Nach der Krise ist vor der Krise

Für eine zukunftsorientierte Steuerung durch Simulationen lernen


Nach der Krise ist vor der Krise: Für eine zukunftsorientierte Steuerung durch Simulationen lernen News

Es fällt derzeit schwer einen Blick in die Medienlandschaft zu werfen, ohne dem Begriff "Krise" zu begegnen. Das reicht von lokal begrenzten Krisen, wie der Flüchtlingskrise, bis hin zu globalen Krisen, etwa der Corona- oder Klimakrise. Die Auseinandersetzung mit Krisen wird sich nie gänzlich vermeiden lassen. Aus Sicht des Philosophen Karl Popper ist das Leben ein fortwährendes Problemlösen, denn jede Lösung eines Problems öffnet den Raum für die Entstehung eines neuen Problems, unter neu entstandenen Bedingungen. So gesehen werden wir auch immer wieder mit neuen Krisen konfrontiert: Haben wir die eine überwunden, steht die nächste vor der Tür. Jedoch besteht die Option, unerwarteter Ereignisse nicht zu den eigenen Krisen werden zu lassen. Aber welche Möglichkeiten haben wir, eine Krise nicht zu unserem eigenen Unheil werden zu lassen? Und welche Rolle können Simulationen dabei einnehmen?

Dieser Frage widmete sich das 11. Forum "Zukunftsorientierte Steuerung" unter dem diesjährigen Titel "Nach der Krise ist vor der Krise – Für eine zukunftsorientierte Steuerung durch Simulationen lernen". Es fand am 30. März 2022 an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg statt. Veranstalter waren die Abteilung für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Produktionswirtschaft der Universität Stuttgart, das German Institute for Defence and Strategic Studies (GIDS) und Spitzner Consulting. Die sektorübergreifenden Einblicke von Wissenschaft, Militär und Wirtschaft in die Begegnung von Krisen führte auch in diesem Jahr zu einem aufschlussreichen Austausch unter den Teilnehmern.

Das Forum bot am Vormittag ein breites Workshopangebot, das neben dem Erleben von Simulationen auch die Informationsbeschaffung und Führungsaspekte von Teams in Krisensituationen umfasste. 

Das Forum Zukunftsorientierte Steuerung mit Teilnehmern aus Wirtschaft, Wissenschaft und Militär [Bildquelle: Katharina Roggmann/Führungsakademie der Bundeswehr]Das Forum Zukunftsorientierte Steuerung mit Teilnehmern aus Wirtschaft, Wissenschaft und Militär [Bildquelle: Katharina Roggmann/Führungsakademie der Bundeswehr]

Nicole Zimmermann, Associate Professor am University College London, stellte die partizipative Modellierung vor. Sie leitete die Teilnehmer an, zunächst am Beispiel einer von Überschwemmungskrisen geplagten Großstadt ein eigenes Kausalmodell zu erstellen. Die Teilnehmer erlebten, wie erkenntnisreich es sein kann, gemeinsam relevante Variablen zu identifizieren und unterschiedliche Perspektiven strukturiert in die Erstellung eines Models einzubinden. Neben Expertenwissen können so auch Ansichten diverser Stakeholdergruppen in das Modell einbezogen werden. Ein gruppenübergreifendes Verständnis entsteht, weil die Stakeholder sich die Zusammenhänge im Dialog erarbeiten und so aktiv an der Modellerstellung beteiligt sind. Das fördert auch die Akzeptanz des Simulationsmodells und der damit gewonnenen Erkenntnisse und abgeleiteten Maßnahmen.

Tom Theisejans, Chief IT-Experte im Notfallmanagement der Deutschen Bahn, brachte den Teilnehmern in seinem Workshop auf interaktive Weise näher, wie wichtig es ist, den Zweck einer Simulation genau zu bestimmen und wie die Auswahl von Parametern eine Simulation entscheidend beeinflusst. In einer Live-Simulation konnten die Teilnehmer den Einfluss von plötzlicher Heavy-Metal-Musik und anderer, teils störender Sinneseinflüsse auf die Resilienz ihrer Simulationsstrategien testen.

Bei Beate Krenzer stand die Befähigung von Menschen durch agiles Leadership im Vordergrund. Eingehend auf die individuellen Situationen der Workshopteilnehmer zeigte die erfahrene Beraterin und Coachin auf, wie aus Personalsicht die Robustheit von Unternehmen und Organisationen in Krisensituationen gestärkt werden kann. Martin Grothe, Professor und Geschäftsführer der complexium GmbH, durchleuchtete gemeinsam mit den Teilnehmern die Durchführung von Desinformationskampagnen und zeigte, wie mit Hilfe von Telegram, Hackerdaten und Databreaches bereits innerhalb eines Workshops ein Playbook für eine wirksame Desinformationskampagne entwickelt werden kann und wie sich andererseits Unternehmen durch frühzeitige Detektion schützen können.

Das Erleben von Simulationen in den Workshops am Vormittag [Bildquelle: Katharina Roggmann/Führungsakademie der Bundeswehr]Das Erleben von Simulationen in den Workshops am Vormittag [Bildquelle: Katharina Roggmann/Führungsakademie der Bundeswehr]

Die Vorträge am Nachmittag eröffnete Marc Wiedenmann, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Universität Stuttgart und Mitbegründer von Risktrict mit einem Einblick in die Bewertung von Risikoexpositionen globaler Lieferketten. Da Lieferketten einer Vielzahl an Risiken unterliegen, gilt es jene zu erkennen, die zu tiefgreifenden Disruptionen führen können. Durch den Einsatz einer datengetriebenen Bewertung durch die Kombination aus Monte-Carlo-Simulation und dem Value-at-Risk-Ansatz zeigte Herr Wiedenmann, wie sich die Auswirkungen von Disruptionseinflüssen anhand von Risikoindikatoren nachvollziehbar kategorisieren und mit angepassten Handlungsstrategien steuern lassen.

Stefan Koppold, Risikomanager der TRATON Gruppe, zu der Marken wie MAN und Scania gehören, gab lebendige Einblicke in die Prozesse und Herausforderungen, mit denen er sich bei der Entwicklung und Durchführung einer konzernübergreifenden Abschätzung von Cyber-Risiken konfrontiert sah. So ist es gerade bei einem gruppenweiten Konzept unerlässlich, den einzelnen Tochterunternehmen Raum für Besonderheiten bei der quantitativen Bewertung zu geben. Zudem darf Risikomanagement keine Einbahnstraße sein, so Stefan Koppold. Für einen kontinuierlichen Dialog über Risiken und Handlungsstrategien müssen Erkenntnisse zurück zu den Gesellschaften und Abteilungen gespielt werden. Nur so kann vermieden werden, dass gewonnene Erkenntnisse in zentralen Stellen versanden.

Intensive sektorübergreifende Pausengespräche auf dem Forum [Katharina Roggmann/Führungsakademie der Bundeswehr]Intensive sektorübergreifende Pausengespräche auf dem Forum [Katharina Roggmann/Führungsakademie der Bundeswehr]

Nicht jede Krise und nicht jede Auswirkung einer Krise lässt sich verhindern. Daher sind resiliente Strukturen unabdingbar. Stefan Bayer, Professor an der an der Helmut-Schmidt-Universität (Universität der Bundeswehr Hamburg) und stellvertretender Leiter des GIDS, stellte in seinem Vortrag die Frage, ob der Bundeswehr die Rolle als Versicherung bei gesellschaftlichem Präventionsversagen zukommt. So würde die Klimakrise nicht nur ökologische Risiken mit sich bringen. Ebenso entstünden erhebliche Sicherheitsrisiken, etwa aus migrations- und energiepolitischer Sicht, die auch militärisch relevant, aber derzeit unterrepräsentiert seien. Stefan Bayer demonstrierte hierbei die wichtige Rolle der Bundeswehr zur Prävention und Intervention. Werden Erträge der Prävention nicht berücksichtigt, besteht die Gefahr, entsprechende Strukturen nach und nach abzubauen und damit die Resilienz unserer Gesellschaft nachhaltig zu schädigen. Simulationen können hier helfen, auch unwahrscheinliche Szenarien mit hohen Auswirkungen in das Bewusstsein der Entscheider zu rufen. Auf deren Basis können gesamtgesellschaftliche Resilienz-Strukturen überdacht werden und innerhalb dieser auch die Rolle der Bundeswehr.

Den Abschluss machte Tom Theisejans, der die Forumsteilnehmer mit einer erfrischenden Analogie begeisterte, in der er die Resilienz des menschlichen Körpers mit der Resilienz der IT-Sicherheit verglich. So diene etwa der Schockzustand des Körpers dem Selbstschutz vor traumatischen oder physischen Schäden in besonders bedrohlichen Lagen, während die Grundfunktionen des Körpers erhalten blieben. Ebenso müsse die IT in besonderen Situationen, wie die kurzfristige Umstellung eines ganzen Unternehmens auf Homeoffice, die Mitarbeiter auf die kritische Lage aus IT-Sicht aufmerksam machen, einen Schockzustand induzieren und sie durch klare Anleitung und Führung durch diese Phase navigieren. Gerade in Krisenzeiten sind gute Kommunikation und gegenseitiges Verständnis wichtig. Dabei können Analogien oder Simulationen brauchbare Instrumente sein.

Damit hat es das Forum auch in diesem Jahr wieder geschafft, die Perspektiven aus Wissenschaft, Militär und Wirtschaft auf gelungene Weise zusammenzubringen. Die Veranstaltung war von angeregten Diskussionen und regem Austausch über den Nutzen von Simulationen vor und während Krisenzeiten geprägt. Die Veranstalter planen, im nächsten Jahr die Veranstaltungsreihe fortzusetzen.

Autor:

Sebastian Achter
, TU Hamburg

 

[ Bildquelle Titelbild: Adobe Stock.com / putilov_denis | Weitere Bilder: Katharina Roggmann/Führungsakademie der Bundeswehr ]
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