon Asset Management S.A.
[Bildquelle: © mekcar - Fotolia.com]
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Die Direktorin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Christine Lagarde, vertraut auf die Krise als treibende Kraft, die in der Eurozone für mehr Integration sorgen wird. In einem TV-Interview mit der Deutschen Welle zeigte sich die Französin zuversichtlich, dass auch Deutschland langfristig einer Fiskalunion in der Eurozone zustimmen wird. "In Europa, wie schon seine Gründer bemerkt haben, verändern sich die Dinge nur durch Krisen", sagte Lagarde. "Die Euro-Krise hat zu einer Transformation geführt."
Es gebe eine neue Entschlossenheit, die Eurozone zu strukturieren, mit Rücksicht auf Währung, Bankenunion und besserer Integration bezüglich der Fiskalpolitik. "Ich bin mir sicher, dass es auf dem Weg noch viele Hindernisse und Schwierigkeiten geben wird; aber die Reise geht ständig weiter in Richtung mehr Integration", sagte Lagarde. Noch vor einem Jahr habe es sich "ketzerisch" angehört, eine Bankenunion zu propagieren. Nun sei die Situation bereits anders und es gebe den klaren Wunsch nach einer Union.
Lagarde räumte zugleich ein, den "fiskalischen Multiplikatoreffekt einer kombinierten Haushaltskonsolidierung" rund um die Eurozone unterschätzt zu haben und plädierte erneut für mehr Wachstumspolitik in der Eurozone. Mit Blick auf den Haushaltsstreit in den USA mahnte Lagarde, dass "eine der größten Volkswirtschaften der Welt eine globale Verantwortung" habe.