RiskNET-Kolumne Mai 2009

Eine bessere Welt mit mehr Staat und weniger Risikobereitschaft?


Wer die heutige Wirtschafts- und Finanzkrise mit der von 1929/32 vergleicht, muss konsequent sein. Damals läutete die Krise eine Zeitenwende ein. Nichts oder wenig war danach noch so wie vorher. Die Wirtschaft wurde vermehrt vom Staat gesteuert – in den USA war das der New Deal, in Europa vielfach eine Art Staatskapitalismus. Die Banken wurden strengerer Aufsicht unterstellt. In den USA wurden ihre Geschäftsmöglichkeiten beschränkt. In Deutschland wurde der Preiswettbewerb abgeschafft. In der Politik kam es zu tiefen Verwerfungen. Sie führten – nur sechs Jahre nach der Krise – zum Zweiten Weltkrieg.

Könnte es sein, dass wir diesmal vor ähnlich weitgehenden Veränderungen stehen (hoffentlich nicht mit einem so fatalen Ende)? Sicher muss man bei der Identifikation von säkularen Trends vorsichtig sein, insbesondere dann, wenn man sich noch mitten im Umbruch befindet. Der Mensch lässt sich unter dem Eindruck von schwierigen Ereignissen leicht zu übertriebenen Schlussfolgerungen verleiten. Trotzdem möchte ich die These wagen, dass wir heute vor einem Neubeginn stehen. Das wirtschaftliche und finanzielle Geschäftsmodell zumindest der letzten zwanzig Jahre, wenn nicht sogar der gesamten Nachkriegszeit wird in Frage gestellt. Wir werden keine Rückkehr zu den Verhältnissen von vorher bekommen. Ich bin mit dieser These nicht allein. Vor kurzem hat Bill Gross, der Gründer des Investmenthauses Pimco, mit ähnlicher Intention über die "Zukunft des Investierens" sinniert.

Der Staat als Reparaturbetrieb

Noch ist das volle Ausmaß der Veränderungen unklar. Es gibt aber gewisse Trends: Erstens steigt der Einfluss des Staates. Die Blütezeit des Kapitalismus, in der der Markt möglichst viel richten sollte, ist vorbei. Der Glaube an die Selbstheilungskräfte hat Risse bekommen. Auch die Wissenschaft denkt über neue Modelle nach.

Der Staat wird eine größere Rolle spielen – nicht als Rahmensetzer für die marktwirtschaftliche Ordnung, sondern als Reparaturbetrieb. Die Welle der Privatisierungen ist vorbei. Es wird wieder mehr Staatsbetriebe geben. Staatliche Regulierungen werden zunehmen. Es wird mehr Industriepolitik betrieben, nicht nur in Europa (siehe General Motors in den USA). Das ganze wird – zumindest in Deutschland – weiter Soziale Marktwirtschaft heißen, hat aber ein anderes Gesicht als bei Ludwig Erhard. Die Steuern müssen erhöht werden, um die Staatsverschuldung nicht ausufern zu lassen.

Zweitens geht die Umverteilung von "unten nach oben" zu Ende. Gewerkschaften werden aggressiver. Die Lohnquote wird wieder steigen. Flexible, leistungsorientierte Entlohnungsformen durch Boni werden beschränkt. Manager werden nicht mehr so viel verdienen. Auch die Gewinnziele der Unternehmen werden gesenkt. Mehr Bescheidenheit (ob freiwillig oder erzwungen) ist "in".  

Drittens: Die Realwirtschaft tritt wieder mehr in den Mittelpunkt. Banken werden natürlich auch weiter gebraucht, aber nicht mehr so viele und so große. Sie werden auch nicht mehr so schnell wachsen. Das "Leveraging", also die Aufnahme von Kredit anstelle von Eigenkapital zur Erhöhungen der Rentabilität wird zurückgeführt. Unternehmen werden vernünftigere Eigenkapitalquoten anstreben. Komplizierte Finanzierungsformen werden auf einfache und transparente Modelle zurückgeführt.

Viertens: Die Globalisierung wird nicht mehr zunehmen. Globalisierung ist kein Naturgesetz. Es hat in der Geschichte immer Zunahmen und Abnahmen gegeben. Das ist aber ein sensibler Punkt. Auf der einen Seite muss alles getan werden, um eine neue Periode des Protektionismus wie im vorigen Jahrhundert zu verhindern. Andererseits wird es aber eine weitere Intensivierung der internationalen Abhängigkeiten im bisherigen Maß nicht mehr geben können. Eine Exportquote von fast 50 Prozent ist für ein Land wie Deutschland zu hoch. Es wird wieder nationaler gedacht, um die Risiken zu vermindern.

Es ist schwer zu sagen, wie Europa davon betroffen wird. Es könnte sein, dass die Integration auch in der Union stockt. Das wäre die schlechte Lösung. Es könnte aber auch sein, dass Europa profitiert. Wenn man sich schon aus Übersee zurückzieht, dann wendet man sich eher Europa zu, wo die Verhältnisse überschaubarer sind. Das wäre sozusagen die Flucht aus der "weltweiten Globalisierung" in eine "europäische Globalisierung". Dafür spricht, dass die Nationalstaaten Europas auf sich gestellt im weltweiten Wettbewerb keine Chance haben.

Die Risikobereitschaft wird zurückgehen

Fünftens wird sich die Risikobereitschaft der Menschen verringern. Die alte Regel, dass mehr Gewinn nur auf Kosten von mehr Risiken zu erhalten ist, kommt wieder zu Ehren. Die Zuschläge für höhere Risiken werden höher sein. Manche Risiken werden überhaupt nicht mehr eingegangen. Das mindert die Anfälligkeit für künftige Krisen.

Sechstens gibt es auch ein Umdenken in der Altersvorsorge. Die These, dass das Umlagesystem mit den demographischen Veränderungen ausgedient hat und auf Dauer durch eine kapitalgedeckte private Altersvorsorge ersetzt werden muss, gilt nicht mehr. Manche private Pensionskassen, vor allem in den USA, haben Verluste gemacht. Manche Erwartungen an die Lebensversicherungen haben sich nicht erfüllt. Vermutlich wird es in Zukunft beides geben – ein Umlagesystem und eine kapitalgedeckte Altersvorsorge.

Siebtens: Als Folge all dieser Veränderungen wird das gesamtwirtschaftliche Wachstum zurückgehen. Wenn es weniger Risikoneigung gibt und weniger Arbeitsteilung, dafür aber mehr Staat, dann leiden darunter auch Innovationskraft und Unternehmertum als Grundvoraussetzungen wirtschaftlichen Fortschritts.

Ob das insgesamt eine bessere Welt ist, darüber mag man streiten. In jedem Fall ist es eine andere Welt. Manches ist positiv, etwa die Rückbesinnung auf den gesunden Menschenverstand und die Verabschiedungen von übertriebenen Ansprüchen. Manches ist negativ, etwa das langsamere Wachstum, der Verlust an Innovationskraft oder die Stärkung des Staates (der in der Vergangenheit ja auch nicht alles besser gemacht hat). Politisch ist es ein Linksruck.

Autor: Dr. Martin W. Hüfner, Chief Economist, Assenagon Asset Management S.A.

Kommentare zu diesem Beitrag

Jody /27.04.2009 11:13
Punkt fünf (Risikobereitschaft der Menschen wird sich reduzieren) ist sicherlich richtig und wird auch genauso kommen (mit dem Ergebnis, dass auch die Chancen weniger werden). Dummerweise wird diese Zurückhaltung nur eine kurze Zeit anhalten und dann (schon recht bald) zu einer neuen Blase führen ... ;-)
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