Die 27 Mitgliedsländer der Union haben sich laut einem Bericht von "Welt Online" auf einen Einstieg in eine Bankenunion geeinigt. Die Staats- und Regierungschefs wollten Ende kommender Woche beschließen, dass die Europäische Zentralbank (EZB) künftig die Aufsicht über Europas Banken übernehmen soll. Der Präsident des Europäischen Rates Herman Van Rompuy "hat die Zustimmung der 27", sagte ein EU-Diplomat Welt Online.
Die Beteiligten richten sich demnach auf hohes Tempo bei der Umsetzung ein: Der Rat werde die EU-Kommission beauftragen, rasch nach der Sommerpause einen Gesetzentwurf vorzulegen, damit die gemeinsame Bankenaufsicht möglichst bald Wirklichkeit werde, sagte ein anderer mit der Sache vertrauter EU-Diplomat.
Der Beschluss solle vor allem einer Sorge Rechnung tragen: Die Rettung maroder Banken wie in Spanien kostet die Eurozone Milliarden. Die Retter aber haben heute aber keine Chance, rechtzeitig regulierend einzuschreiten, weil die Aufsicht nationalen Behörden obliegt. Nun soll die EZB dem abhelfen. Die Notenbank, so Welt Online, bekomme damit eine Aufgabe, für die ihr bisher jede Erfahrung fehle.
Die "große Lösung" soll her
Denn bisher ist die EZB lediglich zuständig für Geldversorgung und Preisstabilität. Darüber hinaus stützt sie - eher krisen- als satzungsbedingt - die Finanzsysteme durch den Kauf von Staatsanleihen der Krisenländer und durch billige Langfristkredite an Banken. Dennoch soll nun die "große Lösung" her, wie einer der Diplomaten sagte - denn diese Lösung stellt alle Beteiligten zufrieden.
Die Bundeskanzlerin etwa hatte sich in der vergangenen Woche vor dem Bundestag für eine "stärkere Rolle" der EZB bei der Bankenaufsicht ausgesprochen. Der Plan koste nichts und sei geeignet dazu, dass Angela Merkel ihn den Deutschen als Erfolg verkaufen könne, hofft einer, der den Gipfel mit vorbereitet. Schließlich schaffe Europa damit mehr Durchgriffsrechte einer zentralen Behörde auf die Krisenländer und folge damit einem Berliner Rettungsrezept.
Auch für Frankreich spricht nichts gegen die EZB-Lösung. Eine neue Abteilung für Bankenaufsicht schriebe schließlich als Aufgabe der Zentralbank fest, die Stabilität des Finanzsystems zu garantieren. "Das kann Hollande als Erfolg verkaufen", sagt einer der Gesprächspartner.
Auch den Briten kommt die Lösung entgegen. Beim Fiskalpakt zogen sie nicht mit, so dass sich die Eurozone und acht weitere Länder zur Form eines zwischenstaatlichen Vertrags gezwungen sahen. Diesmal schließt sich Premierminister David Cameron laut den Angaben aus Brüssel einer EU-weiten institutionellen Reform an - weil der Auftrag der EZB sich zunächst auf Euro-Länder beschränkt.
Aus für die glücklose EU-Bankenbehörde EBA
Die Bankenaufsicht bei der EZB anzusiedeln, hieße wohl das Aus für die glücklose EU-Bankenbehörde EBA in London. Ob man die noch brauche, ob und wie sie in die neue EZB-Struktur "hineingefaltet" werden könne, sei noch zu entscheiden und keine Frage, die die Regierungschefs beantworten müssten, sagte einer der Diplomaten. Er verwies darauf, dass man der EBA aus im Sinne der EU-Verträge keine regulatorischen Befugnisse zuweisen dürfe. Nur Institutionen, die - wie die EZB - der EU-Vertrag geschaffen habe, dürften aus eigener Kraft Recht setzen.
Der Einstieg in die Bankenunion ist einer der "Bausteine" für eine tiefgreifende Reform, die die Spitzen der EU-Institutionen dem Gipfel vorschlagen werden, und zwar der bislang konkreteste. Das Einverständnis von EZB-Chef Mario Draghi darf vorausgesetzt werden: Er ist einer der Autoren des Reformplans, zusammen mit Kommissionspräsident José Manuel Barroso, dem Chef der Euro-Gruppe, Jean-Claude Juncker, und Van Rompuy.
Ein schnell umzusetzender Erfolg bei der Aufsicht wäre für die Vierergruppe hilfreich. Schon, weil weitere mögliche Elemente der Bankenunion zäher zu verhandeln sein dürften: Ein zentraler Abwicklungsfonds für Pleitebanken und eine gemeinsame Einlagensicherung für die Euro-Länder sind höchst umstritten, gerade aus Deutschland kommt erbitterter Widerstand.
Deutsche Banken gegen Superbehörde für Geld- und Finanzstabilität
So wehren sich die hiesigen Banken dagegen, dass ihre Sparer künftig auch für die Banken anderer Länder mithaften sollen. Die Bankenaufsicht würde einen deutlichen Machtzuwachs für die EZB bedeuten, sie wäre dann eine Art Superbehörde für Geld- und Finanzstabilität. Allerdings ist unter Notenbankern umstritten, ob sie sich damit einen Gefallen täte. Denn die Rolle als Bankenaufseher bringt viel Konfliktpotenzial mit sich.
Während die EZB ihre geldpolitischen Entscheidungen in völliger Autonomie treffen kann, wäre das im Bereich der Aufsicht so nicht mehr möglich, warnen die Kritiker. Schließlich haben Beschlüsse hier unmittelbare Auswirkungen auf einzelne Banken und auf ihre Heimatländer - etwa dann, wenn die EZB die Schließung einer Bank oder eine Rekapitalisierung anordnen würde.
Solche Entscheidungen dürften sich natürlich keiner richterlichen Kontrolle entziehen, mahnen Notenbanker. "Die EZB könnte also plötzlich vor europäischen Gerichten oder gar vor nationalen Verwaltungsgerichten verklagt werden - das wäre eine völlig neue Situation", sagte einer von ihnen Welt Online.
Hoffnung auf neue Geldquellen zur Sanierung maroder Banken
In Notenbankkreisen wird demnach darüber spekuliert, dass sich hinter dem Votum für eine gemeinsame Bankenkontrolle noch ein ganz anderes Kalkül verbergen könnte. "Viele Länder, die von Aufsicht sprechen, hoffen eigentlich nur auf neue Geldquellen zur Sanierung ihrer maroden Banken", heißt es. Bislang ist es Sache der Mitgliedstaaten, schwachbrüstige Banken im Notfall mit Steuergeld zu stützen.
Wenn aber die EZB als EU-Institution mehr Kapital von einer Bank verlange, die sich das Geld nicht von privaten Investoren besorgen kann, würde automatisch der Ruf laut werden, dass diese Mittel auch aus europäischen Töpfen kommen sollten - sei es vom Rettungsschirm ESM oder direkt von der Zentralbank.
Solche Konstrukte sind aber hochgradig umstritten. So hatte sich Spanien zuletzt vergeblich darum bemüht, dass die Mittel des Rettungsfonds direkt den Banken des Landes zufließen, ohne dass die Regierung in Madrid für die Rückzahlung haften muss - vor allem die Bundesregierung hatte dagegen erfolgreich Widerstand geleistet. Kritiker fürchten nun, dass diese Geldquelle für schwache Banken über den Umweg der EZB-Aufsicht erschlossen werden soll.
Außerdem rücke die Zentralbank, die während der Krise ihr Mandat ohnehin weit gedehnt hat, noch näher an die staatliche Fiskalpolitik heran. Für Deutschland ist die Debatte nicht neu: In den vergangenen Jahren gab es mehrfach Bestrebungen, die nationale Bankenaufsicht bei der Bundesbank zu konzentrieren und die Finanzaufsicht BaFin, mit der sie sich diese Rolle teilt, zu entmachten.
Die Bundesbank war zunächst Feuer und Flamme für diese Pläne, nahm dann aber Abstand davon, als klar wurde, wie schwer sich die neue Aufgabe mit der ihr so wichtigen Unabhängigkeit vereinbaren lassen würde.
Hürden bei der Definition konkreter Regeln und Statuten
Die Regierungschefs wird solche Kritik wohl nicht anfechten. Kenner der Materie rechnen allerdings mit erheblichen Schwierigkeiten bei der Umsetzung des Beschlusses. Ein Notenbanker orakelt: "Zwei Sätze dazu für das Abschlussdokument eines EU-Gipfels zu formulieren ist relativ einfach - die Probleme werden beginnen, wenn man die konkreten Regeln und Statuten für diese neue Aufsicht formulieren muss."
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Die Bundesregierung will eine europäische Bankenaufsicht unter Führung der Europäischen Zentralbank (EZB) mit dem Ziel einer Harmonisierung von Standards, Aufsichtsformen und Abwicklungsmodi für Banken. Dabei sollen die jeweils nationalen Sicherungssysteme der Banken beibehalten werden.
"Es geht um eine starke übernationale Bankenaufsicht, und wenn es nach dem Willen der Bundesregierung geht am liebsten unter dem Dach der EZB", sagte der stellvertretende Regierungssprecher Georg Streiter in Berlin. Keinesfalls sei damit der Einstieg in eine gemeinschaftliche Haftung beabsichtigt. Angestrebt werde vielmehr eine "Synchronisierung und Harmonisierung der Sicherungssysteme, aber der jeweils eigenen Sicherungssysteme der Staaten", betonte Streiter. Es solle keinesfalls dazu kommen, dass ein Staat für die Schulden des anderen hafte.
Vielmehr sollten die gleichen Standards und die gleichen Aufsichtsmodi und im Zweifelsfall auch die gleichen Regeln für eine Abwicklung von Banken gelten, sagte der stellvertretende Regierungssprecher.