Kommentar zur Finanzkrise

Finanzkrise: Angst - Sündenböcke - Panik?


Im Verlauf der Finanzkrise sind wir kurz vor dem Stadium der Panik angelangt. Medial hat inzwischen die Finanzkrise auch den Weg bis zur Bild-Zeitung geschafft. Die internationale Bankenkrise bewegt inzwischen also breite Schichten der Bevölkerung, die zunehmend verunsichert ist. Ein untrügliches Indiz dafür: Bislang fand die Finanzkrise in der Bild-Zeitung auf den Seiten zwei oder drei statt. Am Samstag titelte die Zeitung jedoch erstmals auf Seite 1 plakativ in riesigen Lettern: "Ist meine Sparkasse wirklich noch sicher?" Im Interview mit dem Sparkassen-Präsident Heinrich Hassis sagt dieser natürlich, das Geld der Sparer sei absolut sicher und Bankpleiten werde es in Deutschland nicht geben. Dazu BILD: "Das glaubt Ihnen doch niemand mehr!"

Ob so etwas die Menschen beruhigt? Oder ob sich nicht am Montag die besorgten Anfragen von Bank- und Sparkassen-Kunden massiv mehren und zum Abzug von Spareinlagen führen werden? So etwas könnte eine gefährliche Lawine auslösen. Zur Panik ist es dann nur noch ein kleiner Schritt. Das Problem: Je lauter und je häufiger man den Menschen sagt, ihre Einlagen seien ganz sicher, desto mehr zweifeln sie daran. Schließlich lehrt die Erfahrung, dass nie so oft und so laut die Sicherheit einer Bank beschworen wird wie kurz vor ihrer Pleite. Obwohl gerade bei den Sparkassen die Einlagen sicher sein sollten, weiß niemand, wie die Kunden reagieren, wenn sie von der Pleite der größten US-"Sparkasse" hören. Wäre den Bankkunden bekannt, in welcher Höhe derzeit Einlagen vermögender Kunden von großen renommierten Banken (auch hier in Europa) abgezogen werden, wäre die Panik längst da. Glücklicherweise wird dieses Thema bislang jedoch tabuisiert. Ein Run ist inzwischen auf die Tagesanleihe des Bundes, die von der Finanzagentur der Bundesrepublik Deutschland ausgegeben wird, ausgebrochen. Die täglichen Zuflüsse zu dieser erst seit Anfang Juli ins Leben gerufenen Form des Tagesgeldes, bei welcher der deutsche Staat selbst Schuldner ist, haben sich inzwischen verdoppelt. Für die wirklich Vermögenden ist das jedoch keine Lösung, da maximal 250.000 Euro pro Tag überwiesen werden dürfen. Sie schichten inzwischen Milliarden-Einlagen zu bestimmten Schweizer Banken um, bei denen der Schweizer Staat unbegrenzt haftet. Auch Gold erfreut sich wieder steigender Beliebtheit.

Zurück zur Wahrnehmung der Krise: Natürlich präsentiert BILD in dem erwähnten Artikel auch gleich die Schuldigen, nämlich die raffgierigen Manager. Die plakative Überschrift: "Die Milliarden-Gier der Bank-Manager". BILD zeigt die Konterfeis von Managern von Morgan Stanley, Merrill Lynch und anderen, damit der Leser versteht, wer Schuld an der Krise ist. Hier ist sich die Zeitung mit den meisten Kommentatoren und vor allem mit den Politikern einig: Die "raffgierigen Manager" und der "ungezügelte Kapitalismus" sind Schuld. In jeder Krise werden Sündenböcke gesucht, weil die Geschehnisse an den Finanzmärkten natürlich das Verständnis von 99,99 % der Zeitgenossen überfordern. Wo man komplexe Zusammenhänge nicht versteht, ist es besser und leichter, "Schuldige" an den Pranger zu stellen und deren "Bestrafung" zu fordern. Das war in allen großen Wirtschaftskrisen der Geschichte so.

In Deutschland herrscht inzwischen ein unheilvoller Konsens darüber, dass die freie Marktwirtschaft, raffgierige Manager und "Spekulanten" an der Krise Schuld seien. Politiker, Kirchenvertreter und Medien schimpfen über Leerverkäufer, obwohl sie das Wort gestern noch nicht kannten und bis heute nicht die ökonomische Funktion davon verstanden haben. So einfach wie die Diagnose ist die Therapie: Es muss mehr Regulierung - also mehr Staat - her. Und natürlich müssen die Manager-Gehälter staatlich limitiert werden. Oskar Lafontaine wird seine Freude haben, weil er sich in seiner antikapitalistischen Weltsicht bestätigt sieht. Und zumindest ein bisschen Lafontaine steckt in diesen Tagen in den meisten Politikern, die sich öffentlich äußern.

Vergangene Woche haben die Panik-Meldungen über die Finanzkrise übrigens auch die Immobilien-Berichterstattung erreicht. Der Berliner Tagesspiegel und BILD brachten große Berichte über eine angebliche Immobilienkrise in Berlin. BILD titelt am 25.9.: "Immobilienpreise im Keller! Durch die Finanzkrise der US-Banken werden Häuser bis zu 50 Prozent billiger". Ich würde diese Immobilien gerne kaufen und erwarte nun Angebote von Maklern. Leider habe ich trotz Nachfrage bislang kein Angebot von vermeintlich günstigen Berliner Immobilien erhalten ...

Autor: Dr. Rainer Zitelmann ist Gründer und Inhaber der Dr. ZitelmannPB. GmbH, Berlin.

Kommentare zu diesem Beitrag

Andreas /09.10.2008 15:28
Wir erleben zur Zeit ein Phänomen der Risikowahrnehmung. Diese unterliegt massiven Schwankunegn: siehe Waldsterben und Vogelgrippe. Die Themen sind out. Jetzt reden alle über die Finanzkrise, die wie ein Damoklesschwert über uns schwebt = kollektives Bauchgefühl. Was kommt als Nächstes?
Werner /09.10.2008 15:31
So ist es. Der Risikoforscher Peter Sandman von der Priceton-University hat dies einmal sehr klar formuliert: "Ob etwas tödlich und gefährlich ist (siehe Finanzkrise), sagt nichts darüber aus, ob sich Menschen darüber aufregen. Und wenn ein Risiko zur Empörung führt, sagt das kaum etwas über seine Tödlichkeit aus". Während Wissenschaftler ein Risiko nach dem statistischen Gefährdungspotenzial beurteilen, schätzen Bürger es eher anhand der damit verbundenen Empörung ab. Und zur Zeit sind viele Bürger empört ... und das kann man verstehen! Gruß, WA
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