Der gesellschaftliche und politische Druck auf Unternehmen aller Branchen zur Transformation in Richtung nachhaltiger Wirtschaft wächst. Unternehmen müssen sich immer intensiver mit Nachhaltigkeitsthemen auf der Grundlage der ESG-Kriterien (Environment, Social, Governance) auseinanderzusetzen, um den Erwartungshaltungen gegenüber externen und internen Stakeholdern gerecht zu werden. Auch eine Vielzahl an gesetzlichen Regulatorien und Verordnungen (EU-Taxonomie, Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz etc.) verpflichten Unternehmen nachzuweisen, dass sie nachhaltig und umweltbewusst handeln. Nachhaltigkeit wird so zu einem wesentlichen Wettbewerbsfaktor, der über den zukünftigen Erfolg eines Unternehmens am Markt entscheidet.
Für das Risikomanagement in Unternehmen bedeutet dies eine stärkere Integration der Nachhaltigkeitskriterien in die Risikostruktur und eine Anpassung der aktuellen Methoden zur Risikobewertung und -steuerung. Zu den ESG-Risiken zählen Umweltrisiken (physische und transitorische Risiken), soziale Risiken, Governance-Risiken sowie deren direkte und indirekte Auswirkungen auf den Unternehmenserfolg. Dabei stellen die ESG-Risiken keine eigene Risikoart dar, sondern sind als Risikotreiber (im Sinne einer Ursache) zu verstehen, die auf bestehende Risikoarten (beispielsweise operationelle Risiken, Kreditrisiko, Marktrisiko etc.) wirken.
CSRD als Treiber für eine Neuorientierung der Bewertung von ESG-Risiken
Von der im November 2022 beschlossene EU-Richtlinie "Corporate Sustainability Reporting Directive" (CSRD) werden in Europa zukünftig rund 50.000 Unternehmen betroffen sein. Allein in Deutschland müssen etwa 15.000 Unternehmen die CSRD beachten und umsetzen.
Die CSRD-Richtlinie wird nicht nur die Art und den Umfang der Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen tiefgreifend ändern, sondern auch erheblichen Einfluss auf das zukünftige Risikomanagement nehmen.
Ein wesentlicher Bestandteil der neuen EU-Richtlinie ist das Prinzip der doppelten Wesentlichkeit. Das bedeutet, dass wesentliche Nachhaltigkeitsaspekte in die Berichterstattung aufgenommen werden müssen, wenn sie sich auf die Geschäftstätigkeit eines Unternehmens auswirken (Financial Materiality) oder wenn die Aktivitäten des Unternehmens Auswirkungen auf Menschen und Umwelt haben (Impact Materiality).
Darüber hinaus fordert die CSRD eine dynamische Betrachtung der Risikoentwicklung. Die Darstellung des aktuellen Risikostatus ist nicht mehr ausreichend. Vielmehr ist eine zukunftsgerichtete Risikobewertung unter Berücksichtigung kurz-, mittel- und langfristiger Zeithorizonte vorzunehmen.
Außerdem verpflichtet die CSRD betroffene Unternehmen den Fortschritt der Erreichung ihrer Nachhaltigkeitsziele quantitativ auf Basis ausgewählter Key Performance Measures (KPIs) zu messen.
Zukunftsorientierte Bewertung von ESG-Risiken durch Szenarioanalysen
Mit der Notwendigkeit ESG-Risiken über einen längeren Zeithorizont zu analysieren wächst die Unsicherheit über zukünftige Entwicklungen. Klassische Prognose-Instrumente sind nicht geeignet, robuste Vorhersagen über einen längerfristigen Zeitraum zu treffen. Eine Lösungsmöglichkeit bietet die Anwendung von Szenarioanalysen. Deren Einsatz im Rahmen der Bewertung von ESG-Risiken wird auch von Organisationen wie der Task Force on Climate-related Financial Disclosures (TCFD) oder der Science Based Targets initiative (SBTi) empfohlen. Szenarioanalysen bilden eine fundierte Entscheidungsgrundlage, um in einem komplexen und unsicheren Umfeld mögliche Wirkungen von ESG-Risiken zu bewerten und eine erfolgreiche Nachhaltigkeitsstrategie zu entwickeln.
Der nächste Schritt: Dynamische Szenariosimulation unter Unsicherheit
Um die richtigen Steuerungsmaßnahmen im Umgang mit den ESG-Risiken zu ergreifen, sind die Abhängigkeiten zwischen Nachhaltigkeitsrisiken und konventionellen Risikokategorien in ihrer Gesamtheit zu erfassen. Eine dynamische Szenariosimulation bietet die Möglichkeit einer ganzheitlichen und transparenten Risikoanalyse unter Berücksichtigung von Wechselwirkungen, Zeitverzögerungen und Nichtlinearitäten zwischen den Risikofaktoren.
Existieren Unsicherheiten bzgl. der möglichen Ausprägungen einzelner Szenario-Parameter, können über verschiedene stochastische Verteilungsfunktionen die Entwicklung dieser Parameter valide geschätzt werden.
Beispiel: Auswirkung transitorischer Risiken auf den Geschäftserfolg
Das unten eingefügte Video erklärt anhand eines einfachen Beispiels den Einsatz eines ESG-Szenariotools, mit dessen Hilfe alternative Nachhaltigkeitsszenarien simuliert und bewertet werden können. Im Mittelpunkt steht die zukunftsbezogene Analyse der Ursache-Wirkungen zwischen transitorischen Risiken (Preisentwicklung von CO2 Zertifikaten und Nachfragerückgang aufgrund Veränderungen im Konsumentenverhalten), Maßnahmen zur CO2-Reduktion und die Auswirkungen auf die Unternehmensprofitabilität. Durch Veränderung verschiedener Parameterwerte lassen sich alternative Szenarien durchspielen und deren Folgen gesamtheitlich untersuchen. In einem Ursache-Wirkungsdiagramm werden die Abhängigkeiten und Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Einflussfaktoren transparent und damit nachvollziehbar dargestellt.
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Fazit
Die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien erfordert die Erweiterung der bestehenden Risikomanagement-Methoden. Die dynamische Szenariosimulation in Verbindung mit stochastischen Verfahren stellt ein wertvolles Instrument dar, um in einer ungewissen Zukunft erfolgreich ESG-Risiken zu bewerten und effizient zu steuern.
Ansprechpartner:
Klaus Schramm | Schramm Unternehmensberatung GmbH | E-Mail
Frank Romeike | RiskNET GmbH | E-Mail
Holger Tietz | Governance Solutions GmbH | E-Mail