Banken betreiben Fristentransformation: speziell längerfristige Aktiva werden nicht "risikolos" durch kongruente, sondern durch kürzerfristige Passiva refinanziert. Bei sonst unveränderter Marktsituation lohnt sich dies in zweifacher Hinsicht: bei der vorherrschenden "normalen Zinsstruktur" sind die Zinskosten bei kürzerer Laufzeit niedriger; darüber hinaus sinken auch die Kosten für die Zurverfügungstellung von Liquidität (Funding Spreads) mit kürzerer Laufzeit. Diese kurzfristige Ertragsverbesserung wird allerdings mit langfristigen Risiken erkauft: bewegt sich die Zinsstrukturkurve nach oben, steigen die Kosten für Anschlussfinanzierungen, was den vorher erwirtschafteten Periodengewinn zunichte machen oder sogar in einen Verlust verwandeln kann. Verknappt sich hingegen das Angebot an Finanzierungen, kann die Bank möglicherweise keine Anschlussfinanzierung mehr finden und wird im schlimmsten Fall illiquide.
In der Theorie könnte eine Bank diese Risiken vermeiden, indem sie allen Aktiva fristenkongruente Passiva gegenüberstellt; dann ließe sich auch der jeweilige Ertrag direkt als Differenz zwischen Aktiv- und Passiv-Zinssatz ablesen. Da jedoch die aus dem Geschäftsbetrieb sich natürlich ergebenden Aktiv- und Passiv-Geschäfte mit hoher Wahrscheinlichkeit weder bezüglich ihres Betrags noch ihrer Laufzeit entsprechen, müsste jede Aktiv- bzw. Passiv-Position durch eine entsprechende Gegenposition geschlossen werden, was die Bilanz stark verlängern würde. Seit der Einführung von Interest Rate Swaps vor etwa 20 Jahren kann nun das Zinsrisko einer Aktiv- oder Passiv-Position sofort neutralisiert werden, ohne die Bilanz zu verlängern. Allerdings wird dadurch der Zinsgewinn aus der Fristentransformation wieder zunichte gemacht. In der Praxis hat die Möglichkeit der Zinsrisikoneutralisierung jedoch dazu geführt, dass Anschlussfinanzierungsrisiken (die nur durch langfristige Refinanzierungen ausgeglichen werden können) gestiegen sind: dies hat letztendlich zur Krise 2008 entscheidend beigetragen.
Allerdings muss sich eine Bank nicht notwendigerweise fristenkongruent refinanzieren, um die Anschlussfinanzierungsrisiken zu reduzieren: hat sie liquidierbare Aktiva in ihrem Bestand, kann sie diese in in kurzfristig verfügbare Liquidität umwandeln und so Liquiditätslücken umgehend schließen. In einer bestimmten Bilanzsituation verbessert der Erwerb liquider Aktiva die Gesamtliquidität der Bank allerdings nicht nachhaltig, wenn diese nur kurzfristig refinanziert sind.
Dieser Gedanke liegt dem Liquidity Coverage Ratio (LCR) von Basel III zugrunde: die Bank soll eventuell auftretende Finanzierungslücken jederzeit durch die Liquidierung von "hochliquiden" Aktiva decken können. In der Praxis stellt dies Banken vor diverse Herausforderungen. Einerseits ist die Einhaltung des LCR für die meisten Banken mit Kosten verbunden: direkte Kosten, falls liquide Aktiva erworben und kongruent refinanziert werden müssen; Opportunitätskosten, falls Aktivgeschäfte nicht abgeschlossen werden können, bzw. falls keine Fristentransformationen eingegangen werden können. Andererseits muss der LCR gegenüber den Aufsichtsbehörden ausgewiesen werden: monatlich - aber auf Anforderung auch kurzfristig täglich, was technisch herausfordernd sein kann. Letztlich muss die Bank aber nicht nur gewährleisten, dass der LCR aktuell eingehalten wird und dies auch reporten, sondern ihre Bilanz so planen, dass der LCR zu zukünftigen Zeitpunkten im Planungshorizont eingehalten wird. Um dies zu erreichen, sollte bereits heute der LCR für einen zukünftigen Zeitpunkt bestimmt werden können. Eine einfachere Möglichkeit dies zu tun, wäre einen fixen Bestand an Geschäften der Bank zu Grunde zu legen und den LCR heute für die zu einem zukünftigen Zeitpunkt gültige Ablaufbilanz zu errechnen (Forward LCR). Der Nachteil dieser Vorgehensweise ist, dass Aktiva und Passiva nicht synchron fällig werden, was bedeutet, dass in der Ablaufbilanz die Summen von Aktiva und Passiva sich nicht jederzeit entsprechen, was wiederum den Nenner des LCR verzerrt. Das wesentlichere Problem ist aber, dass die Ablaufbilanz nur eine sehr unrealistische Schätzung für die zukünftige Bilanz der Bank sein kann, da sie kein Neugeschäft enthält und somit die Einstellung des Geschäftsbetriebs simuliert.
Eine erfolgversprechendere – aber auch anspruchsvollere – Methode ist die Errechnung des zukünftigen LCR (Future LCR), der auf der Simulation einer realistischen zukünftigen Bilanz basiert. Solch eine Bilanzsimulation kann dann aber nicht "frei" durchgeführt werden, sondern muss gewissen Einschränkungen genügen. Zuallererst muss die Bilanz in jedem zukünftigen Zeitpunkt ausgeglichen sein. Sollte also eine erste, vom geplanten Geschäftsmodell getriebene Simulation einen Aktiv- oder Passivüberhang produzieren, muss dieser in einem nächsten Schritt "zwangsläufig" ausgeglichen werden. An dieser Stelle ist die Belastbarkeit des Geschäftsmodells der Bank von entscheidender Bedeutung: passiv-getriebene Banken werden im Allgemeinen kein Problem haben, ihre überschüssige Liquidität am Markt zu platzieren; sie müssen aber unter Umständen Zins-Opportunitätsverluste bzw. unerwünschtes Kreditrisiko in Kauf nehmen. Für eine Bank mit struktureller Liquiditätsunterdeckung stellt sich jedoch die Frage, ob diese Lücke tatsächlich im laufenden Geschäftsbetrieb stets geschlossen werden kann.
Ob man es wahrhaben will, oder nicht: aktiv-getriebene Banken sind strukturell illiquide – auch wenn sie bereits Jahrzehnte so überlebt haben.
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