Die große Koalition der Unschuldigen

Eine Koalition von Inkompetenz und Pseudo-Kontrollorganen


In den vergangenen Wochen waren Politiker schnell dabei, Vorstände von Banken "gnadenlos" für Ihr Versagen im Zusammenhang mit der aktuellen Finanzkrise zur Verantwortung zu ziehen. Was in diesem Zusammenhang fast immer ausgeblendet wird, ist das Versagen der Politik in der Rolle ihrer Aufsichtstätigkeit der in den Subprime-Strudel geratenen Banken (allen voran die IKB, die SachsenLB und die WestLB) sowie der Regulatoren (Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, BaFin). Die staatseigene KfW ist mit einem Anteil von 38 Prozent größter Aktionär der IKB. Unter der Überschrift „Die große Koalition der Unschuldigen“ kritisierte jüngst „Die Zeit“ das Versagen der größten deutschen Staatsbank, die durch Fehlspekulationen und das Versagen ihrer Aufseher fünf Milliarden Euro Steuergeld verliert. Im besten Fall, im schlechtesten Fall könnten es auch 15 Mrd. Euro sein.

In der aktuellen Diskussion dreht sich die Frage nach der Schuld immer um die Rolle der Ratingagenturen und das Versagen der Unternehmenslenker. Die Frage nach der Rolle der Aufseher – in Form von Aufsichtsräten, Wirtschaftsprüfern und Regulatoren – wird nicht diskutiert. Und schon garnicht von der politischen Klasse. Mit fünf Mrd. Euro könnte Bundesfinanzminister Peer Steinbrück gleich drei Exzellenzinitiativen zur Förderung der Spitzenforschung an Universitäten bezahlen, so „Die Zeit“. Mit 15 Mrd. Euro könnte er die aktuelle Neuverschuldung von 14,3 Mrd. Euro des Bundeshaushalts 2007 mit einem Schlag tilgen.

Ein schlechter Witz: Komplexität als Entschuldigung

„Es gibt Bankvorstände, die der Komplexität dessen, was sie tun, nicht gewachsen sind“, so die immer wiederholte Floskel von Peer Steinbrück. Man könnte ergänzen: Leider verstanden auch die Aufsichtsorgane viel zu wenig von den komplexen Produkten, die schließlich zur aktuellen Subprime-Krise geführt haben. In den Aufsichtsorganen der IKB bzw. KfW sitzen vor allem Politiker, so etwa Jörg Asmussen aus dem Bundesministerium der Finanzen oder Jens Baganz, Staatssekretär im Ministerium für Wirtschaft, Mittelstand und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen. Und leider hat auch die dem Bundesfinanzministerium unterstellte BaFin in den vergangenen Monaten keine besonders glückliche Figur beim Krisenmanagement abgegeben.

Ein Blick auf den Aufsichtsrat der KfW reicht aus, um sich das Ausmaß der (Risikomanagement- und Banken)Inkompetenz auch nur grob vorzustellen: Michael Glos (Bundesminister für Wirtschaft und Technologie), Peer Steinbrück (Bundesminister der Finanzen), Frank Bsirske (ver.di), Kurt Faltlhauser (Staatsminister des Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen a.D.), Sigmar Gabriel (Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit), Peter Jacoby (Minister der Finanzen des Saarlandes), Roland Koch (Ministerpräsident des Landes Hessen), Oskar Lafontaine (Mitglied des Deutschen Bundestages), Helmut Linssen (Minister der Finanzen des Landes Nordrhein-Westfalen), Matthias Platzeck (Ministerpräsident des Landes Brandenburg), Horst Seehofer (Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz), Frank-Walter Steinmeier (Bundesminister des Auswärtigen), Heidemarie Wieczorek-Zeul (Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) verstehen sicherlich eine Menge von Selbstinzenierung, Rhetorik und politischem Theater, aber nur sehr wenig von komplexen Verbriefungstransaktionen, Special Purpose Verhicles und Risikomanagement.

Bankfachleute oder Risikomanagement-Experten findet man in der Kontrollorganen nur wenige. Die Struktur von Conduits und Structured Investment Vehicles durch Asset-backed Commercial Papers (ABCP) haben nur noch wenige Experten verstanden. Diese haben weiter fleißig ihre Risiken in Pakete gepackt, weitergereicht, weiter verpackt, verkauft und die Intransparenz soweit erhöht, dass nur noch Verbriefungs- und Risikomanagement-Profis Risiken erahnen konnten. Ein Blick in die reale Welt der US-Immobilienmärkte hätte jedoch auch dem Nicht-Experten relativ schnell verdeutlicht, dass alle Marktteilnehmer auf einem Pulverfass saßen und die einzige Unbekannte im Spiel der Zeitpunkt der Explosion war.

Die große Koalition der Unschuldigen

Trotzdem fühlen sich alle Aufseher unschuldig. Und ein Gutachten der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers bestätigt das grundsätzlich auch. Dessen Fazit lautete, „dass der Vorstand den Aufsichtsrat insgesamt nur unzureichend über das wirtschaftliche Gesamtbild der IKB informierte […] Dem Aufsichtsrat war es damit nicht möglich, die besondere Risikosituation, die zur Existenzkrise der IKB führte, zu erkennen.“

Diese Sichtweise greift zu kurz. Eine steuernde Überwachung durch den Aufsichtsrat ist nur möglich, wenn dieser auch aktiv Informationen einfordert. Hierzu genügt ein Blick in den Deutschen Corporate Governance Kodex: Die Versorgung des Aufsichtsrats mit allen kontrollrelevanten Informationen ist entscheidende Voraussetzung einer funktionsfähigen Überwachung. Die Sicherstellung dieser notwendigen Informationsgrundlage der Überwachungstätigkeit ist Aufgabe des Vorstands ("Bringschuld") und des Aufsichtsrats ("Holschuld").

KfW-Chefin Ingrid Matthäus-Maier verweist entschuldigend auf die hohe Komplexität der Geschäfte. Manche Verträge seien 400 Seiten dick und schwer zu durchschauen. Wer so agiert und nach dem Prinzip „Augen zu und durch“ ein Unternehmen führt, ist schlichtweg fehl am Platz und sollte sich auf weniger komplexe Themen konzentrieren (vielleicht gehört die politische Bühne dazu). Ein adäquates Risikomanagement unterstützt die Entscheider dabei, die Komplexität zu reduzieren und Entscheider in die Lage zu versetzen, bessere Entscheidungen zu treffen. Allerdings müssen die Erkenntnisse des Risikomanagements dann in den Entscheidungen auch berücksichtigt werden. Denn die Summe unserer Erkenntnisse besteht aus dem, was wir gelernt, und aus dem, was wir vergessen haben.

Finanzzyklen haben ihren Ursprung in einer Woge von Optimismus

Vergessen haben die meisten Marktteilnehmer, dass Finanzzyklen ihren Ursprung in einer Woge von Optimismus haben, in der Risiken massiv unterschätzt werden. Ergebnis: Eine überhöhte Kreditgewährung, ein übermäßiger Anstieg der Preise von Vermögenswerten, Überinvestitionen in Sachanlagen und in einigen Fällen ein allzu ausgabefreudiges Verbraucherverhalten. Schließlich müssen - wenn sich wieder realistischere Erwartungen dominieren - die während des Booms entstandenen Ungleichgewichte wieder korrigiert werden, was sowohl im Finanzsystem als auch in der Realwirtschaft zu erheblichen Turbulenzen führt. Und in der Retrospektive zeigt sich, dass die am stärksten ausgeprägten Finanzzyklen der letzten Jahrzehnte ihre Ursache in der Entwicklung der Immobilienpreise hatte. Stürmisch verlaufende Zyklen auf diesem Markt lagen vielen der Probleme zugrunde, mit denen Banken in Australien, Finnland, Japan, Norwegen, Schweden, den USA und dem Vereinigten Königreich in den vergangenen Jahrzehnten zu kämpfen hatten.


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