Griechenland könnte nach Einschätzung des früheren EZB-Chefvolkswirts Otmar Issing keine andere Wahl bleiben, als die Eurozone zu verlassen. "Wenn sie nicht mehr Geld bekommen, müssen sie entscheiden, was sie tun", sagte Issing in einem Interview mit dem Wall Street Journal Deutschland. "Sie müssen eine Entscheidung fällen, aber eventuell gibt es keine andere Alternative als auszutreten".
Issing gilt als einer der Gründerväter des Euro und gehörte seit 1998 bis 2006 der Europäischen Zentralbank an. Er war seinerzeit maßgeblich an den Vorbereitungen zur Einführung der europäischen Gemeinschaftswährung beteiligt.
Der Ökonom gilt als Verfechter der No-Bailout-Klausel in den europäischen Verträgen, die besagt, dass weder die Zentralbank noch andere Mitgliedsstaaten für die Schulden einzelner EU-Mitglieder haftet. "Wir haben die No-Bailout-Klausel, die klarstellt, dass die Folgen auf nationaler Ebene getragen werden, sollten die Regeln gebrochen werden", sagte der frühere Währungshüter.
Nachdem Griechenland in den Euro-Klub aufgenommen wurde, kritisierte Issing immer wieder öffentlich, dass sich das Land die Mitgliedschaft erschlichen habe. Das Verhältnis der griechischen Staatsschulden zum Bruttoinlandsprodukt entsprachen damals denen Italiens, doch "niemand hatte auch nur eine Ahnung, wie stark die griechischen Zahlen zur Verschuldung vor Einführung des Euro geschönt wurden", glaubt Issing.
Der renommierte Geldtheoretiker warnte davor, dass Griechenlands Ausstände im Target2-System bei einem Austritt von den anderen Euroländern getragen werden müssten. Über das Target-System werden die Zahlungsströme zwischen den Euro-Staaten abgewickelt. Griechenland werde noch lange am Tropf der Geldgeber hängen. "Es ist auch eine Illusion zu glauben, dass Griechenland nach einem Austritt keine Unterstützung mehr braucht", betonte der 78-Jährige in seinem Büro auf dem Campus der Frankfurter Universität. Issing leitet das Center for Financial Studies der Universität.
Auch wenn die Lage in Griechenland sehr vertrackt sei, habe die Rettung bisher einen gewissen Sinn gehabt, weil sie den anderen Sorgenkindern Portugal, Spanien und Irland Zeit verschafft hätte. "Die Schutzmauer um den Rest der Währungsunion ist wichtig. Auf Griechenland kommen jedoch Jahre mit beängstigenden Problemen zu, egal was passiert."
Sorge um Griechenland dominiert Treffen der Eurogruppe
Die Sorge um den Verbleib Griechenlands in der Eurozone hat das Treffen der Eurogruppe dominiert. Zwar habe niemand einen Austritt des schuldengeplagten Landes vorschlagen oder gefordert, hieß es nach dem Treffen. Doch hätten die Finanzminister der 17 Euro-Staaten sehr wohl über dieses Thema gesprochen, sagten hochrangige Vertreter. Die Spekulationen über einen Austritt Griechenlands haben in den vergangenen acht Tagen zugenommen, nachdem die Wahl vom 6. Mai keine Mehrheit für den Spar- und Reform hervorgebracht hatte. Die Gläubigerländer Griechenlands innerhalb der Eurogruppe lehnten indessen erneut jede Aufweichung der Bedingungen für das Hilfsprogramm ab.
Der Vorsitzende der Eurogruppe, Jean-Claude Juncker, forderte die Politiker Griechenlands auf, schnell eine stabile Parlamentsmehrheit für den Reformkurs zu finden. Zugleich kritisierte Juncker die an Griechenland gerichtete Drohungen über ein Ausscheiden des Landes aus dem Euro als "Unsinn" und "Propaganda". Das sei nicht der Umgangsstil mit Partnern, Kollegen, Freunden und Bürgern der EU.
In der festgefahrenen Lage nach den griechischen Parlamentswahlen hat Staatspräsident Karolos Papoulias die Bildung eines Technokraten-Kabinetts vorgeschlagen. Um das Land vor dem Bankrott zu bewahren, habe Papoulias vorgeschlagen, eine vom Parlament gestützte Experten-Regierung zu bilden, sagte der Chef der sozialistischen Pasok-Partei, Evangelos Venizelos. Die Gespräche sollen am Dienstag um 13.00 Uhr (MESZ) fortgesetzt werden.
Eine Entscheidung über seinen Nachfolger als Chef der Eurogruppe erwartet Juncker erst Ende des kommenden Monats. Auch über die anderen wichtigen Finanzposten in Europa, die zur Besetzung anstehen, wurde kein formeller Beschluss der Eurogruppe gefasst. Dazu gehört ein Sitz im Direktorium der Europäischen Zentralbank (EZB), der Vorsitz für den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) sowie das Präsidentenamt der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE).
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Weil sich die Parteien nicht auf eine Regierung verständigen konnten, wird es im schuldenstrapazierten Griechenland zu Neuwahlen kommen. Nach einem Treffen mit den Spitzen der fünf größten Parteien hat Staatspräsident Karolos Papoulias für morgen Vormittag ein Treffen einberufen, um eine Übergangsregierung zu bestimmen.
Ein Datum für den neuerlichen Urnengang wurde noch nicht bekanntgegeben. Beobachter gehen aber davon aus, dass die Griechen Anfang Juni noch einmal über den Kurs des Landes abstimmen werden. Nach der griechischen Verfassung müssen sich die Parteivorsitzenden auf das Notkabinett verständigen. Falls sie sich nicht auf einen Übergangspremier festlegen können, muss der Präsident einen der drei höchsten Richter des Landes zum kommissarischen Regierungschef ernennen.
Der Chef der sozialistischen Pasok, Evangelos Venizelos, gab der ultralinken Syriza-Partei die Schuld am Scheitern der Koalitionsverhandlungen. "Wir gehen Richtung Neuwahlen unter sehr schlechten Bedingungen", sagte der ehemalige griechische Finanzminister im Anschluss an die Spitzenrunde der Parteien.
An den Gesprächen in Athen waren fünf größten Parteien beteiligt, die Kommunisten lehnten eine Teilnahme ab, die faschistische Bewegung Goldene Morgenröte war nicht eingeladen. Staatspräsident Papoulias hatte am Montag als letzten Ausweg ein Experten-Kabinett nach italienischem Vorbild vorgeschlagen, nachdem die drei größten Parteien innerhalb weniger Tage jeweils damit gescheitert waren, eine Koalition zu schmieden.
Die Umfragen deuten allerdings darauf hin, dass selbst nach Neuwahlen das Parlament zersplittert bleiben wird. Allerdings können sich die Parteien kein zweites Mal ein Spiel auf Zeit erlauben, weil die Barreserven des Landes nur bis Ende Juni reichen. Die internationalen Geldgeber werden dem Land nur weitere Hilfskredite auszahlen, wenn eine handlungsfähige Regierung steht.