Die Produktion für Unternehmen im Verarbeitenden Gewerbe dürfte in Deutschland im Jahr 2022 um 2,5 Prozent und im Jahr 2023 um rund 5 Prozent schrumpfen, so eine aktuelle Analyse von Deutsche Bank Research. Nicht ganz überraschend werden die größten Rückgänge in den energieintensiven Industrien erwartet. Die Unternehmen in diesen Sektoren haben bereits die meisten kurzfristigen Maßnahmen umgesetzt, um von Gas auf andere Energieträger umzusteigen oder die Energieeffizienz weiter zu erhöhen.
Weitere Schritte waren und sind die Drosselung der Produktion, die Schließung einzelner Werke und/oder die Verlagerung der Produktion in Fabriken im Ausland mit niedrigeren Energiekosten. "Wenn wir in etwa zehn Jahren auf die aktuelle Energiekrise zurückblicken werden, könnten wir diese Zeit als Ausgangspunkt für eine beschleunigte Deindustrialisierung in Deutschland betrachten", so Eric Heymann, Autor der Analyse. Der Anteil des Verarbeitenden Gewerbes an der gesamten Bruttowertschöpfung in Deutschland (20,8 Prozent im Jahr 2021, 22,9 Prozent im Jahr 2016) wird in den nächsten Jahren voraussichtlich sinken. Die künftige Regulierung der Energiemärkte und Energiepreise ist ein wichtiger Unsicherheitsfaktor und wird die Entwicklung der Industrie in Deutschland beeinflussen.
Die geplanten Gas- und Strompreisbremsen werden zwar die negativen Folgen der hohen Energiepreise für die Unternehmen abmildern. Doch es dürfte klar sein, dass es den Staat finanziell überfordern würde, wenn er auch mittelfristig die Energiepreise für industrielle Endkunden (vor allem Gas) spürbar subventionieren wollte. Eric Heymann weiter: "Wir sind pessimistischer für den Industriestandort Deutschland als für die großen deutschen Industrieunternehmen, die ihre Aktivitäten besser internationalisieren und Produktionsstandorte nach ihren individuellen Kosten- und Kundenstrukturen wählen können. Für den deutschen Mittelstand, insbesondere in den energieintensiven Branchen, wird die Anpassung an eine neue Energiewelt eine größere Herausforderung, an der manche Unternehmen scheitern werden."
Steigende Energiepreise und die Sorge um die Sicherheit der Gasversorgung sind die Hauptursachen für den jüngsten starken Rückgang der Geschäftserwartungen. Dies bestätigen auch andere Analysen, etwa vom ifo-Institut. Der ifo Geschäftsklimaindex ist im September auf 84,3 Punkte gefallen, nach 88,6 Punkten (saisonbereinigt korrigiert) im August. Dies ist der niedrigste Wert seit Mai 2020. Der Rückgang zieht sich durch alle Wirtschaftsbereiche. Die Unternehmen bewerteten ihre aktuelle Geschäftslage klar schlechter. Der Pessimismus mit Blick auf die kommenden Monate hat deutlich zugenommen. Die deutsche Wirtschaft rutscht in eine Rezession. "Im Vergleich zum gesamten Verarbeitenden Gewerbe ist der Rückgang in den energieintensiven Branchen (Chemie, Metallerzeugung, Baustoffe, Papier) deutlich ausgeprägter. Hier liegen die Geschäftserwartungen zum Teil niedriger als während der Corona-Pandemie." Die Investitionsgüterproduzenten sind bisher weniger pessimistisch als die energieintensiven Industrien, obwohl auch hier die Geschäftserwartungen deutlich gesunken sind, so die Analyse.
Ein Grund für den geringeren Stimmungseinbruch bei den Investitionsgüterproduzenten dürfte sein, dass die Auftragsbestände in der Automobilindustrie sowie in der Elektrotechnik und im Maschinenbau nach wie vor auf einem Rekordhoch liegen. Dieser Auftragsbestand ist auf die höhere Nachfrage nach den ersten Corona-Wellen zurückzuführen, die aufgrund von parallelen Unterbrechungen der Lieferkette nicht vollständig produktionswirksam wurden. Eric Heymann: Der Auftragsbestand wird die Kapazitätsauslastung in den jeweiligen Sektoren in den kommenden Monaten stützen. Es ist jedoch mehr als wahrscheinlich, dass einige der bestehenden Aufträge aufgrund höherer Preise, steigender Zinssätze oder einer verschlechterten wirtschaftlichen Lage der Kunden storniert werden, so die Erwartungen der Analysten. Im privaten Wohnungsbau sind die Stornierungen von eingereichten Aufträgen in den letzten Wochen bereits gestiegen. Die Stornierungswelle im Wohnungsbau steigt von Monat zu Monat an. Im September 2022 waren 16,7 Prozent der befragten Unternehmen davon betroffen, nach 11,6 Prozent im August, so Analysen des ifo Instituts. "Aufgrund der explodierenden Material- und Energiepreise sowie der steigenden Finanzierungszinsen ist die Planungssicherheit dahin. Die Baukosten steigen immer weiter. Für einige Bauherren ist das alles nicht mehr darstellbar, sie stellen Projekte zurück oder ziehen ganz die Reißleine", sagt ifo Forscher Felix Leiss. Und auch die Industriekunden werden sich im aktuellen wirtschaftlichen Umfeld mit Investitionen in neue Maschinen, Anlagen oder Gebäude zurückhalten.
Die Gewinn- und Verlustrechnungen der Unternehmen sowie die Liquiditätssituation werden unter Druck geraten, wenn die Absicherungsverträge für die Energiebeschaffung Ende 2022 oder 2023 auslaufen, so die Autoren von Deutsche Bank Research weiter. Sie sehen viele kurz- und mittelfristige Unsicherheitsfaktoren für die Entwicklung der Energiepreise:
- Globale Gasnachfrage in Zeiten einer schwachen Weltwirtschaft,
- Ausbau der globalen Gasexploration sowie der LNG-Export-, Transport- und Importinfrastruktur,
- Regulierung der Gas- und Strompreise für gewerbliche Kunden in der EU (beispielsweise konkrete Ausgestaltung der Gas- und Strompreisbremse).
[Quelle: Deutsche Bank Research, Deutschland Monitor vom 5. Oktober 2022]