Zwischen 80 und 90 Prozent aller Devisentransaktionen werden in US-Dollar abgewickelt und über 60 Prozent aller Devisenreserven weltweit sind US-Dollar. Dabei werden lediglich 18 Prozent der globalen Güter in den USA produziert. Dieses Verhältnis verdeutlicht die globale Bedeutung des US-Dollars. Der US-Dollar ist für den internationalen Handel die Leitwährung. Dies hat fast schon den Charakter eines Naturgesetzes – beziehungsweise: hatte. Denn mit dem Aufstieg Chinas und anderer Entwicklungsländer wird der Status des US-Dollars immer stärker angezweifelt – und zwar global. Aber zunächst der Reihe nach…
Bretton Woods als Ausgangspunkt
Im beschaulichen Bretton Woods im Bundesstaat New Hampshire nahm alles seinen Lauf. Delegierte aus 44 Staaten trafen sich im Juli 1944 auf Einladung des damaligen US-Präsidenten Theodore Roosevelt zur Währungs- und Finanzkonferenz der Vereinten Nationen. Aufgrund der dominanten, politischen Rolle der USA in den Nachkriegswirren des Zweiten Weltkriegs ergab sich fast zwangsläufig eine wirtschaftliche Vormachtstellung eben dieser.
Der US-Dollar löste das britische Pfund als wichtigste Währung im internationalen Handel ab. Denn Großbritannien war durch den Zweiten Weltkrieg finanziell stark geschwächt. Zahlreiche Regierungen banden ihre Währungen an den durch Goldreserven gedeckten US-Dollar. Maßgeblicher Architekt des sog. Bretton-Woods-Systems war der US-amerikanische Volkswirt und Politiker Harry Dexter White, der später – während des Kalten Kriegs – als Spion für die Sowjetunion überführt wurde. Für White war ein "System der staatlichen Lenkung" das Modell der Zukunft, sowohl für die Sowjetunion als auch für die USA. Neben dem "Kommunisten im Kapitalistenpelz" White gilt auch John Maynard Keynes als zentrale Figur bei der Gründung des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank in Bretton Woods.
Der britische Ökonom, Politiker und Mathematiker Keynes wollte eine gegenseitige Verrechnungsstelle von Guthaben und Schulden zwischen den teilnehmenden Ländern schaffen. Diese zentrale "Clearing Union" Bancor sollte neues Buchgeld schaffen. Im Gegensatz hierzu sah White vor, gleich den US-Dollar als Weltreservewährung zu etablieren. Und diese sollte durch Gold gedeckt sein. Durchgesetzt hatten sich schließlich die USA, die in der Folge des Krieges die größte wirtschaftliche und militärische Weltmacht aufgebaut hatten. Interessant ist in diesem Kontext, dass White sich die Kontrolle über die Beschlussprotokolle gesichert hatte und die Delegationen über die wirklich relevanten Punkte uninformiert blieben, so dass vor allem Nebenschauplätze diskutiert wurden. Insbesondere über die geplante zentrale Rolle des US-Dollars als internationale Leitwährung wurde nicht gestritten, da das Thema den Delegierten nicht transparent dargelegt wurde.
Die Golddeckung wurde zwar rund 30 Jahre später, als durch den Vietnamkrieg so viel Geld gedruckt wurde, dass dies nicht mehr mit einer Golddeckung aufrechterhalten werden konnte, abgeschafft. Der US-Präsident Richard Nixon beendete die Eintauschbarkeit von US-Dollar gegen Gold zum festen Preis von 35 Dollar je Unze. Für ausländische Notenbanken, die zuvor statt Gold Dollars in ihren Tresorräumen bunkerten, bedeutete dies, dass diese um ihr Eintauschversprechen (Gold gegen Devisen) betrogen wurden. Trotzdem blieb der US-Dollar weiterhin die globale Leitwährung.
Schuld sind immer die anderen
Obwohl der Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems im Kern mit einer Bankrotterklärung der USA gleichgesetzt werden kann, begründete Nixon die Entscheidung mit einer angeblichen Stärkung des US-Dollars. Und die Schuld an der Vertrauenskrise des Dollars schob er den "internationalen Geldspekulanten" in die Schuhe: "Die Gewinner sind die internationalen Geldspekulanten. Weil sie von Krisen leben, helfen sie mit, Krisen zu schaffen. In den letzten Wochen haben die Spekulanten einen Krieg mit allen Mitteln gegen den amerikanischen Dollar entfacht. Die Stärke der Währung einer Nation beruht auf der Stärke ihrer Wirtschaft – und die amerikanische Wirtschaft ist die bei weitem stärkste der ganzen Welt. Dementsprechend habe ich den Finanzminister beauftragt, die zur Verteidigung des Dollars gegen Spekulanten erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen. Ich habe Finanzminister Connally angewiesen, vorübergehend die Konvertibilität des Dollar in Gold oder andere Reservemittel auszusetzen […]".
Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Nixon von "vorübergehend" sprach. Denn aus "vorübergehend" wurde final. Und wenn man sich mit den tatsächlichen Ursachen des Zusammenbruchs beschäftigt, kommt man zu einem völlig anderen Ergebnis. So hat beispielsweise der belgisch-US-amerikanische Ökonom Robert Triffin bereits im Jahr 1959 den grundlegenden Konstruktionsfehler des Systems von Bretton Woods analysiert.
Die unter dem Begriff Triffin-Dilemma bekannte Analyse zeigt auf, dass der US-Dollar als Reservewährung nicht funktionieren konnte. Denn unter dem Bretton-Woods-System war der US-Dollar an Gold gekoppelt und die übrigen Währungen an den Dollar. Wenn Staaten ihre Geldmengen erhöhen wollten, mussten sie auch höhere Dollarreserven zur Deckung anlegen. Das Dilemma lag nun darin, dass die USA nur begrenzte Möglichkeiten hatten, mehr Gold zur Deckung dieser nachgefragten US-Dollars zu schaffen. Im Ergebnis führte dies zu immer größeren Dollarmengen, die nicht durch Gold gedeckt waren. Und hieraus resultierte ein massiver Vertrauensverlust gegenüber dem US-Dollar. Mit ein wenig Geschichtsverständnis hätte man das Szenario erahnen können: Bereits der schottische Nationalökonom und Bankier John Law of Lauriston löste als Chef der Banque Générale in Paris und Direktor der Mississippi-Compagnie einen Bank-Run aus. Kurz nachdem die Banque Générale im Jahr 1718 zur mächtigen Staatsbank "Banque Royal" wurde, sollte es nicht mehr lange dauern bis die sog. Mississippi-Blase platzte und eine geldpolitische Katastrophe auslöste. Die Bank hatte Papiergeld ausgegeben und versprochen, dieses jederzeit – basierend auf der Logik Edelmetall gegen "Quittung" – wieder gegen Gold- und Silbermünzen einzutauschen. Da das Verspechen nicht eingelöst werden konnte, war das Ergebnis ein völliger Kollaps der Bank, eine galoppierende Inflation und eine gesellschaftliche Katastrophe.
Doch die Amerikaner suchten einen anderen Ausweg aus der Bretton-Woods-Krise. So schlossen sie im Jahr 1973 eine Vereinbarung mit Saudi-Arabien, Erdöl des Königreichs von nun an nur noch gegen US-Dollar zu kaufen. Und die Devisen wurden von den Ölscheichs dann wieder in amerikanische Staatsanleihen reinvestiert. Schnell folgten weitere erdölexportierende Länder diesem System und die Leitwährung des US-Dollars war geboren.
Der Vorteil für die USA liegt auf der Hand: Da alle Staaten weltweit US-Dollar benötigen, herrscht eine konstant hohe Nachfrage nach der Währung. Selbst bei einer hohen Staatsverschuldung bleibt der US-Dollar stabil. Und die USA sind wohl das einzige Land weltweit, das seine Schulden durch den Druck neuen Gelds "wegdrucken" kann. Gleichzeitig können politisch "unliebsame" Länder erheblich unter Druck gesetzt oder gar vom US-Dollar abgeschnitten werden.
Zinsniveau der Leitwährung
Die Leitwährung wird typischerweise von den internationalen Anlegern mitfinanziert und auch das Zinsniveau der zugrundliegenden Zentralbank – im Falle der USA ist das die US-Notenbank Fed (Federal Reserve System) – entwickelt eine globale Bedeutung. Dies zeigte sich in den letzten Monaten bei der Zinswende in Folge der Null- und Negativzinspolitik. Um Abwertungen ihrer eigenen Währungen zu verhindern, konnten sich zahlreiche andere Länder den Zinserhöhungen der Fed nicht entziehen und erhöhten ebenfalls schrittweise ihre Leitzinsen. Der US-Dollar dominiert mit einem Anteil von gut 60 Prozent die Reservehaltung. Der Euro hingegen kommt auf lediglich 20 Prozent.
Europa ist kein ernsthafter Player
Viele Länder beklagen mittlerweile die dominante Rolle des US-Dollars und insbesondere seine häufig politische Agenda. Auch der französische Staatspräsident Emmanuel Macron beklagte sich unlängst über die privilegierte Rolle des US-Dollars. Allerdings: Zur Wahrheit gehört auch, dass eben Frankreich einer der zentralen Gründe ist, warum der Euro den Dollar nicht einholt.
Nachdem das Bretton-Woods-System im Jahr 1973 zusammengebrochen war, stieg die D-Mark zur Leitwährung in Europa auf. Der französische Franc war eher weich. Als dann Anfang der 2000er der Euro eingeführt wurde, sah es zunächst danach aus, dass die Dominanz des Dollars gebrochen werden könnte, da die EZB in den europäischen Verträgen nach dem Vorbild der Deutschen Bundesbank verankert wurde. Durch den fortschreitenden Umbau der EZB nach dem Vorbild der Banque de France, die vor Einführung des Euros maßgeblich zur Finanzierung der Staatsausgaben beitrug, schwächte sich die Position des Euros. Durch die gigantischen Staatsanleihenkäufe unter dem Italiener Mario Draghi und der Französin Christine Lagarde – die in den Jahren 2011 bis 2019 geschäftsführende Direktorin des US-dominierten Internationalen Währungsfonds (IWF) war – verlor der Euro seine Position als Herausforderer des US-Dollars an den chinesischen Yuan.
Yuan als Weltwährung?
Der wirtschaftliche Aufstieg Chinas lässt immer wieder Stimmen laut werden, dass der Yuan zur Weltwährung aufsteigen könne. Seit 2016 ist er auch bereits im Währungskorb des IWF. Allerdings halten die Zentralbanken aktuell nur rund zwei Prozent ihrer Reserven in Yuan. Und auch die Internationalisierung der Währung, also die vollständige Konvertibilität in Form von freier und unbegrenzter Tauschbarkeit, ist nicht mit dem US-Dollar vergleichbar. Bereits seit dem Jahr 2015 strebt China eine schrittweise Entkoppelung des Yuan vom US-Dollar an. Der Wert des Yuan orientiert sich nach einem Währungskorb, der zur Hälfte aus US-Dollar, Euro und Yen besteht (CFETS RMB Index).
Vielmehr setzt China auf einen zweiten Wirtschaftskreislauf und die Trennung von Geld- und Güterkreislauf mit einem Fokus auf chinesischer Produktion und chinesischen Abnehmern. Statt einer Liberalisierung nach amerikanischem Vorbild setzt China vielfach auf Abschottung und vollständige Kontrolle.
Politisch gesteuerte Finanzmärkte sind für eine Leitwährung nicht zuträglich. Deshalb merkte der US-Ökonom Larry Summers auch an, dass China ein "Gefängnis" sei. Außerdem verglich er in diesem Kontext Europa mit einem Museum und Japan mit einem Altersheim.
Eine weitere Herausforderung besteht für China darin, dass die Zentralbank einer der größten Gläubiger der USA ist und hohe Dollarreserven hält. Die Stärke des Yuan hängt damit maßgeblich an der Stärke des US-Dollars. China muss sich also zuerst vom Dollar lösen, bevor es sich vollständig emanzipieren kann.
Doch mit einem Blick in die Zukunft sollte erwähnt werden, dass es in China bereits seit der Jungsteinzeit eine Geldwirtschaft gab und auch Papiergeld bereits vor rund tausend Jahren im Umlauf war. Bereits der Weltreisende Marco Polo stellte im 13. Jahrhundert mit gewisser Ironie fest, dass die Kaiser in China ganz einfach Papier in Geld verwandelt hatten, während in Europa die Alchemisten seit Jahrhunderten verzweifelt versuchten, Metalle zu Gold zu machen.
Oder mehrere Währungsregionen?
Es gibt auch Stimmen und potenzielle Szenarien, wonach sich zukünftig der Währungsmarkt in mehrere Währungsregionen aufteilt. Diese Meinung vertritt etwa IfW-Volkswirt Tobias Heidland. Hiernach bleibt der US-Dollar weiterhin die weltweite Nummer eins, gefolgt vom Yuan, der insbesondere in den südostasiatischen Ländern und auch in Australien und bei anderen wichtigen Handelspartnern entlang der "neuen Seidenstraße" eine wichtige Rolle einnimmt. Die europäische Peripherie, etwa in Osteuropa und dem Balkan, könnte sich stärker Richtung Euro orientieren, sodass letztlich eine Mehr-Währungswelt entstehen könnte. Und Russland dürfte sich stärker Richtung Yuan orientieren. Im März 2023 war die chinesische Währung Yuan erstmals die meistgehandelte Devise an der Moskauer Börse und hat den US-Dollar als meistgehandelte Währung abgelöst. Auch andere Länder, etwa zentralasiatische Republiken oder Pakistan, könnten diesem Weg folgen. Auch Saudi-Arabien analysiert das Geschehen genau.
Auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos hatte der Finanzminister Saudi-Arabiens, Mohammed Al-Jadaan, darauf hingewiesen, dass das Königreich "offen für Gespräche" über den Handel in anderen Währungen als dem US-Dollar sei. "Wir haben eine sehr strategische Beziehung zu China, und wir haben dieselbe strategische Beziehung zu anderen Nationen, einschließlich den USA, und wir wollen diese mit Europa und anderen Ländern, die bereit und in der Lage sind, mit uns zusammenzuarbeiten, ausbauen", sagte Al Jadaan.
Kurzum: Der Währungsmarkt ist zwar immer noch stabil und die Position des US-Dollars für die nächsten Jahre noch zementiert. Aber es bilden sich erste Risse…
Lehren für das Risikomanagement
Im Umgang mit dem US-Dollar und der Frage, ob die Leitwährung bestehen bleibt, oder ob es zu einer Wachablösung kommt, ist ein präventives und wirksames Risikomanagement besonders wichtig. Bereits im Jahr 1965 ereignete sich eine legendäre Unterhaltung des späteren französischen Präsidenten, damals noch Finanzminister, Valéry Giscard d’Estaing mit seinem amerikanischen Pendant. Als sich Giscard d’Estaing über das "exorbitante Dollar-Privileg" echauffierte, entgegnete sein US-Amtskollege John Bowden Connally: "Ja, der Dollar ist unsere Währung, aber euer Problem." ("It’s our currency, but it’s your problem.")
1. Expect the unexpected
Der Dollar galt lange als allmächtig. 60 Prozent der Weltbevölkerung leben in der Dollar-Währungszone, zwei Drittel der Währungsreserven werden in Dollar gehalten und auch der Anteil der in US-Dollar finanzierten Im- und Exportgeschäfte ist mit 90 Prozent stark. Trotzdem mehren sich die Indizien, dass der Dollar seinen Zenit überschritten haben könnte.
Bereits im Jahr 2009 präsentierten Russland, China und Brasilien ihren Vorschlag für eine neutrale Leitwährung, die über den Internationalen Währungsfonds laufen sollte. Russland und China entwickelten außerdem eigene Verrechnungssysteme und vereinbarten, stärker in ihren jeweiligen Landeswährungen zu zahlen. Gas und Öl wurden in Euro verrechnet – zumindest bis zum Ausbruch des Ukraine-Kriegs.
Der Aufstieg Chinas, der Rückzug der USA aus einigen Weltregionen bis hin zum Aufstieg von Kryptowährungen. Es sind nicht nur geopolitische Gründe, die den Dollar unter Druck setzen, sondern auch ideologisch-technische. Die USA haben ihre lange an den Tag gelegte Laissez-Faire-Haltung im Umgang mit Kryptowährungen abgelegt und beispielsweise die von Facebook geplante Weltwährung Diem gestoppt und versuchen, auch beim digitalen Zentralbankgeld (CBDC) Boden gut zu machen. Dort ist der chinesische E-Yuan technisch führend und die chinesische Zentralbank arbeitet unter anderem mit Zentralbanken wie die der Vereinigten Arabischen Emirate und Thailands an einem internationalen Verrechnungssystem. Dies könnte den Dollar bzw. den E-Dollar weiter unter Druck setzen.
Und dann gibt es ja auch noch den Bitcoin… Die vielfach totgesagte Kryptowährung, die mit dem Ziel geschaffen wurde, das Privileg der USA und des Euroraums zu brechen und Währungs- und Geopolitik strikt voneinander zu trennen.
Dies zeigt wieder einmal, wie wichtig es ist, im Risikomanagement auch "undenkbare Szenarien" ("think the unthinkable") auf dem Radar zu haben und für Trendbrüche sensibilisiert zu sein. Wohlgemerkt: Nicht jeder überraschende Trendbruch ist gleich auch ein schwarzer Schwan – manchmal entpuppt sich der Schwan eher als "dreckiger weißer Schwan". Denn vielmehr sind viele Entwicklungen bereits rechtzeitig erkenn- und steuerbar, sofern man ergebnisoffen in Zukunftsräumen und Szenarien denkt. Die zentrale Aufgabe des Risikomanagements ist es deshalb, im Schritt der Identifikation und Beurteilung der Situation explizit auch nicht oder nur schwer denkbare Szenarien und Zukunftsprojektionen zu berücksichtigen. Einseitigkeit ist für Risikomanager Gift und der größte Feind eines ergebnisoffenen Denkens und Handelns. Wer nur eine Perspektive hat, ist blind für kritische Szenarien und wird sich am Ende damit entschuldigen, dass man das nun wirklich nicht wissen konnte. Doch tatsächlich ist diese Risikoblindheit eine beliebte Ausrede für fehlendes Risikomanagement. Und auf diese Weise wird aus menschlichem Versagen höhere Gewalt, aus Leichtsinn wird Pech, aus Verantwortungslosigkeit wird Schicksal, so Nikolaus von Bomhard von dem globalen Rückversicherer Munich Re. Bereits im Jahr 2016 forderte er eine staatliche Risiko-Kümmerer-Funktion, die frei von politischer Einfluss- und Rücksichtnahme sein müsse. Doch welche Regierung hat einen transparenten Überblick über die Risiken? Wo findet man eine integrierte und ganzheitliche Risikoanalyse für den Staat?
2. Frühe (und auch schwache) Signale richtig deuten
Es gibt nicht den Big Bang. Vielmehr könnte die Bedeutung des US-Dollars schrittweise abnehmen. Dies ist ein bekanntes Muster. Nicht ohne Grund wird häufig auf die Frage geantwortet, wie ein Unternehmen pleitegeht: "Zuerst ganz langsam, dann ganz schnell." Der russischstämmige US-amerikanische Wissenschaftler Harry Igor Ansoff hatte nachgewiesen, dass tiefgreifende Umbrüche (etwa im ökonomischen, sozialen und politischen Bereich) nicht zufällig ablaufen, sondern sich lange im Voraus durch schwache Signale ankündigen. Oft handelt es sich um Informationsrudimente, d.h. unscharfe und wenig strukturierte Informationen. Nach Ansoff gibt es unerwartete Diskontinuitäten nur, weil die Empfänger dieser Signale nicht darauf reagieren.
Um so also stets "vor der Welle" zu bleiben und eine aktive Steuerung der Situation zu ermöglichen, ist es wichtig, diese frühen (und schwachen) Signale systematisch aufzunehmen und auszuwerten. Nur so lässt sich aktiv gegensteuern und die Situation beherrschen.
Ähnlich ist dies auch bei der Entwicklung um die Leitwährung. Wenn die wirtschaftliche und politische Vormachtstellung der Vereinigten Staaten bröckelt – durch den Aufstieg der Entwicklungsländer und den gleichzeitig stärkeren Protektionismus der USA – wird auch die Frage lauter werden, ob der US-Dollar noch die richtige Leitwährung für den globalen Handel ist, oder ob es einen Wechsel braucht.
Erste Frühwarnindikatoren lassen sich auch an den Zahlen ablesen: Im Jahr 2004 lag der Anteil des Dollars an den globalen Währungsreserven nach Angaben des Internationalen Währungsfonds (IWF) bei 66 Prozent. Ende 2022 belief er sich nur noch auf 58 Prozent. Der wichtigste Konkurrent ist der Euro mit rund 20 Prozent. Was sich stark anhört, ist doch relativ ernüchternd, denn dieser Anteil entspricht lediglich dem früheren Anteil der D-Mark. Der chinesische Yuan kommt von einer sehr niedrigen Basis von zwei Prozent, noch hinter japanischem Yen und britischem Pfund. Der Weg für China zur Leitwährung ist also noch sehr lang…
3. Disruption ist real
Es besteht zwar eine große Kontroverse darüber, ob der US-Dollar als Leitwährung auch in den nächsten Jahren erhalten bleibt oder nicht. Worüber sich aber so gut wie alle Kommentatoren und Experten einig sind: Wenn die Bedeutung des "Greenback" abnimmt, erleben die Vereinigten Staaten eine Zeitenwende. Wirtschaftskommentatoren sprachen sogar von einer "Abrechnung wie nie zuvor".
In nahezu allen Bereichen und Themenfeldern gibt es disruptive Entwicklungen. Dies ist das Wesen der VUCA-Welt (Akronym für Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Mehrdeutigkeit), in der wir leben. Die hohe Dynamik und Schnelllebigkeit machen ein gutes Risikomanagement umso wichtiger!
Insbesondere die große Staatsverschuldung der USA (mehr als 31 Billionen US-Dollar bzw. 120 Prozent der Wirtschaftsleistung), das enorme Haushaltsdefizit (11,6 Prozent des BIPs in 2021 bzw. 14,0 Prozent in 2020; Prognose für 2023: 6,3 Prozent) und das riesige Leistungsbilanzdefizit, also der Saldo aus Aus- und Einfuhren (925 Milliarden US-Dollar) schwächen den US-Dollar, während gleichzeitig China zahlreiche Verbündete um sich herum schart, um die Situation zu nutzen und das Dollarprivileg zu beenden. Die USA haben Auslandsverpflichtungen von 13 Billionen US-Dollar angehäuft. Und so könnte der Tag kommen, an dem sich die ausländischen Gläubiger weigern, die amerikanische Volkswirtschaft mit sehr günstigen Zinsen "zu alimentieren", wie der US-Ökonom Nouriel Roubini mahnte.
Allesamt mögliche Indikatoren für einen "perfekten Sturm". Auch Roubini glaubt an ein Ende der Dollar-Dominanz und sieht die US-Bankenkrise noch als längst nicht beendet an. Er ist davon überzeugt, dass jede neue Runde im Handelskrieg mit China den Dollar schwächen wird und er prophezeit: "Der Dollar wird nicht in Würde altern".
Mit jeder neuen Runde und möglichen Shutdowns aufgrund einer fehlenden Einigung zwischen Republikanern und Demokraten zum Kompromiss eines neuen Schuldenlimits, steigt das Risiko eines Zahlungsausfalls der USA und damit schwindet das Vertrauen der Anleger. Dies ist Gift für den Status einer globalen Leitwährung.
Auch Warren Buffett gab den Mahner, als er auf der Hauptversammlung von Berkshire Hathaway anmerkte: "Die hohen Ausgaben der amerikanischen Regierung könnten verheerende Folgen haben. […] Amerika hat viel zu bieten, aber das bedeutet nicht, dass wir unbegrenzt Geld drucken können." Weiter führte er aus: "Wenn die Leute einmal das Vertrauen in den Dollar verlieren, dann ist es schwer zu sagen, wie man sich davon wieder erholen kann." Die Investmentlegende hat uns auch gelehrt, dass es Jahrzehnte braucht, einen guten Ruf aufzubauen, und nur fünf Minuten, um ihn zu ruinieren. ("It takes 20 years to build a reputation and five minutes to ruin it. If you think about that, you'll do things differently.”). Und diese Regel gilt nicht nur für Unternehmen, sondern auch für Staaten und Währungssysteme.
Ein völlig anderes Bild zeigte sich vor rund drei Wochen zuvor in Shanghai. Der brasilianische Präsident war zu Besuch in China – zur gleichen Zeit wie Außenministerin Annalena Baerbock, deren Besuch allerdings eher eine Randnotiz war – und führte aus: "Jede Nacht frage ich mich, warum alle Länder ihren Handel in Dollar abwickeln müssen. […] Warum also können wir den Handel nicht in unseren eigenen Währungen abwickeln?". Zwei Männer gesetzten Alters, der eine 77 und der andere 92 Jahre alt, die allerdings völlig konträre Positionen einnehmen. Der eine (Lula) möchte die unipolare Wirtschaftsordnung aufbrechen und der andere (Buffett) diese unbedingt beibehalten, basiert sein Milliarden-Vermögen doch im Wesentlichen auf amerikanischen Konzernen und damit eben dieser unipolaren Weltordnung mit einem Hegemon.
4. Kausalketten in den Mittelpunkt stellen
Seit den Anschlägen auf das World Trade Center im September 2001 setzen die USA den US-Dollar immer stärker auch als geopolitisches Sanktionsmittel ein. 2018 traf es den Iran. Der damalige US-Präsident Donald Trump erklärte dabei, die USA hätten zusätzlich zu den bereits bestehenden Sanktionen auch die iranische Zentralbank sanktioniert. Finanzminister Steven Mnuchin: "Die Zentralbank ist die letzte verbliebene Geldquelle. Das bedeutet, es werden keine Gelder mehr in die IRGC oder die Terrorfinanzierung fließen und dies kommt auf unsere Öl- und Finanzsanktionen noch oben drauf." Obwohl viele Länder – auch die EU – diese Sanktionen für falsch hielten, mussten sie sich fügen, weil die USA mit Sekundärsanktionen drohten, was den eigenen Ausschluss vom Dollar-System bedeutet hätte. Begründet wurden die Sekundärsanktionen damit, dass der Dollar quasi US-amerikanisches Staatsgebiet sei. Eine sehr gewagte Interpretation – allerdings macht sie auch die Macht der Leitwährung deutlich und auch, warum sich so viele Länder vom US-Dollar lossagen wollen.
Und umgekehrt wird das Schwert der Sanktionen mit jeder neuen Maßnahme der USA stumpfer und die Gefahr steigt, dass sich die BRICS-Staaten, allen voran China, vom US-Dollar schneller lossagen als ursprünglich geplant. Es dürfte nicht sonderlich überraschen, dass sich Russland und der Iran mit zunehmenden Sanktionen des Westens mehr in Richtung China und Yuan anstatt US-Dollar orientierten.
Roubini ist davon überzeugt, dass der Yuan zwar kurzfristig nicht die Rolle des US-Dollars einnehmen wird, dass sich aber vielmehr ein bipolares Währungsregime entwickelt, das das Privileg des Dollars beenden kann. Dies sei keine Entwicklung der nächsten fünf Jahre, als vielmehr der "kommenden Jahrzehnte".
Allesamt mögliche Zukunftsbilder, wie sie im Risikomanagement typischerweise mithilfe von Stresstests simuliert werden. Basis dieser extremen, aber plausibel möglichen Entwicklungen sind dabei stets Kausalketten, die in der Realität beobachtet wurden.
Ray Dalio, Gründer des Hedgefonds-Giganten Bridgewaters, betonte zuletzt erneut seine Überzeugung, wonach führende Weltmächte – früher die Niederlande und anschließend Großbritannien – lange Zeit über ihre Verhältnisse leben, damit ihre eigene wirtschaftliche und politische Macht untergraben und schließlich gegenüber aufsteigenden Mächten – im Falle der USA ist dies China – an Einfluss verlieren. Und Dalio ist mit seiner Sicht nicht allein. So zeigt beispielsweise Daron Acemoglu, Wissenschaftler für Volkswirtschaftslehre am Massachusetts Institute of Technology, auf, dass die unipolare Weltordnung Geschichte sei und wir auf die Entstehung einer vierpoligen Welt hoffen sollten.
Autoren:
Dr. Christian Glaser ist promovierter Risikomanager und ist Dozent an mehreren Hochschulen und Buchautor mehrerer Fachbücher sowie zahlreicher Fachveröffentlichungen in den Bereichen Finanzdienstleistungen, Unternehmensführung und Management, Controlling sowie Risikomanagement.
Frank Romeike ist Gründer und geschäftsführender Gesellschafter der RiskNET GmbH – The Risk Management Network. Er war Chief Risk Officer (CRO) der IBM und hat einige Standardwerke zum Thema Risikomanagement und Stochastik veröffentlicht. Außerdem hat er Lehraufträge an mehreren Hochschulen angenommen.