Bislang haben wir mit der E-Bewertung in der Prozess-FMEA stets die Fähigkeit einer oder mehrerer Entdeckungsmaßnahmen bewertet, eine Ursache oder deren Auswirkungen rechtzeitig zu entdecken. Dies war aus unserer (deutschen) Sicht auch sinnvoll, um das Risiko im Prozess abschätzen zu können. Der genaue Ort der Entdeckung war für die Qualität der Entdeckung irrelevant.
Nach dem neuen Standard wurde die Möglichkeit genommen nach der (subjektiv) realen Entdeckung zu bewerten. Es wurde zusätzlich als weiteres Kriterium für die E-Bewertung der Ort bzw. Zeitpunkt der Entdeckung mitberücksichtigt. Das bedeutet, dass die E-Bewertungen zwar leichter zuzuweisen sind, da sich diese durch die Beschreibungen und das zusätzliche Kriterium stärker voneinander unterscheiden, dafür aber nicht mehr an die reale Entdeckung angepasst werden sollten. Als Beispiel sind hier gute optische Prüfungen von systematischen Fehlern schlechter zu bewerten, als schlechte maschinelle Prüfungen von zufälligen.
Künftig wird bei AIAG-VDA der Wertschöpfungsverlust in der Bewertung bezüglich der Entdeckungsdistanz berücksichtigt. Dies möchten wir hier zur allgemeinen Diskussion stellen.
In Tab. 01 ist ein vereinfachter, sinngemäßer Ausschnitt aus der AIAG-VDA E-Bewertungstabelle Prozess-FMEA 2019 wiedergegeben.
E | Entdeckungsmöglichkeit |
1 | Fehlerursache physisch verhindert (konstruktives oder prozess-technisches PokaYoke) |
2 | Entdeckt Fehlerursache, vermeidet Fehlerart und verhindert Output (maschinelles Poka-Yoke) |
3 | Entdeckt Fehlerart an der Arbeitsstation und verhindert Output (maschinell) |
4 | Entdeckt Fehlerart an der nachfolgenden Arbeitsstation und verhindert Output (maschinell) |
5 | Entdeckt Fehlerart oder -ursache und signalisiert Fehler (automatisch o. halbautomatisch) |
6 | Entdeckt Fehlerart oder -ursache (menschlich) |
Tab. 01: Vereinfachter, sinngemäßer Ausschnitt aus der AIAG-VDA E-Bewertungstabelle Prozess-FMEA 2019
Das bedeutet, je später ein Fehler entdeckt wird, desto höher die Kosten in Bezug auf Nacharbeit oder Ausschuss (welche wir normalerweise in den Prozess-Folgen und der B-Bewertung bereits berücksichtigt haben) und desto höher auch die E-Bewertung. Dafür werden in keinem offiziellen Attribut die Kosten der Entdeckungsmaßnahme separat berücksichtigt.
Abb. 01: Wann wird der Fehler bezüglich der Wertschöpfung entdeckt?
Abb. 01 zeigt eine "alte" E-Bewertung nach einer realen Entdeckungseinschätzung (rechtzeitig bezüglich der Absicherung des Kunden), die mit dem Attribut "W" (Wertschöpfungsverlust) ergänzt wurde.
Der Aspekt des Wertschöpfungsverlusts und ebenso die Kosten der Maßnahmen sind unserer Meinung nach wichtig und nicht vernachlässigbar. Wir sind der Meinung, dass es das zentrale Ziel der P-FMEA ist, den Durchschlupf defekter oder fehlerhafter Produkte zum Kunden zu verhindern bzw. zu minimieren. Dieser Durchschlupf konnte in einer zusätzlichen ExA Matrix dargestellt werden.
Durch das neue Bewertungskriterium ist eine ExA Matrizen Auswertung nicht mehr sinnvoll bezüglich der echten Entdeckung möglich. Die Aussagekraft der E-Bewertung ist somit nicht mehr eindeutig und klar, da in der Praxis noch immer viele Teams die effektive Entdeckbarkeit bewerten. Diese bietet bei der Analyse und dem Verständnis einige Vorteile. Wir vermuten, dass in nächster Zeit die Ergebnisse von FMEAs heterogen bezüglich der Entdeckung und somit fehlerbehaftet sein werden.
Fazit
Mit der AIAG-VDA-P-FMEA-E-Bewertung können wir leben, da die Zuordnung eindeutiger und die AP-Tabelle großzügiger ist. Die Voraussetzung ist allerdings, dass die Entdeckungswahrscheinlichkeit aus den Köpfen aller Beteiligten in nächster Zeit verschwindet.
Ein möglicher Weg wäre, dass der Wertschöpfungsverlust und die Maßnahmenkosten durch einen oder zwei eigene Bewertungsfaktoren oder in Form von Kommentaren, Anmerkungen oder Notizen in die FMEA einfließen. Dann könnte die E-Bewertung nach wie vor den Fokus auf die Fähigkeit der Entdeckungsmaßnahme gelegt werden. Ob diese Möglichkeit allerdings in AIAG Kreisen Zustimmung findet, halten wir in den nächsten Jahren für nicht realistisch. Allerdings schadet es der Methode sicher nicht, wenn in Fachkreisen darüber diskutiert wird.
Autor:
Martin Werdich, FMEAplus Akademie GmbH
[Der Beitrag wurde in der Zeitschrift FMEA Konkret, Ausgabe 12/2021, S. 18-19, veröffentlicht und wird auf RiskNET mit freundlicher Genehmigung der Redaktion veröffentlicht]