Jeder weiß, dass das Verhältnis Griechenlands zum Euro Spitze auf Knopf steht. Alle möchten, dass Athen in der Währungsunion bleibt, sowohl die Griechen als auch ihre Partner. Aber Athen will partout nicht die Reformen durchführen, die dafür nötig sind. Umgekehrt wollen die Partner – mit Recht – nicht an den bewährten Regeln rütteln.
Nun hat Europa mit ausweglosen Situationen durchaus Erfahrung. Es gehört zur Erfolgsgeschichte der EU, dass sich die führenden Politiker jedes Mal am Ende – oft nach langen Nachtsitzungen – doch zusammengerauft und einen Kompromiss gefunden haben. Das war nicht immer befriedigend, hielt Europa aber zusammen. Warum sollte das nicht auch diesmal möglich sein?
Hier eine Idee, wie so etwas aussehen könnte: Wir gründen neben der bisherigen Währungsunion ganz einfach eine zweite Währungsunion. Die eine ist die Kern-Union, in der alle Regeln so wie bisher gelten. Die zweite ist die erweiterte Union, in der einige Regeln außer Kraft gesetzt sind.
Das ist nichts anderes als die Übertragung des Prinzips der "zwei Geschwindigkeiten" auch auf die Währungsunion. So wie es in der EU einige Länder gibt, die sich beispielsweise durch das Schengen-Abkommen enger aneinander gebunden haben, so gibt es in der Währungsunion dann auch einige Mitglieder, die enger miteinander kooperieren und andere, die dies weniger eng tun.
Euro-Gesundung auf halbem Weg gestoppt: Forderungen der Bundesbank [Quelle: ifo Institut]
Was wären die besonderen Regeln für die erweiterte Währungsunion? Erstens gilt nicht mehr der freie Kapitalverkehr. Es werden Kapitalverkehrskontrollen zugelassen. Das ist ein Verstoß gegen die bisherigen Grundsätze. Er ist meines Erachtens aber erträglich. Schon bisher gibt es die Möglichkeit von vorübergehenden Kapitalverkehrskontrollen und für Sondersituationen. Griechenland braucht sie, um den Abfluss von Geldern zu stoppen.
Zweitens kann ein Mitglied der erweiterten Währungs-union insolvent gehen. Wenn Griechenland seine Zahlungen also nicht mehr leisten kann, darf es nach wie vor dem Euro angehören. Auch das ist ungut. Es erfordert eine Insolvenzordnung für Staaten, in der klar geregelt ist, unter welchen Umständen eine Insolvenz stattfinden kann und wie sie abgewickelt wird. Am Ende ist es meines Erachtens aber keine unüberwindliche Hürde. In den Vereinigten Staaten sind mehrfach einzelne Bundesstaaten zahlungsunfähig geworden. Niemand hat aber daran gedacht, sie aus dem Dollar zu werfen.
Drittens – und das ist das Wichtigste, aber auch Problematischste – muss Griechenland neben dem Euro eine Parallelwährung einführen können. Athen muss also gestattet werden, beispielsweise die Gehälter im öffentlichen Dienst in Form von handelbaren Schuldverschreibungen auszuzahlen, mit denen die Empfänger einkaufen und Zahlungen leisten können. Diese neue Parallelwährung würde sich unmittelbar nach Einführung gegenüber dem Euro abwerten. Die Preise in der Parallelwährung würden deutlich ansteigen.
Das ist ein zentraler Verstoß gegen die Prinzipien einer Währungsunion. Denn damit könnte die Europäische Zentralbank nicht mehr die Geldmenge in Griechenland kontrollieren. Sie könnte nicht mehr für die Preisentwicklung in der erweiterten Währungsunion verantwortlich sein. Sie könnte auch nicht mehr für die Aufsicht der griechischen Banken sorgen. Griechen könnten nicht mehr in den EZB-Gremien sitzen. Die EZB gibt es nur für die Kern-Union. Die erweiterte Union bräuchte eigene Institutionen.
De facto wäre Griechenland damit nicht mehr Mitglied der Währungsunion. Aber was spricht dagegen, die neue Konstellation nicht ebenfalls Währungsunion zu nennen, eben nicht Kern-Union, sondern erweiterte Union? Es gibt in der Welt eine Reihe von Staaten, die neben ihrer eigenen Währung auch zum Beispiel US-Dollar (oder Euro) als Zahlungsmittel haben. Das gab es auch schon zu Bundesbankzeiten mit der D-Mark.
Es könnte sein, dass die Mitgliedschaft in einer erweiterten Union nicht nur für Griechenland, sondern auch für andere Staaten interessant ist. Ich denke zum Beispiel an Zypern. Vorstellbar ist auch, dass potenzielle Beitrittskandidaten zuerst in die erweiterte Union gehen. Da könnte sich die Bevölkerung an den Umgang mit dem Euro gewöhnen.
Denkbar ist auch, dass die erweiterte Union eines Tages den Ehrgeiz hat, auch die strengen Regeln der Kern-Union zu erfüllen. Dann würde sich der Spread zwischen dem Euro und der jeweiligen nationalen Parallelwährung verringern.
Natürlich gibt es viele schwierige juristische und ökonomische Probleme, um eine solche Konstellation operational zu machen. Vermutlich müsste auch der Maastricht-Vertrag geändert werden, was ein langwieriger Prozess ist. Manch einer mag sich fragen, ob eine "zweitbeste Lösung" wie diese den Aufwand lohnt. Ich meine ja. Letztlich geht es darum, den Zusammenhalt Europas zu retten, die Problemlösungsfähigkeit der Europäer unter Beweis zu stellen und Griechenland aus politischen Gründen einen Weg zum Euro offen zu halten, ohne die strengen Regeln der Währungsunion zu verwässern.
Autor:
Dr. Martin W. Hüfner, Chief Economist, Assenagon Asset Management S.A.