Marktmissbrauch hat viele Gesichter. Die Verbreitung von Gerüchten ist im Börsenhandel strafbar, ebenso Scheingeschäfte, Marktmanipulation durch bloße Ordereingaben, der Aufbau von großen Positionen mit der Absicht, den Markt zu verengen ("Squeeze" oder "Corner") sowie der Kauf und Verkauf von Wertpapieren auf Rechnung ein und desselben wirtschaftlich Berechtigten ("Wash Trades"). Ein Spezialfall sind gegenläufige Finanzintermediärs ("Nostro-Nostro Inhouse Crosses"), aber auch die zeitgleiche Eingabe von gegenläufigen Kauf- und Verkaufsaufträgen in das Handelssystem zum Zweck der Marktmanipulation ist unzulässig. Ebenfalls illegal: beabsichtigte Preisverzerrungen durch Verursachung eines Überhangs an Verkaufs- oder Kaufaufträgen ("Ramping", "Capping" oder "Pegging"). "Nicht zuletzt durch die jüngsten Eigenhandelsskandale bei der Société Générale oder der WestLB hat das Thema Marktmanipulation merkbar an Bedeutung gewonnen", sagt Trevor Barritt, Head of Compliance bei Actimize Europe. Das Unternehmen entwickelt Softwarelösungen zur Betrugserkennung und Geldwäschebekämpfung. Sechs der zehn größten Banken weltweit nutzen die Lösungen von Actimize zur Verarbeitung von Hunderten von Millionen Transaktionen pro Tag. Doch allein der Einsatz von intelligenten IT-Systemen schützt Banken nicht vor derartigen Risiken. Wenn findige Spekulanten gezielt falsche Gerüchte streuen, um Kursverläufe zu manipulieren, hilft vor allem ein gutes Reputationsrisikomanagement.
Hier muss frühzeitig eine proaktive Unternehmenskommunikation ansetzen, damit der Markt böswilligen Gerüchten keinen Glauben schenkt. Betrüger gehen in diesem Segment ohne Rücksicht auf Verluste vor, schädigen mit ihrem Vorgehen andere Aktionäre und verdienen selbst eine goldene Nase. Jüngstes Beispiel waren angebliche Finanzprobleme der Großbank HBOS, deren Kurs binnen einer Stunde um 20 % einbrach. "Compliance und Risikomanagement sind hiergegen weitgehend machtlos", so Thomas Dierkes, Vorstand der Börse Düsseldorf AG, im Rahmen einer Bankingclub-Veranstaltung in Düsseldorf. Oft dauert es lange Zeit, bis sich die Kurse nach Händlerattacken wieder erholt haben. Gezielte Transaktionen zum Zweck der Preisstabilisierung, auch als Kurspflege bezeichnet, sind dagegen zulässig, ebenso Transaktionen zum Zweck des Market Makings. "Hier sind die Grenzen zur Marktmanipulation aber klar gezogen. Spielraum für Missinterpretationen oder fließende Übergänge zum Marktmissbrauch sehe ich eigentlich nicht", so Stefanie Held, Compliance- und Geldwäschebeauftragte bei HSBC Trinkaus.
Falschmeldungen können Unternehmen in den Ruin treiben
Die Finanzaufsicht leitet Monat für Monat Ermittlungen gegen kriminelle Spekulanten, tut sich allerdings schwer, Täter auch zur Rechenschaft zu ziehen. Im Jahr 2007 eröffnete die BaFin 61 neue Untersuchungen. Neben positiven internen Analysen waren größtenteils Hinweise der Handelsüberwachungsstellen der deutschen Börsen Auslöser dafür. Häufig ging es um handelsgestützte Manipulationen wie Scheingeschäfte und Referenzpreismanipulationen. 20 Untersuchungen stießen die Strafverfolgungsbehörden an und schalteten die BaFin ein. Auf Verdachtsanzeigen der Institute gingen zehn Untersuchungen zurück. 41 Untersuchungen stellte die BaFin im Berichtszeitraum ein. In 22 Fällen ergaben die Untersuchungen Anhaltspunkte für eine strafbare Marktmanipulation. Die BaFin zeigte daher 49 verdächtige Personen bei den zuständigen Staatsanwaltschaften an. Einige Verdächtige traten in mehreren Manipulationsfällen in Erscheinung. Aber nur bei vier Untersuchungen bzw. acht Personen ergab sich der Verdacht einer versuchten Manipulation, die mit Bußgeldverfahren endeten. Eine relativ magere Ausbeute, gemessen an dem potenziell verursachten Schaden.
Insbesondere in der derzeitigen Vertrauenskrise am Finanzmarkt können Unternehmen schnell in den Ruin geredet werden. Es gibt Händler, die von der Marktlage profitieren wollen, indem sie z.B. Anleiherisiken und Aktien leer verkaufen und Gewinne einstreichen, indem sie die Betroffenen Emittenten mit Gerüchten in die Knie zwingen. Oft sind die Täter aber kaum zu fassen: Am 28. November 2006 verbreitete etwa ein User eines Internetforums eine gefälschte Ad-hoc-Meldung, wonach der Insolvenzverwalter der Arndt AG einen Insolvenzplan eingereicht habe und die Entschuldung sowie eine neue operative Tätigkeit des Unternehmens geplant sei. Hierzu solle ein bereits am Markt etabliertes Unternehmen eingebracht werden. Die Falschmeldung führte dazu, dass am selben Tag der Börsenpreis der an sich sehr illiquiden Arndt-Aktie an der Frankfurter Wertpapierbörse bei erhöhtem Umsatz um mehr als 30 % stieg. Die Staatsanwaltschaft Frankfurt stellte das Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt am 4. Mai 2007 ein, weil der Verfasser der Internetbeiträge beim Internetprovider nicht ermittelbar war. Der Provider speichert Verkehrsdaten nur, solange und soweit sie für Abrechnungszwecke benötigt werden. Dies war jedoch hier nicht der Fall, weil der genutzten IP-Adresse ein Flat-Rate-Vertrag zugrunde lag.
Finanzaufsicht überwacht schwerpunktmäßig Cold IPOs
Im Mittelpunkt der Überwachung der Finanzaufsicht stehen außerdem so genannte Cold IPOs. Unter einem Cold IPO versteht man Börsengänge, bei denen das operative Geschäft eines nicht börsennotierten Unternehmens in eine inoperative, aber börsennotierte Mantelgesellschaft eingebracht wird. Dafür wird erst die Mehrheit der Aktien an der Mantelgesellschaft gekauft. Die dann einberufene Hauptversammlung beschließt eine Kapitalerhöhung durch Sacheinlage (Unternehmen des Käufers). Gleichzeitig passt man die Satzung der Mantelgesellschaft dem neuen Gesellschaftszweck an und ändert gegebenenfalls deren Namen. Ein Unternehmen, das in den Börsenmantel einer bereits notierten AG schlüpft, umgeht so den mit einer Börsenzulassung verbundenen bürokratischen Aufwand. Cold IPOs an sich sind legal. Ein Verstoß gegen das Manipulationsverbot liegt aber dann vor, wenn durch unrichtige Angaben der Anschein der Wiederbelebung eines Börsenmantels erweckt wird, die von vornherein nicht beabsichtigt ist. Die Ankündigung, dass ein Börsenmantel wiederbelebt wird, führt regelmäßig zu einem deutlichen Kursanstieg; das Scheitern der Revitalisierungspläne wird schließlich nur mit fadenscheinigen Begründungen bekannt gegeben.
Eurex Put Optionen auf den Dax
Ein anderer Fall von Marktmissbrauch machte jetzt ebenfalls die BaFin öffentlich: Der Geschäftsführer zweier Wertpapierhandelsfirmen erteilte jeweils für die Eigenhandelsdepots der Firmen exakt aufeinander abgestimmte gegenläufige Aufträge – so genannte Cross Trades – in Put Optionen für die Terminbörse Eurex, die erheblich vom Fair Value abwichen. Die an der Eurex vorgeschriebene Eingabe eines Cross Requests – eine Anzeige der Absicht eines Cross Trades – unterließ er dabei, um sicher zu gehen, dass seine Aufträge nicht gegen dritte Marktteilnehmer ausgeführt würden. So bewirkte der erfahrene Derivatehändler, dass seine jeweils gleich limitierten Aufträge an der Börse gegeneinander ausgeführt wurden und marktferne Börsenpreise entstanden. Anschließend schloss er die für die Firmen eingegangenen Positionen – wiederum mittels abgestimmter Aufträge – gewinnbringend gegen sein Privatdepot. Der Händler erzielte damit einen Gewinn auf seinem Privatdepot bzw. dem Eigenhandelsdepot der einen Wertpapierhandelsgesellschaft von insgesamt 270.000 EUR – zu Lasten der anderen Wertpapierfirma, die einen entsprechenden Verlust verbuchte. Das AG München verurteilte den Angeklagten wegen Marktmanipulation zu neun Monaten Freiheitsstrafe, die zur Bewährung ausgesetzt wurde, sowie zu einer Geldstrafe. Hinsichtlich des Untreuevorwurfs wurde das Verfahren gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt.
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