Geldpolitik ist keine Wissenschaft, wie viele meinen. Sie ist eher eine Kunst. Sie erfordert nicht nur die richtige Einschätzung der gesamtwirtschaftlichen Lage und der weiteren Entwicklung. Sie muss auch die Psychologie der Märkte erspüren und bei ihren Handlungen berücksichtigen. Sie muss ihre Intentionen den Marktteilnehmern und der Öffentlichkeit überzeugend erklären, damit diese dann auch entsprechend reagieren können.
Meistens erfüllen die Zentralbanken die Voraussetzungen. Blickt man zurück auf die Geldpolitik in der Nachkriegszeit, so hat sie insgesamt gesehen einen guten Job gemacht. Seit den Wirren mit den ersten Ölpreiserhöhungen in den 70er und 80er Jahren ging die Geldentwertung kontinuierlich zurück. Sie liegt jetzt in den Industrieländern bei 2 Prozent oder darunter. Eine Deflation mit sinkenden Preisen gab es zu keiner Zeit. Insofern können wir zufrieden sein.
Es gibt aber auch Pannen. Eine erleben wir gerade beim Euro. Angesichts der geringen Inflation (derzeit im Euroraum 0,8 Prozent), des nachlassenden gesamtwirtschaftlichen Wachstums und der Gefahr eines Abgleitens in die Rezession wäre eigentlich eine Erhöhung der monetäre Expansion mit niedrigeren Zinsen und einer Ausweitung der Liquidität angebracht. So hatte das EZB-Präsident Draghi in vielen Reden auch angekündigt. Tatsächlich sind die Renditen am Kapitalmarkt seit Jahresbeginn kontinuierlich zurückgegangen. Das passte zusammen.
Anfang Januar rentierten 10-jährige Bundesanleihen noch mit plus 0,2 Prozent. Im April fielen sie auf unter Null. Anfang September wurde dann der Tiefpunkt mit minus 0,6 Prozent erreicht. Das war für die Sparer nicht angenehm. Es war angesichts der gesamtwirtschaftlichen Konstellation aber logisch. Vor allem kam es ohne Zutun der Zentralbank zustande.
Doch dann kam der Knacks. Am 12. September beschloss die EZB ein besonders umfangreiches Lockerungsprogramm. Es fiel mit dem Beschluss, die Wertpapierkäufe am Markt wieder aufzunehmen sogar noch größer aus als von manchen erwartet. Und was passierte am Markt? Etwas ganz Komisches. Die Renditen gingen als Folge der Lockerung nicht weiter zurück. Sie stiegen im Gegenteil an. Sie liegen inzwischen mit minus 0,37 Prozent um über 20 Basispunkte über dem Stand von vor den Beschlüssen der EZB. Mit allem hätte ich gerechnet, aber damit nicht.
Nun soll man kurzfristige Marktbewegungen nicht überschätzen. Hier spielen oft ganz unterschiedliche Faktoren eine Rolle. In den letzten vier Wochen knarzte es in der Weltwirtschaft ganz gehörig. Schlechte und gute Nachrichten wechselten sich fast im Minutentakt ab. Bei den amerikanisch-chinesischen Handelsverhandlungen, beim Brexit und nach dem Drohnenangriff auf saudi-arabische Ölförderanlagen gab es ein Wechselbad der Gefühle. Und weil das alles nicht genug war, wurde der Markt durch viele schlechte Nachrichten von der Konjunktur diesseits und jenseits des Atlantiks verunsichert. Die Anleger verlangten in dieser Situation einen Risikozuschlag auf die Renditen.
Der Markt geht seinen eigenen Weg: Rendite 10-jährige Bunds [Quelle: Bundesbank]
Es gab aber auch andere Gründe für die Zinserhöhung. Sie lagen in der Geldpolitik selbst. Die Maßnahmen wurden von vielen als außerordentlich weitgehend empfunden. Das ließ den Verdacht aufkommen, dass die EZB über zusätzliche Informationen verfügte, dass die konjunkturelle Lage vielleicht doch noch schlechter war als dies aus den Zahlen erkennbar war.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Märkte durch die Minuszinsen generell verunsichert sind. Sie stellen das monetäre Weltbild auf den Kopf. Sie haben vielerlei negative Wirkungen. Sie sind vor allem für die Finanzwirtschaft eine starke Belastung. Wenn diese Zinsen noch weiter in den negativen Bereich verschoben werden sollten, wie das die EZB mit ihrem Maßnahmenpaket tat, dann ist das für die Märkte keine Ermutigung Bonds zu kaufen, sondern die Botschaft, dass die verqueren Verhältnisse noch länger andauern.
Besonders verunsicherte der Beschluss, die Wertpapierkäufe wieder aufzunehmen, die erst Ende letzten Jahres beendet worden waren. Denn die bisherigen Erfahrungen mit diesem Instrument waren nicht unbedingt ermutigend. Obwohl die EZB in den letzten vier Jahren Wertpapiere im Wert von über zwei Billionen Euro gekauft hatte, hat sich die Situation bei der Preissteigerung kaum verändert. Hinzu kam, dass die neuen Wertpapierkäufe auch in der EZB selbst umstritten waren. Wichtige Ratsmitglieder waren dagegen. Das interne Monetary Policy Committee hatte sich gegenüber Präsident Draghi ausdrücklich gegen neue Wertpapierkäufe ausgesprochen.
Niemand soll sich wundern, dass so etwas die Märkte verunsichert und zu dem Zinsanstieg beigetragen hat. Draghi ist zwar ein erfahrender Zentralbankpräsident, der selbst auch an den Märkten gearbeitet hat. Aber eine besondere Sensibilität für die Stimmung der dort handelnden Menschen hat ihn bisher nicht ausgezeichnet. Im Augenblick wird viel über die Qualifikationen von Zentralbankpräsidenten gesprochen, nachdem sowohl der Chef der Federal Reserve als auch die neue Chefin der EZB Juristen sind. Das muss kein Nachteil sein. Andererseits sind Juristen zwar bekannt dafür, dass sie Institutionen gut führen können, aber nicht dafür, dass sie ein besonderes Gespür für die Märkte haben. Es wird die Aufgabe von Frau Lagarde sein, die Märkte vom Gegenteil zu überzeugen.
Man sollte die Zinserhöhung der letzten Wochen nicht überschätzen. Angesichts der schwachen Konjunktur, der niedrigen Preissteigerung und der Entschlossenheit der Zentralbanken rund um den Globus zu weiteren geldpolitischen Lockerungen können die Bondzinsen auch wieder zurückgehen. Andererseits sollten Sie den Notenbanken in dieser Situation nicht zu viel vertrauen. Sie haben viel von ihrem Charisma verloren. Der US-Ökonom Larry Summers sprach dieser Tage von der "Geldpolitik in einem schwarzen Loch".
Autor:
Dr. Martin W. Hüfner, Chief Economist, Assenagon Asset Management S.A.