Wie Banken Wachstum ermöglichen und Krisen verursachen

Geld aus dem Nichts


Binswanger, Mathias: Geld aus dem Nichts – Wie Banken Wachstum ermöglichen und Krisen verursachen, Wiley-VCH Verlag, 1. Auflage, Weinheim 2015, 347 Seiten, 24,99 Euro, ISBN 978-3-527-50817-4. Rezension

Die überwiegende Mehrheit der Menschen ist davon überzeugt, dass die Banken nur das Geld weiterverleihen, das bei ihnen angelegt, ihnen also als Darlehen anvertraut ist. Je mehr also in einer Wirtschaft gespart wird und die Menschen Geld auf ihren Bankkonten lassen, umso mehr können die Banken dann Kredite vergeben, um damit Investitionen in Realkapital oder in Häuser zu finanzieren, so die Logik dahinter. Die Geschäftsbanken können gemäß dieser Sichtweise nicht mehr Kredite vergeben, als das Publikum willens ist, ihnen an Ersparnissen zur Ausleihung zur Verfügung zu stellen. Banken sind demnach Finanzintermediäre, deren Tätigkeit in erster Linie darin besteht, Geld von Sparern (Einlegern) zu Investoren (Kreditnehmern) zu transferieren.

Doch die Wahrheit sieht anders aus: Banken besitzen das einzigartige Privileg, selbst Geld aus dem Nichts zu schöpfen und gegen Zinsen auszuleihen. Mit jedem Kredit durch eine Bank entsteht neues Geld: Buch- oder Giralgeld, das als Buchungsvorgang auf dem Girokonto erscheint und das Geldvolumen vermehrt. Heute macht das Bargeld lediglich 20 Prozent der umlaufenden Geldmenge aus, das Giralgeld 80 Prozent. Geld tritt im Normalfall physisch gar nie in Erscheinung. Es kommt aus dem Nichts und verschwindet wieder ins Nichts.

Seit Londoner Goldschmiede im 17. Jahrhundert damit begannen, Kredite in Form von Papiergeld zu vergeben, welches sie selbst schufen, sind Banken zu Geldproduzenten geworden. Sie wirken nur dann in unterstützender Form als Finanzintermediäre, wenn sie am Prozess der direkten Finanzierung über die Finanzmärkte beteiligt sind, indem sie die Emission und den Handel von Wertpapieren organisieren. Sobald es aber um die Kreditvergabe selbst geht, ist eine Bank "Geldproduzent" und nicht mehr nur Finanzintermediär. Das hat bereits im 19. Jahrhundert der Schottische Ökonom Henry Dunning McLeod beschrieben, der von Banken als "Geldfabriken" spricht.

Die Bundesbank beschreibt diesen Prozess der Geldschöpfung (aus dem Nichts) wie folgt: "Die Geschäftsbanken können auch selbst Geld schaffen, das sogenannte Giralgeld. Der Geldschöpfungsprozess durch die Geschäftsbanken lässt sich durch die damit verbundenen Buchungen erklären: Wenn eine Geschäftsbank einem Kunden einen Kredit gewährt, dann bucht sie in ihrer Bilanz auf der Aktivseite eine Kreditforderung gegenüber dem Kunden ein – beispielsweise 100.000 Euro. Gleichzeitig schreibt die Bank dem Kunden auf dessen Girokonto, das auf der Passivseite der Bankbilanz geführt wird, 100.000 Euro gut. Diese Gutschrift erhöht die Einlagen des Kunden auf seinem Girokonto – es entsteht Giralgeld, das die Geldmenge erhöht."

Die Erkenntnis, dass Geschäftsbanken Geld aus dem Nichts schaffen, wird in der Zwischenzeit auch von Experten verstanden. Hingegen wird oft der Zusammenhang zwischen Geldschöpfung und Wirtschaftswachstum noch nicht erkannt, so Mathias Binswanger, Professor für Volkswirtschaftslehre in der Schweiz. Bereits der britische Ökonom, Politiker und Mathematiker John Maynard Keynes und der österreichische Nationalökonom Joseph Alois Schumpeter hatten bereits erkannt, dass die Geldschöpfung eine Voraussetzung für Wirtschaftswachstum ist.

Das Buch von Mathias Binswanger will daher vor allem aufzeigen, wie die Geldschöpfung der Banken Wachstum ermöglicht. In diesem Kontext muss allerdings berücksichtigt werden, dass die Geldschöpfung der Banken immer wieder finanzielle Exzesse und Übertreibungen mit sich bringt, was zu spekulativen Blasen und Finanzkrisen führen kann.

Im Kern geht es im Buch daher um drei Themen:

  1. Banken sind Geldproduzenten: Sie leihen nicht Geld aus, welches vorher jemand bei ihnen deponiert hat, sondern sie schaffen neues Geld, indem sie Geld an ihre Kunden vergeben.
  2. Banken ermöglichen Wachstum: Dank der Möglichkeit der Geldschöpfung können auf gesamtwirtschaftlicher Ebene Investitionen, zusätzliche Beschäftigung, aber auch andere Ausgaben – etwa des Staates – finanziert werden, ohne dass vorher entsprechend gespart wurde.
  3. Banken ermöglichen spekulative Blasen: Ein Teil des von den Banken geschaffenen Geldes wird in einer modernen Wirtschaft nicht mehr für den Kauf von Gütern und Dienstleistungen verwendet, sondern für den Kauf von Wertpapieren oder anderen Vermögenswerten. So kann die Geldschöpfung durch Banken auch immer wieder zu spekulativen Blasen beispielsweise an der Börse oder auf dem Immobilienmarkt führen.

Das Buch gliedert sich in fünf Teile. Im ersten Themenblock wird die "Geldschöpfung aus dem Nichts" in einer modernen Volkswirtschaft im Detail beschrieben. Hierbei wird auch gezeigt, wie Zentralbanken diesen Prozess beeinflussen können. Binswanger zeigt auf, dass der Prozess der Geldschöpfung und auch seine Abbildung in den Bankbilanzen besser verstanden werden kann, wenn die historischen Hintergründe der Geldschöpfung bekannt sind.

Die historischen Hintergründe sind daher im zweiten Themenblock beschrieben. Der Leser lernt, dass die Londoner Goldschmieden im 17. Jahrhundert die Geldschöpfung entdeckten. Sie nahmen Einlagen in Gold von ihren Kunden entgegen und stellten im Gegenzug dafür Schuldscheine aus. Dies waren zunächst überwiegend Wechsel (Goldsmith Notes). Die Goldschmiede gaben jedoch ihre Wechsel zunehmend ohne Indossament und Zinsversprechen aus, wodurch diese den Charakter von Banknoten erhielten. Auf diese Weise begannen sie, Geld zu schöpfen. Denn es konnten mehr Noten ausgegeben werden, als es Gold oder Münzen gab. Die Logik hierbei: Nur ein Bruchteil der Noten wurde zu jedem Zeitpunkt tatsächlich für Zahlungen präsentiert. Die später im Jahr 1694 als Aktiengesellschaft gegründete Bank of England, die dann später zur Englischen Zentralbank mutierte, unterschied sich in ihrer Tätigkeit nur unwesentlich von den Goldschmiedebanken. Bei der Bank of England stand jedoch vor allem die Kreditvergabe an den Staat im Vordergrund, den dieser kämpfte mit einem grassierenden Geldmangel zur Finanzierung von diversen Kriegen.

Doch nicht nur die Goldschmiede in London liefern uns ein historisches Beispiel für Papiergeldschöpfung. Der Schotte John Law, Sohn eines Goldschmieds, machte sich nicht nur als erfolgreicher Glücksspieler einen Namen. Law gründete in Frankreich zunächst die Banque Générale, die später in die staatliche Bank Royale umgewandelt wurde. Was war die Idee hinter der Bankgründung? Diese sollte Staatsschulden aufkaufen und diese mit von ihr selbst geschaffenem Papiergeld bezahlen (Monetisierung von Staatsschulden). Auch die Gründung erfolgversprechender Unternehmen, welche Aktien emittieren, sollte ebenso mit Staatsschulden bezahlt werden können. So landen die verbleibenden Staatsschulden bei den Unternehmen und werden durch Aktien der Unternehmen ersetzt. Hinter dem Vorschlag stand die zentrale Idee, dass die Papiergeldschöpfung durch Kreditvergabe der Banken die Finanzierung von neuen Investitionen ermöglicht, die in der Konsequenz ein entsprechendes Wirtschaftswachstum mit sich bringen. Mit der Umwandlung der Banque Générale in die staatlich Banque Royale wurde auch die Edelmetalldeckung aufgehoben, das heißt die Besitzer von Banknoten hatten nicht mehr das Recht, diese in Gold- oder Silbermünzen umzuwandeln.

Der dritte und vierte Themenblock beschäftigt sich mit den Auswirkungen der Geldschöpfung auf die Wirtschaft. So wird gezeigt, dass die produktive Verwendung von neu geschaffenem Geld die Finanzierung des realen Wachstums ermöglicht und gleichzeitig eine Voraussetzung für eine permanente Ausweitung der Produktionstätigkeit ist. Mathias Binswanger erläutert in diesem Kontext auch, warum die Mainstream-Theorie in der Ökonomie diesen Zusammenhang ignoriert und stattdessen die Doktrin der Neutralität des Geldes vertritt. Außerdem zeigt der Autor auf, wie durch eine unproduktive Verwendung von neu geschaffenem Geld spekulative Blasen und Finanzkrisen entstehen.

Der letzte und fünfte Teil des Buches gibt es Antwort auf die Frage, inwieweit die Zentralbanken in jüngster Zeit noch eine Kontrolle über den Geldschöpfungsprozess besitzen. Außerdem wird die Frage diskutiert, ob Reformen erforderlich sind. Das Fazit des Autor ist klar und unmissverständlich: Da in der Folge der Finanzkrise 2007/2008 die Geschäftsbanken weitgehend ohne Kontrolle im Bereich der Geldschöpfung agieren, sind Reformen notwendig, da eine unkontrollierte Geldschöpfung volkswirtschaftlich mit zu hohen Risiken verbunden ist. Daher diskutiert der Autor abschließend verschiedene Reformideen. Diese bewegen sich von einer Rückkehr zum Goldstandard, dem 100%-Geld, dem Vollgeld bis zum Free Banking und Komplementärwährungen.

In dem Buch "Geld aus dem Nichts" zeigt Mathias Binswanger auf, dass viele ökonomische Standardkonzepte aus der Literatur und dem Studium die Realität nur unzureichend oder gar falsch widerspiegeln. Banken sind keine Finanzintermediäre, sondern eher Geldfabriken. Und die Schattenseite diese Geldfabriken ist offensichtlich: Spekulative Blasen und Finanzkrisen.

Fazit: Ein unterhaltsame und gleichzeitig wissenschaftlich fundierte Lektüre, die einen weiten Bogen spannt von den Londoner Goldschmieden im 17. Jahrhundert, über die exzessive Papiergeldschöpfung im System von John Law bis zum Kontrollverlust nach der jüngsten Finanzkrise. Basierend auf der Diagnose der Schattenseiten einer Geldschöpfung aus dem Nichts werden verschiedene grundlegende Reformideen präsentiert und diskutiert. Ein provokantes und aufrüttelndes Buch, was nicht nur Ökonomen und Risikomanagern als Lektüre wärmstens empfohlen werden kann.

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