Jochen Sanio, Präsident der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), spricht sich vor dem Hintergrund der aktuellen Finanzkrise für eine stärkere Regulierung des Finanzsektors aus und verwies auf den jüngst veröffentlichten Report des Financial Stability Forums (FSF). Das FSF empfahl ein besseres Risikomanagement, eine umfassendere Liquiditätsplanung und eine frühere Information der Notenbanken durch die Kreditinstitute. Die systematische Deregulierung der vergangenen Jahre habe sich als gefährlicher Irrweg erwiesen, sagte Sanio (Bild).
Das FSF arbeitet seit vielen Jahren daran, die Stabilität des internationalen Finanzsystems zu sichern. Der jetzige Bericht gibt Antworten auf die großen Fragen, die sich angesichts der Subprime-Krise stellen: Wie konnte es zu diesem verhängnisvollen Blitz aus heiterem Himmel kommen? Und was müssen wir Aufseher tun, damit die internationalen Finanzmärkte in Zukunft von solch zerstörerischen Schlägen verschont bleiben – wenn das überhaupt möglich ist?
Sanio wies darauf hin, dass die im Bericht enthaltenen 67 Empfehlungen um klar formulierte Handlungsanweisungen handelt, die umzusetzen sind. "Die G7 Finanzminister und Notenbank-Gouverneure haben sich nicht nur zu den einzelnen Empfehlungen bekannt, sie erwarten eine Vollzugsmeldung – und zwar sehr schnell. Ihre Vorgaben lauten: Besonders wichtige Empfehlungen müssen bereits innerhalb von 100 Tagen nach Veröffentlichung des Berichts umgesetzt werden – also bis Juli 2008." In diesem Zusammenhang soll auch der Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht bis Juli einen neuen internationalen Liquiditätsstandard veröffentlichen.
Basel II muss umgehend umgesetzt werden
In der ersten seiner 67 FSF-Empfehlungen weist das FSF darauf hin, dass der Eigenkapitalstandard Basel II, der in Deutschland seit Anfang dieses Jahres für die Banken verbindlich ist, in allen Ländern fristgerecht umgesetzt werden müsse. "Diese Äußerung ist nur scheinbar banal, denn damit erklärt das FSF dem neuen Regelwerk sein Vertrauen. Das war auch notwendig, nachdem in letzter Zeit immer häufiger zu hören war, Basel II sei ein Irrweg, den man schleunigst wieder verlassen müsse" so Sanio. Obwohl ursprünglich von den USA angeregt und initiiert, wurde Basel II in den Vereinigten Staaten nicht mit dem gleichen Nachdruck wie in anderen Regionen umgesetzt. Die US-Regierung hatte zunächst beabsichtigt, die Regelungen ab 2008 schrittweise einzuführen. Inzwischen wurde eine Verschiebung auf mindestens 1. Januar 2009 angekündigt.
Unter dem alten Regelwerk Basel I führten Schwächen bei den Konsolidierungsregeln zur Gründung von Structured Investment Vehicles (SIVs), deren Risiken ihnen im Rahmen der Aufsichtsregeln nicht zugerechnet wurden. Sanio wies darauf hin, dass in der Subprime-Krise sich dann eine alte Erkenntnis bewahrheitete: In der Realität war die Wirklichkeit ganz anders. Die Risiken landeten schließlich doch in den Büchern der beteiligten Banken.
Der BaFin-Chef wies darauf hin, dass die moderne Finanzwelt hoch komplex sei und daher kein Weg zurück in die Idylle der Vergangenheit führen wird. "Die wirkliche Grundsatzfrage lautet ganz anders: Kann das originate-to-distribute-Modell zur Weitergabe von Risiken, das seit Jahren das Geschehen an den internationalen Finanzmärkten bestimmt, auf Dauer in der jetzigen Form bestehen bleiben?"
Schiefe Anreizstrukturen für Marktteilnehmer
Nach Sanio liegt das Hauptproblem der originate-to-distribute-Verbriefungskette in den verqueren Anreizstrukturen: Beim Durchhandeln der Risiken vom Begründer, also der Kredit gewährenden Bank, zum Endabnehmer besteht die große Gefahr, dass der Grundsatz der Risikobegrenzung laufend außer Acht gerät: Diejenigen, die zur Risikobegrenzung in der Lage sind – vor allem die "originators" und die Arrangeure der Forderungsverbriefungen – haben tendenziell kein besonders ausgeprägtes Interesse daran, durch verantwortungsvolles Handeln die Ausfallrisiken im Rahmen der Kreditgewährung zu minimieren. "Denn dies würde die Zahl der in Frage kommenden Kreditnehmer und damit die Geschäftsmöglichkeiten beschränken. Den Endabnehmern wiederum fehlt es an den Informationen, die erforderlich sind, um sich selbst ein zuverlässiges Bild zu machen von den Risiken, die sie in Form der Kreditverbriefungen übernehmen."
Die Subprime-Krise hat dieses Problem offen gelegt: Die US-Hypothekenfinanzierer haben in den vergangenen Jahren alle soliden Kreditvergabe-Standards über Bord geworfen und in großem Umfang auch Darlehen an kreditunwürdige Personen vergeben. Solange sich auch diese Kreditforderungen rasch verkaufen ließen, gab es für die Hypothekenfinanzierer so gut wie keinen Anreiz, eine verantwortungsbewusste Kreditpolitik zu betreiben, so Sanio.
Der BaFin-Präsident rügte jedoch auch die Käufer der verbrieften Kredite. "Sie haben offenbar in großem Umfang solche Papiere erworben, ohne die geringste Ahnung von den Risiken zu haben, die sie sich da an Land zogen – was auch an der enormen Komplexität mancher Verbriefungskonstruktionen gelegen haben mag. Viele Käufer haben blind den guten Ratings der Ratingagenturen vertraut."
Ratingagenturen haben ihr Vertrauen verspielt
Sanio wies darauf hin, dass die Ratingagenturen sich für die Ratings für Subprime-Verbriefungen in den vergangenen Jahren "eine goldene Nase verdient" hätten. "Den Verfall der Kreditvergabe-Standards, der sich vor ihren Augen abspielte, haben sie wohl nicht bemerkt, sonst hätten sie die Triple-A-Ratings für die besten Tranchen der Subprime-Verbriefungen nicht mit der Gießkanne verteilt." Dann mussten viele Banken fassungslos mit ansehen, wie aus Triple-A binnen weniger Tage "Schrott" wurde, als nämlich die Ratingagenturen unter dem Druck der Krise ihre Fehler korrigierten.
Nach Ansicht des BaFin-Präsidenten haben die Ratingagenturen in der Folge der Subprime-Krise ihr kostbarstes Gut verloren: ihre Glaubwürdigkeit. "Das ist fatal angesichts der wichtigen Rolle, die sie weiterhin auf den Finanzmärkten spielen. Der Draghi-Report fordert daher, schnellstmöglich dafür zu sorgen, dass alle Marktteilnehmer der Qualität, Beständigkeit und Integrität der Ratings wieder vertrauen können." Die IOSCO, die Internationale Organisation der Wertpapieraufseher, hat inzwischen ihren Verhaltenskodex für Ratingagenturen überarbeitet und wird ihn Ende Mai veröffentlichen. Die Ratingagenturen müssten die neuen IOSCO-Regeln noch in diesem Jahr übernehmen und sich dann auch entsprechend verhalten. Sollte sich eine Ratingagentur dem neuen Kodex verweigern, müsste sie in aller Öffentlichkeit gebrandmarkt werden. "Name and shame" heißt diese Strategie im Aufsichtsjargon. Jochen Sanio: "Wenn die IOSCO nicht bereit ist, unter ihren Fittichen eine starke Kontrollinstanz aufzubauen, dann muss die EU tätig werden. Auch CESR, das Committee of European Securities Regulators, beschäftigt sich seit einiger Zeit intensiv und ziemlich kritisch mit dem Verhalten der Ratingagenturen. Wie auch der Draghi-Report geht CESR in seinen Vorstellungen von Rating-Standards in einigen Punkten noch über das hinaus, was der IOSCO vorschwebt."
Umschalten von Notfallmedizin auf Prävention
Die Rettung einer Bank stützt zwar das Finanzsystem, senkt aber das Risikobewusstsein der Manager. In diesem Dilemma hat sich der BaFin-Chef klar positioniert. Nach der Stützung der IKB und dem Notverkauf des Wertpapierhändlers Bear Stearns sei es höchste Zeit, von Notfallmedizin auf Prävention umzuschalten. "Mit der Feststellung, dass Banken einer bestimmten Größenordnung und Marktstellung offenbar gerettet werden müssen, kann es natürlich nicht sein Bewenden haben", ergänzt Sanio. Er wies in diesem Zusammenhang auf ein Moral-Hazard-Problem hin. Moral Hazard beschreibt die Gefahr einer Verhaltensänderung nach dem scheinbaren Wegfall eines Risikos. "Banker, die meinen, sie genössen im Falle eines Falles unbegrenzten Versicherungsschutz, sind permanent der Versuchung ausgesetzt, übersteigerte Risiken einzugehen." Der BaFin-Chef wies in diesem Kontext darauf hin, dass es nun höchste Zeit sei, von Notfallmedizin auf Prävention umzuschalten.