Die Forderungsrisiken in Deutschland und in Europa sind nach einer leichten Erholung im Vorjahr wieder angestiegen. Auch deutsche Unternehmen sehen nach wie vor hohen finanziellen Risiken gegenüber – Ende 2005 verzeichneten sie rund 48 Milliarden Euro überfällige Forderungen. Im Jahresvergleich hat sich vor allem der Zahlungsverzug der öffentlichen Hand und der Privatkunden erhöht. Das ist ein zentrales Ergebnis der aktuellen Untersuchung „European Payment Index 2006“ Forderungsmanagement-Dienstleisters Intrum Justitia. Die Studie vergleicht das Zahlungsverhalten in 22 europäischen Ländern.
Demnach haben sich in Deutschland die Forderungsrisiken gegenüber dem Vorjahr leicht auf 155 Indexpunkte erhöht (Vorjahr: 154), wobei im ersten Halbjahr 2005 ein starker Anstieg in der zweiten Jahreshälfte und eine deutliche Entspannung festzustellen war. Die befragten Unternehmen gehen davon aus, dass sich die Risiken in diesem Jahr im Geschäftskundenmarkt positiv entwickeln, während sie im Privatkundensegment auf hohem Stand verharren oder sogar weiter ansteigen werden.
Die deutsche Exportindustrie muss sich hingegen auch mit den ansteigenden Zahlungsrisiken in ihren europäischen Hauptabsatzmärkten auseinander setzen. Drei der vier wichtigsten Märkte – Frankreich, Großbritannien und die Niederlande – weisen im Vorjahresvergleich einen Anstieg der Zahlungsrisiken aus. Lediglich Italien verzeichnet eine positive Entwicklung, die jedoch durch den starken Anstieg im Vorjahr relativiert wird. Die niedrigsten Zahlungsrisiken finden sich trotz einer negativen Entwicklung erneut in Finnland, gefolgt von Schweden und Norwegen. Portugal, die Tschechien und Polen weisen die höchsten Risiken aus.
Deutschland belegt wie im Vorjahr den 14. Platz der insgesamt 22 untersuchten Länder. Die durchschnittliche Zahlungsdauer in Europa (vertraglich vereinbarte Zahlungsfrist plus Zahlungsverzug) erhöhte sich 2005 erneut. Nach einer Erhöhung der Dauer von 57,3 Tagen (Ende 2003) auf 58,7 Tage zum Ende 2004 erhöhte sich die Dauer bis Ende 2005 auf 59,2 Tage. In Deutschland beträgt die Zahlungsdauer bei den Privatkunden 37 Tage (Vorjahr: 34,3 Tage), bei den Geschäftskunden 46,4 Tage (Vorjahr: 47,5 Tage) und bei der öffentlichen Hand 48 Tage (46,8 Tage).
Der durchschnittliche Zahlungsverzug in Europa erhöhte sich von 15,1 Tagen zum Ende des Jahres 2003 auf 16,8 Tage bis Ende 2005, was einem Buchwert der überfälligen Forderungen von insgesamt 250 Milliarden Euro entspricht – also in etwa so viel wie das Brutto-Inlandsprodukt (BIP) Österreichs. Der Anteil der deutschen Wirtschaft beträgt 48 Milliarden Euro. Allein seit 2003 stieg der Buchwert der überfälligen Forderungen in der Europäischen Union damit um 25 Milliarden Euro an.
In Deutschland hat der Zahlungsverzug bei den Geschäftskunden von 15,3 Tagen auf 14,2 Tage abgenommen. Die Privatkunden (14,9 Tage; Vorjahr: 12,2 Tage) und die öffentliche Hand (17,1 Tage; Vorjahr: 15,9 Tage) ließen sich jedoch noch einmal mehr Zeit, ihren Verpflichtungen nachzukommen. Der durchschnittliche Forderungsverlust in Europa stieg von 1,7 Prozent (Ende 2004) auf 1,9 Prozent bis Ende 2005 an.
Frankreich weist den stärksten Zuwachs an Forderungsverlusten aller 22 untersuchten Länder aus, gefolgt von Island und Ungarn. Die positivste Entwicklung verzeichneten Spanien und Litauen, gefolgt von Norwegen. Der Forderungsverlust in Deutschland beträgt 2,3 Prozent (Vorjahr: 2,2 Prozent) und liegt damit klar über dem europäischen Durchschnitt. Die geringsten Verluste weisen Finnland (0,7 Prozent, Vorjahr: 0,6 Prozent), Italien (0,9 Prozent, Vorjahr: 1,1 Prozent) sowie Dänemark (1,1 Prozent, Vorjahr: 1,2 Prozent) und Schweden (ebenfalls 1,1 Prozent, Vorjahr: 0,9 Prozent) aus. Die höchsten Verluste verzeichnen die Unternehmen in Estland (3,6 Prozent, Vorjahr: 3,4 Prozent) und Lettland (3,2 Prozent, Vorjahr: 2,8 Prozent). In diesen Ländern werden die Folgen der hohen Verluste jedoch zumindest teilweise durch das äußerst starke wirtschaftliche Wachstum kompensiert (BIP-Wachstum 2005: Estland 9,8 Prozent, Lettland 10,2 Prozent).
Intrum Justitia erwartet, dass sich die Zahlungsrisiken langfristig weiter erhöhen werden. Nicht zuletzt in Folge fehlender Finanzierungen hat sich das Zahlungsverhalten seit der ersten Umfrage im Jahr 1997 deutlich verschlechtert. Aktuell lassen sich keine grundlegenden Faktoren erkennen, die diese Entwicklung positiv beeinflussen werden, jedoch eine Anzahl von Indikatoren, dass sich die Zahlungsrisiken weiter erhöhen werden.
So zahlen Unternehmen zwar langsamer, wenn auch ihre eigenen Kunden langsamer bezahlen. Allerdings führt ein rascheres Bezahlen der eigenen Kunden zu keinem nennenswert rascheren Bezahlen der eigenen Lieferanten. Zudem wird mit der Einführung der neuen Eigenkapitalunterlegungsrichtlinien der Banken (Basel II) eine zusätzliche Überwälzung der schlechten Risiken von den Banken auf die übrigen Finanzierungsquellen erfolgen – in erster Linie also auf die Lieferanten.
Verschärft wird diese Ausgangslage dadurch, dass die Lieferanten die ihnen zur Verfügung stehenden Instrumente zur Risikobewirtschaftung nur ungenügend einsetzen. Neben dem klassischen Mahnschreiben mahnen die meisten der befragten Unternehmen säumige Zahler zwar telefonisch, Kreditlimite, Verzugszinsen und Mahngebühren werden aber nur kaum eingesetzt. Rund 45 Prozent der befragten Unternehmen mahnen zwar rascher im Vergleich zu früher, in den meisten Fällen aber immer noch zu spät, zu oft und in zu großen zeitlichen Abständen.