Eine kurze Geschichte des Risikomanagements

Gott würfelt nicht: Vom klassischen Würfelspiel zum modernen Risikomanagement


"Die Theorie liefert viel, aber dem Geheimnis des Alten bringt sie uns kaum näher. Jedenfalls bin ich überzeugt, dass der Alte nicht würfelt", schrieb 1926 Albert Einstein an den Physiker Max Born (1882-1970). Die Nachwelt machte daraus den bekannten Ausspruch "Gott würfelt nicht". Das Glückspiel ist quasi der Inbegriff eines bewusst eingegangenen Risikos. Das Erscheinungsbild des Würfels hat sich in den letzten 2.500 Jahren offenbar kaum gewandelt, d.h. der Würfel hat sechs Seiten, jede Seite ist mit Augen versehen und die Summe der Augen auf den einander gegenüberliegenden Flächen ergibt in der Regel immer sieben. Ebenfalls unverändert geblieben ist das statistische Risiko. Dabei ergibt sich beim sechsseitigen Würfel die Wahrscheinlichkeit aus dem Verhältnis der vermuteten Schadensfälle zu den insgesamt möglichen Fällen. Falls beim Spiel mit der gemeinten Zahl ein Verlust verbunden ist, entspricht dies der Gefahr, wird hingegen die richtige Zahl getroffen, also ein Gewinn erzielt, so spricht man im positiven Sinne von Chance. Gefahr und Chance sind hier also Komplementärbegriffe. Jene kalkuliert die Wahrscheinlichkeit eines Schadens bzw. Verlustes, diese die Wahrscheinlichkeit eines Nutzens bzw. Gewinns. Solche Überlegungen führen bereits in die Grundlagen der modernen Risiko- und Wahrscheinlichkeitstheorie, doch über Jahrhunderte haben Menschen Glücksspiele gespielt, ohne von den Systemen der Chancenverteilung zu wissen oder von der Theorie des modernen Risikomanagements beeinflusst zu sein.

Die Entstehung des Risikobegriffs

Über den Begriff und die Definition des Risikos gibt es in der wirtschaftswissenschaftlichen Diskussion unterschiedliche Auffassungen. Die Definitionen reichen von "Gefahr einer Fehlabweichung" bis zur mathematischen Definition "Risiko = Wahrscheinlichkeit x Ausmaß". Die technischen Bereiche der Wissenschaft interessieren sich für Risiken bei der Beurteilung von Schadenfällen oder dem Ausfall von Produktionsprozessen. Psychologen beschreiben die Bedingungen oder Voraussetzungen der Risikobereitschaft von Individuen, Soziologen beurteilen die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und Einflussfaktoren der kollektiven Risikoakzeptanz und Mathematiker beschäftigen sich mit probabilistischen und empirischen Modellen über Eintrittswahrscheinlichkeiten. Der ökonomische Ansatz wiederum bezieht sich auf die Abwägung von Risiko und Nutzen bzw. Risikoreduktion und Nutzeneinbußen. Um den modernen "Risiko-Dschungel" zu durchdringen, ist es wichtig, sich die Ursprünge der Risiko-Entwicklung vor Augen zu führen.

Glücksspiel und Risikomanagement

Am Anfang steht das Rechnen. Die Mathematik machte bereits in der Frühen Neuzeit beträchtliche Fortschritte; die Algebra und ihre Berechnungen lieferten der Physik und anderen Naturwissenschaften immer präzisere Hilfsmittel. Die wichtigsten Entdeckungen in dieser Disziplin sind dem Franzosen René Descartes (1596-1650), dem Deutschen Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) sowie dem Italo-Franzosen Joseph Louis Lagrange (1736-1813) gutzuschreiben. Ähnlich wie Demokrit schrieb mehr als 2000 Jahre später der französische Mathematiker und Astronom Pierre-Simon (Marquis de) Laplace (1749-1827), dass die Menschen „in Unkenntnis ihres Zusammenhanges mit dem Weltganzen" Ereignisse, die ohne sichtbare Ordnung eintreten, stets vom Zufall abhängen lassen. Die Erkenntisse von Laplace führen die Wahrscheinlichkeitsrechnungen von Jakob Bernoulli (1655-1705) fort, der – im Gegensatz zu den älteren Vorstellungen – davon ausging, dass beim Glücksspiel nicht der bloße Zufall entscheidend ist, sondern die Wahrscheinlichkeit eines Resultats a priori exakt vorherbestimmt werden kann, bevor ein Spiel überhaupt stattfindet. Aus der Retrospektive erscheint diese Beobachtung revolutionär. Als Bernoulli die lateinische Fassung der Abhandlung "De Rationiis in Ludo Aleae" von Christiaan Huygens (1629-1695) las, eine kleine streng systematische Abhandlung über Glücksspiele, fand er darin keinen Ausdruck für „Wahrscheinlichkeit", sondern jenen für „Erwartung", also expectatio. Im Ergebnis definiert Bernoulli expectatio als Schicksal oder Los und führt dann im zweiten Schritt die probabilitas, also die eigentliche Wahrscheinlichkeit, ein. Er verbindet dadurch Glücksspielrechnung und Wahrscheinlichkeit und definiert die Wahrscheinlichkeit als einen Grad der Gewissheit, die sich von ihr wie ein Teil vom Ganzen unterscheidet.

Emotion und Finanz-Risiken

Die statistische Wahrscheinlichkeitsrechnung schließt eine wesentliche Komponente des Glückspiels aus: die Emotionalität. Die Aussicht auf einen riesigen Gewinn ist der genuine Auslöser beim Glücksspiel, auch wenn die Wahrscheinlichkeit zu gewinnen, noch so gering ist. Beim heutigen Zahlenlotto beträgt die Wahrscheinlichkeit, sechs Richtige zu tippen 1 : 13.983.816. Demzufolge gibt es knapp 14 Millionen verschiedene Möglichkeiten, 6 aus 49 unterschiedlichen Kugeln auszuwählen. Anders ausgedrückt: Die Wahrscheinlichkeit, einen Sechser im Lotto (ohne Zusatzzahl und Superzahl) zu treffen, ergibt sich bei einem Spiel zu W (sechs Richtige) = 1/13.983.816 = 0,000072 %. Das ist zugegebenermaßen eine außerordentlich geringe Wahrscheinlichkeit und dennoch glauben viele Spieler Woche für Woche fest an den großen Erfolg. Teilte denselben Personen hingegen ein Arzt mit, dass sie in ihrem Leben mit einer Wahrscheinlichkeit von knapp eins zu 14 Millionen erkranken würden, die Wahrscheinlichkeit also beinahe bei Null läge, wären sie wohl die glücklichsten Menschen der Welt. Lebens- und Krankenversicherer, die bekanntermaßen einen hohen Risiko-Faktor einpreisen, würden diese Menschen quasi zum Niedrigsttarif von einem Euro versichern, da sie eine enorme Sicherheit hätten, regelmäßig Prämienzahlungen einzunehmen, ohne jemals etwas auszahlen zu müssen.

Prognose von Schaden und Verlust

Der Ausdruck „Risiko" bezeichnet hier also konkret den drohenden Ausfall. In diesem wirtschaftlichen Bedeutungskern wird der deutsche Risiko-Begriff seit dem 19. Jahrhundert verwendet. Er deutet auf einen Zusammenhang zwischen Risiko und Ökonomie, der gemäß seiner mathematischen Anlage und berechnenden Absicht Risiko als Produkt von Schadensausmaß und Eintrittswahrscheinlichkeit definiert. Risiko ist somit im negativen Fall die kalkulierte Prognose eines möglichen Schadens oder – im positiven Fall – eines möglichen Nutzens bzw. Gewinns. Dabei hängt von den jeweiligen Wertvorstellungen ab, was als Schaden oder Nutzen, als Chance oder Gefahr aufgefasst wird. Deshalb kann Risiko auch als Bedrohung eines Wertes für jemanden durch einen Sachverhalt oder eine Handlung definiert werden. Da die Wertvorstellungen stark divergieren, sind auch die Risikosituationen sehr unterschiedlich. Was für den einen Verlust ist, ist für den anderen Gewinn.


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