Die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute sehen das deutsche Wachstum deutlich pessimistischer als noch im Herbst 2018. In ihrem Frühjahrsgutachten nahmen die Ökonomen, wie vor ihnen schon die sogenannten "fünf Weisen" und andere Forscher, eine deutliche Abwärtsrevision ihrer Prognose für die Konjunktur in Deutschland vor, die sie mehr als halbierten.
Die Institute erwarten nun für 2019 einen Zuwachs des Bruttoinlandsproduktes (BIP) um 0,8 Prozent. Im September 2018 hatten sie noch 1,9 Prozent Wachstum vorhergesagt. Hingegen bestätigen die Institute ihre vorherige Prognose für das Jahr 2020: Das BIP dürfte dann um 1,8 Prozent zunehmen, erklärten sie.
"Der langjährige Aufschwung der deutschen Wirtschaft ist zu Ende", konstatierte der Vizepräsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH), Oliver Holtemöller. Wegen politischer Risiken hätten sich die weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen weiter eingetrübt. Der Konjunktureinbruch in der zweiten Jahreshälfte 2018 sei jedoch vor allem auf Produktionshemmnisse in der Industrie zurückzuführen.
"Die Gefahr einer ausgeprägten Rezession halten wir jedoch bislang für gering", erklärte Holtemöller. Dies gelte, solange sich die politischen Risiken nicht weiter zuspitzten. Komme es zu einem No-Deal-Brexit, dürfte das Wirtschaftswachstum in diesem und im kommenden Jahr nach Einschätzung der Forscher "deutlich niedriger ausfallen als in dieser Prognose ausgewiesen".
Arbeitslosigkeit geht weiter zurück
Der Beschäftigungsaufbau wird nach der Prognose voraussichtlich an Fahrt verlieren. Die Zahl der Arbeitslosen soll dennoch auf 2,19 Millionen in diesem und 2,09 Millionen Menschen im nächsten Jahr sinken. Damit gehe die Arbeitslosenquote von 4,8 Prozent im Jahr 2019 auf 4,6 Prozent im Jahr 2020 zurück. Die Verbraucherpreisinflation werde sich voraussichtlich von 1,5 Prozent im Durchschnitt dieses Jahres auf 1,8 Prozent im nächsten Jahr erhöhen. Dabei sollte der binnenwirtschaftliche Preisauftrieb zunehmen.
Nach der Prognose der Institute steigen die Konsumausgaben der privaten Haushalte 2019 um 1,3 Prozent und 2020 um 1,6 Prozent und die Ausrüstungsinvestitionen dieses Jahr um 2,1 Prozent und nächstes Jahr um 2,8 Prozent. Die Exporte sollen 2019 um 2,8 Prozent und 2020 um 4,3 Prozent zunehmen, die Importe dieses Jahr um 5,4 Prozent und kommendes Jahr um 5,1 Prozent.
Für den gesamten Prognosezeitraum erwarten die Institute kräftige Finanzierungsüberschüsse des Staates, die allerdings deutlich kleiner werden dürften. Habe der historische Rekord im vorigen Jahr noch bei 58 Milliarden Euro gelegen, dürften es nach den Berechnungen der Institute in diesem Jahr 41,8 Milliarden und im nächsten Jahr 35,6 Milliarden Euro sein.
Schwarzer Null nicht hinterhersparen
Die Finanzpolitik sollte angesichts der konjunkturellen Abkühlung die automatischen Stabilisatoren wirken lassen, rieten die Institute. Um einer schwarzen Null im Budget willen sollte nach ihrem Rat "der Konjunktur nicht hinterhergespart werden", denn konjunkturbedingte Defizite ließen die deutsche Schuldenbremse und das europäische fiskalpolitische Regelwerk ausdrücklich zu.
Die Risiken für die deutsche und die weltweite Konjunktur hätten sich gegenüber dem Herbst 2018 vergrößert, betonten die Ökonomen. Auf internationaler Ebene lägen Gefahren im Handelsstreit zwischen den USA und China sowie im weiterhin ungeklärten Brexit-Verfahren. National sahen sie vor allem Belastungen für die Konjunktur durch den Fachkräftemangel, Lieferengpässe sowie Schwierigkeiten in der Autoindustrie.
Weil sich die Wirtschaftslage inzwischen spürbar eingetrübt hat, hatten auch die Wirtschaftsweisen für dieses Jahr nur noch ein Wachstum von 0,8 Prozent und die führenden Bankenvolkswirte eines von lediglich 0,7 Prozent vorausgesagt. Auch einzelne der Institute, die die Gemeinschaftsdiagnose erstellen, hatten bereits abwärts revidiert.