Die Deutsche Bundesbank will, dass bei Staatsschuldenkrisen im Euroraum künftig der Schuldnerstaat, seine Bürger und Staatsanleiheinvestoren strikter als bisher in die Verantwortung genommen werden, ehe der Rettungsfonds ESM zum Einsatz kommt. Das geht aus einem Aufsatz mit dem Titel "Ansatzpunkte zur besseren Bewältigung von Staatsschuldenkrisen im Euroraum" hervor, der Teil des aktuellen Monatsberichts für Juli ist.
Die Staatsschuldenkrise des Euroraums, die 2012 ihren Höhepunkt erreichte und deren Ende EZB-Präsident Mario Draghi mit den berühmten Worten "We will do what ever it takes" einleitete, ist inzwischen tatsächlich beendet. Die Differenzen von Staatsanleihen verschiedener Euro-Länder sind auf ein Niveau gesunken, das sie vor Beginn der Krise schon einmal hatten. Die Angst, dass der Euroraum zerbrechen könnte, scheint sehr gering.
EZB und ESM haben Euro-Schuldenkrise beendet
Das liegt unter anderem daran, dass die Euro-Länder einen finanziellen Schutzmechanismus geschaffen haben, der Ländern zur Hilfe eilen kann, wenn es nötig ist – der Rettungsfonds ESM, ausgestattet mit 750 Milliarden Euro. Der andere Grund sind die geldpolitischen Handlungsmöglichkeiten der Europäischen Zentralbank (EZB). Derzeit kaufen die Zentralbanken des Eurosystems monatlich Wertpapiere für 80 Milliarden Euro, der größte Teil davon Staatsanleihen. Das senkt die Renditen.
Außerdem könnte die EZB gezielt Anleihen einzelner Staaten ankaufen, wenn sie deren Renditen für zu hoch hält. Das deutsche Bundesverfassungsgericht und der Europäische Gerichtshof haben der EZB bestätigt, dass derartige Outright Monetary Transactions (OMT) rechtskonform sind. Wer wollte gegen eine mit solchen Instrumenten ausgestattete Zentralbank spekulieren?
Aber der Bundesbank gefällt diese "schöne neue Welt" der EZB nicht, denn die hat eine fatale Anreizwirkung. Sie setzt die disziplinierende Wirkung der Märkte außer Kraft. Normalerweise muss ein Finanzminister nämlich fürchten, dass Investoren mehr Zinsen von ihm verlangen, wenn der Haushalt ins Schlingern gerät. Um das zu vermeiden, strebt er nach einer vernünftigen Finanzpolitik.
Bindungskraft des Fiskalpakts ist nur gering
Zwar verlangen das eigentlich auch die Regeln des sogenannten Fiskalpakts, den die Euro-Staaten miteinander abgeschlossen haben, aber dessen "Bindungskraft" ist zum Bedauern der Bundesbank gering. Die EU-Kommission hat gerade Spanien und Portugal attestiert, nicht genügend zur Verringerung ihres Haushaltsdefizits zu tun. Die deshalb zu erwartenden Sanktionen dürften allenfalls symbolisch ausfallen - kein Vergleich mit steigenden Renditen an den Anleihemärkten jedenfalls.
Vor diesem Hintergrund sind die Vorschläge der Bundesbank zu sehen, die sich allerdings nicht mit der EZB-Geldpolitik befassen, die die Bundesbank ja selbst mit umsetzt. Vielmehr geht es um Regeländerungen für Staatsanleihen und um Prozeduren für den Fall, dass ein Land trotz der EZB-Instrumente in Schwierigkeiten geraten sollte.
Kann oder will ein Land seine Anleihen nicht mehr bedienen, droht nach derzeitigem Arrangement unmittelbar der förmliche Zahlungsausfall, die Abkopplung der Banken von der EZB-Refinanzierung und ein Ausscheiden aus dem Euro. Der Rettungsfonds ESM muss also sofort hohe Summen mobilisieren. Und hinter dem ESM stehen die Steuerzahler der anderen Euro-Länder.
Anleihelaufzeit soll sich bei ESM-Hilfsantrag automatisch verlängern
Die Bundesbank schlägt deshalb schon länger vor, dass sich die Laufzeit aller ausstehenden Anleihen eines Landes, das beim ESM Hilfe beantragt, automatisch verlängert - zunächst um mehrere Wochen, in denen eine Bestandsaufnahme erfolgt, bei Genehmigung des Antrags beispielsweise um drei Jahre. Damit wären der Markt und seine disziplinierende Wirkung wieder im Spiel. Denn Investoren würden beim Erwerb einer dreijährigen Anleihe darüber nachzudenken haben, wie hoch das Risiko ist, dass sie ihr Geld nicht nach drei, sondern erst nach sechs Jahren wiedersehen.
Ein weiterer Änderungsvorschlag betrifft die Mehrheitsverhältnisse, unter denen sich Anleihegläubiger auf eine Schuldenrestrukturierung einigen müssen. Derzeit müssen die Gläubiger jeder Anleiheserie gesondert über einen Forderungsverzicht abstimmen. Die Bundesbank schlägt vor, dass das künftig eine qualifizierte Mehrheit für alle ausstehenden Anleihen zusammen tun kann. Das beschleunigt eine Schuldenrestrukturierung und senkt deren Kosten.
ESM soll zwischen Schuldner und Gläubigern vermitteln
Schließlich schlägt die Bundesbank ein einheitliches Verfahren für den Fall von Zahlungsproblemen vor, indem der ESM die Rolle des Vermittlers zwischen Schuldnerland und Gläubigern übernimmt. In diesem Verfahren muss zunächst festgestellt werden, ob das Land seine Schulden nur kurzfristig nicht bedienen kann, oder ob es dazu auch langfristig nicht in der Lage sein wird.
Im Falle kurzfristiger Probleme könnte ein ESM-Programm mit wirtschaftspolitischen Auflagen sofort verhandelt werden. Im Falle langfristiger Probleme dürfte der ESM nur dann Geld geben, wenn zuvor die Schuldenlast reduziert wird. Die hierzu notwendigen Verhandlungen würde der ESM leiten. Die Lastenverteilung innerhalb des Schuldnerlandes müsste aber dessen Regierung regeln. Die Bundesbank ist der Meinung, dass in dem Land auch eine einmalige Vermögensabgabe erhoben werden sollte, ehe die Steuerzahler anderer Länder um Hilfskredite gebeten werden.
Allerdings darf ein Staat in diesem Verfahren nicht zu einem Schuldenschnitt gezwungen werden. Und es ist durchaus denkbar, dass er sich mit dem ESM nicht über die Notwendigkeit eines solchen Schnitts oder seine Höhe beziehungsweise auf wirtschaftspolitische Auflagen einigt. Die Bundesbank ist aber der Meinung, dass ein solches mit festen Zuständigkeiten, Rechten, Pflichten und Fristen versehenes standardisiertes Verfahren für alle Seiten Vorteile bietet.
Eine andere Frage ist, ob hoch verschuldete Euro-Länder jemals ein Interesse daran haben werden, ihre Finanzierungsbedingungen in dieser Weise zu ändern. Zumindest kurzfristig drohten ihnen nämlich höhere Kosten.