Risk Management und Corona-Krise

Halt im Pandemie-Szenario


Risk Management und Corona-Krise: Halt im Pandemie-Szenario Kolumne

Die Corana-Pandemie ist einzigartig. Dies betrifft die Wirkungsketten als auch die wirtschaftlichen Auswirkungen. Was bedeutet das für die Widerstandsfähigkeit der Banken?

Die Corona-Pandemie ist zu allererst ein menschliches Drama. Es ist beruhigend zu sehen, welche Anstrengungen und Kosten in Kauf genommen werden, um in unserer Gesellschaft Menschenleben zu retten. Die eingeleiteten Maßnahmen werden aber auch massive ökonomische Auswirkungen haben.

In der gegenwärtigen Situation sind die Risikomanager der Unternehmen und Banken gefragt. Durch eine erfolgreiche Risikosteuerung stehen sie als starker Partner der Geschäftsführung zur Verfügung. Für die meisten von uns sind Risiken der Corana-Pandemie neu. Nur zum Teil können die Instrumente der Risikosteuerung aber zur Anwendung kommen. Um das Nachdenken darüber zu organisieren, was wir tun sollten, müssen wir vereinfachen, um zu klären.

Für ein wirksames Risikomanagement ist es zunächst unerlässlich zu wissen, wie die Wirkungskette eines Pandemieszenarios funktioniert. Daraus leiten sich die finanziellen Auswirkungen für die Institute ab. Anschließend kann beurteilt werden, ob die Institute auf dieses Szenario vorbereitet sind und die Auswirkungen verkraftet werden können. Schließlich stellt sich die Frage, ob Banken künftig ein Corona-Stressszenario rechnen müssen.

Wirkungskette eines Pandemieszenarios

Die Corona-Krise ist anders. Sie unterscheidet sich von vorherigen Krisen in zwei Punkten. Erstens, anders als die Asien- oder die Finanzkrise hat die Corona-Krise nicht in einem oder zwei Ländern begonnen und sich dann auf viele andere Länder ausgebreitet. Der zugrunde liegende Schock hat alle G7-Staaten und China gleichzeitig getroffen.

Zweitens, die meisten Wirtschaftskrisen beginnen an einem Standort. Bankenkrisen beginnen bei den Banken oder Währungskrisen beginnen am Devisenmarkt. Die Corona-Krise trifft viele Wirtschaftssektoren auf einmal. Analysieren wir die globalen Lieferketten, dann stellen wir fest, dass die 1.000 größten Unternehmen der Welt und ihre Zulieferer über 12.000 Stellen in Quarantänegebieten in China, Südkorea und Italien verfügen.

Für das Risikomanagement müssen wir vereinfachen, um zu klären was zu tun. Abb. 01 zeigt schematisch die vielfältigen Angriffspunkte im Wirtschaftskreislauf. Vereinfacht lassen sich zehn Schwachstellen identifizieren. Die roten Kreuze zeigen, wo die verschiedenen Risikofaktoren den Kreislauf unterbrechen können.

Abb. 01: Angriffspunkte im Wirtschaftskreislauf [Quelle: Baldwin 2020]Abb. 01: Angriffspunkte im Wirtschaftskreislauf [Quelle: Baldwin 2020]

Bei der Corana-Krise handelt es sich um ein zusammengesetztes Szenario. In zeitlicher Hinsicht besteht das Pandemie-Szenario einerseits aus einem neuartigen, kurzfristigen "Lockdown"-Szenario von sechs bis zwölf Wochen. Andererseits handelt sich um ein nachgelagertes "klassisches" Rezessionsszenario.

Im neuartige Lockdown-Szenario werden die direkten wirtschaftlichen Konsequenzen aus den eingeleiteten Maßnahmen schlagend. Insbesondere das unvorbereitete Schließen von Geschäften, Restaurants und Produktionsanlagen sowie die Stornierung von Veranstaltungen jeglicher Größe führt bei vielen Betrieben zum kompletten Umsatzausfall für einige Wochen, während die Fixkosten weiterlaufen. Das Lockdown-Szenario steht stellvertretend für alle Szenarien, bei denen die Wirtschaft fast komplett um Erliegen kommt. Es muss nicht Folge einer Pandemie sein, sondern könnte auch andere Ursachen (z.B. einen Reaktorunfall) haben. Es sind Szenarien, bei denen die Menschen kaum das Haus verlassen.

Das Lockdown-Szenario ist deshalb so kurzfristig, weil es unvorbereitet kommt und obwohl staatliche Hilfsmaßnahmen (Rettungsschirme, Steuererleichterungen, Helikoptergeld) versprochen werden, vergehen die geschätzten sechs bis zwölf Wochen, bevor das Geld bei den betroffenen Unternehmen und Haushalten ankommt.

Vom Lockdown sind am meisten folgende Unternehmen betroffen: Es handelt sich um Betriebe, bei denen die Produktion bzw. Erbringung der Dienstleistung physische Anwesenheit der Mitarbeiter erfordert, wie zum Beispiel Handwerker, jegliches produzierendes Gewerbe (Autobauer, Maschinenbau, etc.) oder der- Einzelhandel ohne Onlineplattform. Es sind aber auch Unternehmen betroffen, bei denen die Produktion die physische Präsenz des Kunden erfordert, wie beispielsweise der Tourismus, Veranstaltungen, Friseure oder – Restaurants.

Dagegen können Unternehmen bzw. Unternehmensbereiche mit Supportfunktionen (Finance, Backoffice, Marketing, etc.) auf Onlinebetrieb (Home Office, Onlinehandel) umstellen.

Sobald die Klein- und Kleinstunternehmen ihre Kostenbasis anpassen können, gehen die wirtschaftlichen Probleme von den Unternehmen auf die Mitarbeiter über, weil Entlassungen, Kurzarbeitergeld, etc. drohen.

Der Absatzeinbruch aufgrund von gesetzlich erzwungenem Konsumverbot ist mehrheitlich kein aufgeschobener Konsum, sondern verlorener Konsum. Die Wirtschaft und Haushalte sind ob der bisher wenig erforschten Bedrohung insbesondere über Wiederansteckung, Impfbarkeit, etc. zutiefst verunsichert. Auf Unsicherheit wird typischerweise mit Sparen und Investitionsstopp reagiert. Deshalb ist es unwahrscheinlich, dass die ausgefallenen Reisen, Veranstaltungen, Restaurantbesuche, Autokäufe, etc. geplanter Konsum nach der Pandemie nachgeholt werden. Auch Konsum und Investitionen, die regulär für eine Zeit nach der Pandemie geplant waren, werden aufgrund der Post-Pandemieunsicherheit ebenfalls reduziert werden.

Finanziellen Auswirkungen für Banken

Abb. 02 fasst die Auswirkungen des Pandemie-Szenarios auf Basis einer Bankbilanz zusammen. Die Auswirkungen sind von eins bis acht durchnummeriert. Die Beispielbank hat eine Bilanzsumme von 100 EUR. Sie ist finanziert aus Kapital und Einlagen und investiert in Wertpapiere (Depot A) und Kredite. Aufgrund des plötzlichen Lockdown geraten die am stärksten betroffenen Unternehmen (Transport, Nicht-Lebensmittelhandel, Tourismus, Selbständige) in Liquiditätsengpässe (Umsatzausfall, Kosten laufen weiter), auf welche sie mit Abzug von Einlagen reagieren (Nr. 1).

Abb. 02: Corona-ZeitprofilAbb. 02: Corona-Zeitprofil

Wenn die Einlagen aufgebraucht sind, müssen diese Unternehmen auf Betriebsmittelkredite und Dispositionskredite ausweichen. Die Bank wechselt hingegen auf Liquiditätslinien, der von der EZB oder Förderbanken zur Verfügung gestellt werden. Das Volumen an gezogenen Kreditlinien steigt an (Nr. 2).

Die Finanzmärkte reagieren in Antizipation der dramatischen wirtschaftlichen Konsequenzen mit Verkäufen und Kursverlusten, die das Wertpapierportfolio belasten. Gleichzeitig kommt es auch im Kreditbuch bereits zu ersten Ausfällen (Nr. 4).

Die Verluste im Depot A und die steigenden Kreditausfälle führen zu einer Erosion der Kapitaldecke (Nr. 5). Je länger der Lockdown dauert, desto stärker werden diese Effekte ausgeprägt sein.

Nachdem die drastischen Maßnahmen wieder gelockert wurden, ist es sehr wahrscheinlich, dass sich ein Rezessionsszenario anschließt. Dieses ist geprägt durch weitere Liquiditätshilfen über gezogene Kreditlinien (Nr. 6), eine Erhöhung der Kreditausfälle (Nr. 7) und eine weitere Erosion der Kapitaldecke (Nr. 8).

Resilienz der Banken?

Generell testen die Institute solche Szenarien. Dies gilt auch für die Aufsicht, um Transparenz und Vergleichbarkeit zu schaffen. Ein Beispiel dafür sind die regelmäßigen EBA-Stresstests. Worauf wurden Banken 2018 getestet und sind deshalb darauf vorbereitet? Das damals getestete Szenario unterstellte, dass das Bruttoinlandsprodukt ("BIP") in 2020 um vier, in 2021 um 4,9 und 2022 um 0,4 Prozent einbricht und die Aktienmärkte in 2020 einen Wertverfall um 30, 2021 um 28, und 2022 um 22 Prozente erleiden (also 70 Prozent zum Wert in Februar verlieren). Zudem wird unterstellt, dass sich Ausfallwahrscheinlichkeiten verdreifachen, Kreditprämien ("credit spreads") um 0,80 Prozent und Zinsen um 0,60 Prozent pro Jahr steigen.

Für alle damals getesteten Banken wären diese Konsequenzen Jahresgewinn-, aber nicht existenzgefährdend. Die harten Kernkapitalquoten von Banken würden im Durchschnitt um ca. 4 Prozentpunkte sinken (von 14 auf dann zehn Prozent). Auf das Beispiel der Lufthansa umgerechnet entspräche die Schwere dieses Szenarios einem kompletten Flugausfall von 40 Tagen. Die harte Kapitalquote von zehn Prozent ist natürlich ein europäischer Durchschnittswert. Es kann durchaus Einzelinstitute geben, die auf ein solches Szenario schlechter vorbereitet sind.

Wenn also die von der Pandemie induzierte Rezession nicht höher ausfällt als im EBA-Stresstest simuliert, würde dies vor allem den Jahresgewinn schmälern. Auch die tatsächlichen Finanzmarktverluste (Dax: -12% am 12. März 2020, 30% seit Februar 2020) sind im Rahmen des von der EBA getesteten Szenarios. Die getesteten -4% BIP-Einbruch dürften durch die Pandemie wohl auch nicht überschritten werden, so die aktuelle Einschätzung. Diese BIP-Annahmen gelten für deutsche Institute. Bei italienischen Instituten wurde eine Rezession von nur -2%/ -2,8%/ -1,9% unterstellt. Hier kann man davon ausgehen, dass die Pandemie-Rezession durchaus schwerer ausfällt und damit einige italienische Institute überfordern kann.

Gegenstand des EBA-Stresstests war aber nicht vorgeschaltete, kurzfristige Lockdown-Szenario. Der erzwungene Stopp einiger Wirtschaftszweige für sechs bis zwölf Wochen wie eine Rezession im Zeitraffer und führt zu Liquiditätsabzügen auf der Kundenseite. Banken sind natürlich auch auf erhöhte Liquiditätsabflüsse vorbereitet: auf 50 Prozent Einlagenabzug bei Unternehmen und ca. 10 Prozent bei Mittelständlern, Selbständigen und Privatkunden.

Dabei ist zu beachten, dass je größer das Institut ist, desto eher ist es wahrscheinlich, dass das Institut sowohl die Zahlungsgeber als auch die Zahlungsempfänger als Kunden hat. In dem Fall kommt es nur zu einer Umbuchung und zu keinem echten Liquiditätsabfluss. Je kleiner die Bank ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass Geld effektiv abgezogen wird. Vor allem bei KMUs und Selbstständigen dürften zu erwarten sein, dass die tatsächlichen Abflüsse die getesteten überschreiten.

Wenn die Unternehmen ihre Liquiditätsreserven abgezogen und aufgebraucht haben, wird sich die Inanspruchnahme von Betriebsmittel- bzw. Dispositionskrediten erhöhen. Für die Entwicklung der Ausfallwahrscheinlichkeiten und des Bruttoinlandsprodukts hängt viel davon ab, ob die Banken diese Nachfrage trotz Kapitalknappheit bedienen können und wollen.

Hier wird der Staat Kredite zur Verfügung stellen, die die Institute einfach durchleiten, deren Risiken sie aber nicht tragen und die damit auch ihre Kapitalquoten nicht belasten. Es wird aber sicher erwartet, dass die Banken ihr Kreditangebot ausweiten. Der spanische Staat hat 200 Milliarden Euro an Finanzhilfen avisiert, wovon 100 Milliarden Euro vom Bankensektor durch eigene Kredite gestemmt werden sollen. Die anderen 100 Milliarden werden vom Staat selber organisiert über Steueraufschub, Stundung von Sozialversicherungsbeiträgen oder Kreditgarantien.

Die Schnelligkeit und Reichweite der politischen Antwort, die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie zu kompensieren ist der determinierende Faktor dafür, wie schwer das hier diskutierte Lockdown- und Rezessionsszenario die Banken treffen wird und auch, ob sie darauf vorbereitet waren.

Aufgrund der kombinierten Liquiditäts- und Kapitalelemente ist eine Verzahnung kurzfristiger Liquiditäts- und langfristiger Rezessions-Szenarien ein wichtiger Schritt zu einem realistischen Pandemie-Szenario. Solche integrierten "Solvidity"-Szenarien sind bereits bei einigen Banken im Einsatz und sind oft so ausgestaltet, dass ein kurzfristiger Liquiditätsstress in ein langfristiges Rezessions-Szenario eingebettet wird.

Die von Banken heute schon getesteten Liquiditätsszenarien decken partiell das Szenario Lockdown ab (Einlagenabzug, erhöhte Inanspruchnahme von Kreditlinien). Sie decken aber typischerweise keine Kapitalkonsequenzen wie die Erhöhung der Ausfälle, Ausfallwahrscheinlichkeiten und Marktpreisverluste im Depot A ab. Bei der Corona-induzierten Rezession wird erwartet, dass sich diese im Rahmen der EBA-Rezession bewegt und damit die Banken ausreichend Kapitalpuffer haben, um das zu kompensieren.

Es ist wichtig, an dieser Stelle zu betonen, dass eine Bank auf nicht-getestete Szenarien vorbereitet sein kann, wenn diese Szenarien in Wirkung, Schwere und Zeitprofil einem getesteten Szenario ähnlich sind. Denn dann bereitet das getestete Szenario die Bank durch die daraus resultierenden Kapital- und Liquiditätspuffern auf das tatsächlich eingetretene Szenario auch vor – obwohl letzteres gar nicht explizit getestet wurde. Es ist also nicht wichtig, ein bestimmtes Szenario getestet zu haben, sondern ein Szenario mit ähnlicher Schwere, Wirkungsketten und Zeitablauf.

Das Lockdown-Szenario ist aber nur unzureichend getestet. Dies gilt sowohl in Bezug auf die Schwere als auch mit den verbundenen Kapitalkonsequenzen. Es ist daher zu empfehlen, dieses Szenario zu konfigurieren und mit einem nachgelagerten Rezessions-Szenario zu verbinden. Das kombinierte Pandemie-Szenario deckt damit alle Kombinationen von externem, plötzlichem Schock (z.B. Viren-Pandemie) mit anschließender Rezession ab.

Die nachfolgende Abb. 03 zeigt, wie ein solches Lockdown-Szenario konfiguriert sein kann.

Abb. 03: Konfiguration eines Lockdown-SzenariosAbb. 03: Konfiguration eines Lockdown-Szenarios

Fazit

Die aktuellen Erfahrungen der Pandemie lassen den Schluss zu, anlassbezogen und künftig regelmäßig ein Pandemie-Szenario zu rechnen, welches sich aus einem kurzfristigen Lockdown und einem langfristigen, schweren Rezessionsszenario zusammensetzt.

Das Lockdown-Szenario ist ein um Solvenzelemente erweiterter Liquiditätsstresstest, welches besonders die Lockdown-Branchen/ -Kunden betrifft. Um hier eine differenzierte Auswirkungsanalyse zu erhalten, ist zu empfehlen die potentiell besonders betroffenen Kunden zu identifizieren und besonders konservative Annahmen für diese zu treffen.

Auch wenn in den Ausführungen die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Krise im Fokus standen, aber im Ernst, wir erleben einen Notfall für die menschliche Gesundheit.

Weiterführende Literaturhinweise:

Autoren:
Prof. Dr. Christian Schmaltz
ist Adjunct Professor für Risikomanagement an der EADA Business School, ist Fellow Researcher an der Frankfurt School of Finance and Management und Autor zahlreicher Veröffentlichungen im Bereich Bankenregulierung. Darueber hinaus leitet er die Risikoberatung in Aspect Advisory und Signature Consultants.

Dr. Silvio Andrae

 

 

[ Bildquelle Titelbild: Adobe Stock ]
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