Das Bankenumfeld ist im Umbruch. Nun ist das keine ganz neue Information in Zeiten von Digitalisierung und Vernetzung rund um den Globus. Und doch tun sich vor allem viele traditionelle Geldhäuser mit dem Veränderungsprozess hierzulande schwer. Woran das liegt, was Banken ändern müssen und welche Rolle der Kunde in zukünftigen digitalen Geschäftsmodellen spielt? Antworten, auf diese und weitere Fragen, gaben uns Florian Wöretshofer und Ralph Bender von Intrum Deutschland in unserem Topinterview.
Das Bankenumfeld ist aufgrund neuer Technologien, Anwendungen und Analysemöglichkeiten massiv im Umbruch. Doch gerade viele etablierte Finanzinstitute tun sich hierzulande mit neuen Entwicklungen schwer. Woran liegt das?
Florian Wöretshofer: Wir sehen im klassischen Bankenumfeld eine Vielzahl an Faktoren, die dazu führen, dass Institute den Entwicklungen der modernen Bankenwelt hinterherlaufen. Neben überholten Strukturen, Systemen und Prozessen, mangelt es noch immer an einer dementsprechenden Unternehmenskultur. Hinzu kommt die fehlende Bereitschaft von Führungskräften als auch Mitarbeitern, sich den neuen Herausforderungen zu stellen. Das sind alles organisatorische Hürden, an denen Banken arbeiten müssen, wollen sie für die Zukunft gewappnet sein. Es entsteht ein stetig wachsender Druck von seiten der Regulierung mit neuen Anforderungen an das Risikomanagement. Diese beiden Pole stellen viele Finanzdienstleister unter Cost-Income-Gesichtspunkten vor eine Zerreißprobe, die sie dringend lösen müssen.
Sie haben ihn gerade erwähnt, den Prozess. Es wird stets vom Prozessumfeld gesprochen, das sich in Zeiten des digitalen Wandels ändern müsse. Was heißt das konkret, und wie müssen Organisationen ihre Prozesse umstellen, um für zukünftige Herausforderungen gewappnet zu sein?
Ralph Bender: Im Grunde geht es um eine agile Unternehmensführung. Doch dafür braucht es mehr als flexibles Denken und Handeln. Es geht verstärkt darum, offen zu sein für Neues sowie Impulse von außen aufzunehmen. Das setzt voraus, dass Organisationen ein pro-aktives Handeln fördern und neue Trends schnell antizipieren. Dies alles braucht entsprechende Ressourcen an Mitarbeitern und Zeit. Denn es bringt nichts, nach außen scheinbar flexibel aufzutreten und in der eigenen Organisation nicht die notwendigen Ressourcen für eine solche Wandlungsfähigkeit bereitzustellen. Dann verkommt die Agilität nur zu einem Buzzword unter vielen. Im Übrigen ist eine agile Unternehmensführung keine Herausforderung, die nur das Finanzdienstleistungsumfeld betrifft. Dies gilt für alle Branchen.
Neue Analysemethoden, wie Artificial Intelligence (AI), spielen eine immer stärkere Rolle in der kompletten Digitalisierung von Finanzdienstleistungen. Welche Einsatzmöglichkeiten sehen Sie im Bankenumfeld sowie in weiteren Branchen?
Florian Wöretshofer: Das Ganze muss verstärkt über Customer Convenience gesteuert werden, um Kunden gezielt anzusprechen. Mithilfe von Artificial Intelligence können dann Kunden besser mit Blick auf ihre Bedürfnisse und Lebensumstände analysiert werden. Das Ziel muss es sein, den Bankkunden von heute und morgen besser zu bedienen. Mithilfe der Datenanalyse lassen sich neue Produkte und Services kreieren, die sich an den Bedürfnissen von Kunden orientieren. Auch hier gilt: AI ist sowohl ein Thema in der Finanzdienstleistung als auch in weiteren Branchen. Wichtig bei all dem ist es, Trends und Tendenzen zu antizipieren und in eigene Geschäftsmodelle umzusetzen. Das ist auch immer mit Risiken verbunden. Aber wer nichts riskiert, der kann nichts gewinnen und am Ende keinen Geschäftserfolg erwarten.
Haben Sie für unsere Leser ein konkretes Beispiel aus der Praxis?
Ralph Bender: Durch die Customer Journey, also die Reise des Kunden durch die einzelnen Zyklen des Geschäftsprozesses, bestimmt der Endkunde die zukünftigen Prozesse, Produkte oder Dienstleistungen. Damit hat er die Zügel in der Hand, gerade in unseren eng vernetzten und digitalen Zeiten. Von daher kommen (Bank-)Unternehmen nicht ohne eine stärkere Kundenorientierung aus. Neue digitale Angebote müssen mithilfe von Chatfunktionen und Robotik dem Kunden erfahrbar gemacht werden. Ein wichtiges Element, um den Bankkunden nicht im "digitalen Raum" zu verlieren, sondern ihn dort abzuholen und Antworten zu geben, wo er mit seinen Fragen steht. In diesem Gefüge aus Kundenansprache und -service haben darüber hinaus persönliche Ansprechpartner via Telefon ihre Daseinsberechtigung. Vielleicht heute mehr denn je.
Kritiker warnen mit Blick auf die neue Finanzwelt vielfach vor neuen Monopolbildungen – gerade durch einzelne Technologieunternehmen und deren Einfluss. Ist das ein Risiko, und sollte hier regulatorisch stärker eingegriffen werden?
Florian Wöretshofer: Die Frage ist, ob diese Technologieunternehmen tatsächlich am traditionellen Bankgeschäft interessiert sind oder vielmehr auf Daten und Zahlungsverhalten abzielen. Daher: Der Markt wird sich selbst regulieren, traditionelle Banken sollten sich ihre Kernkompetenzen suchen und diese mit strategischen Partnern bedienen. Aktuell haben Banken in Bezug auf Datennutzung noch einen Vertrauensvorsprung bei ihren Kunden gegenüber Nicht-Banken. Dieses hohe Gut sollten sie nutzen und in ihre digitalen Geschäftsmodelle einfließen lassen und dabei die notwenige Transparenz im Umgang mit den Kunden nicht vergessen.
Und welche Rolle spielt der Mitarbeiter zukünftig in diesem Spannungsfeld aus neuen Technologien, der Analyse von Daten und den richtigen Interpretationen und Rückschlüssen für das organisatorische Tun?
Florian Wöretshofer: Die Beantwortung dieser Frage lässt zwei Stoßrichtungen zu. Einerseits verändert sich mit Blick in die Organisation die Unternehmenskultur, oder sie muss sich verändern. Hierbei spielen wichtige Faktoren eine Rolle, von der Ausbildung und dem Arbeitsumfeld über Organisationsstruktur bis zu den Prozessabläufen. Andererseits wird mit Blick auf außen in eine automatisierte Welt der persönliche Kontakt zum Kunden den Unterschied machen. Ein wichtiger Faktor. Denn für uns steht der Mensch im Mittelpunkt.
Kommen wir auf Ihr Unternehmen zu sprechen. Sie haben in den letzten Jahren einen strategischen Schwenk in der Ausrichtung vorgenommen. Können Sie uns kurz skizzieren, wie dieser aussieht und warum Sie diesen vollzogen haben?
Ralph Bender: Wir sind heute ein internationaler Anbieter von innovativen Lösungen im Risiko- und Kreditmanagement. Durch den aktiven Dialog mit unseren Klienten können wir unser Serviceportfolio ständig optimieren und auf die Bedürfnisse unserer Klienten ausrichten. Das spiegelt sich aktuell in unserer Ausrichtung "Digital First" wider.
Das heißt auch, dass bei Intrum automatisierte Prozesse und moderne Kommunikationswege im Dialog mit unseren Klienten heute bereits Standard sind.
Welchen Mehrwert erwarten Klienten von Ihrer neuen Positionierung, gerade vor dem Hintergrund der zunehmenden globalen Vernetzung?
Florian Wöretshofer: Als europäisches Unternehmen für Credit Management Services bringen wir uns als Spezialist an den entscheidenden Stellen des Risiko- und Kreditmanagements ein. Durch unseren ständigen Austausch mit den Aufsichtsbehörden, der EU-Kommission und der Europäischen Zentralbank leisten wir einen aktiven Beitrag in der Weiterentwicklung des NPL-Markts in Europa. Mit unserem umfangreichen Netzwerk mit 24 Niederlassungen in Europa und 160 Partnern weltweit bieten wir unseren Klienten in den jeweiligen Ländern unsere Expertise und "best practices" vor Ort an. Zudem begleiten wir diese bei internationalen regulatorischen Themen.
Ein kurzer Ausblick. Wenn Sie zehn Jahre in die Zukunft blicken. Wo steht der deutsche Finanzmarkt in punkto Digitalisierung neuer Dienstleistungen und Lösungen, und was wünschen Sie sich von zukünftigen Entwicklungen?
Ralph Bender: Vor etwa zehn Jahren kam das iPhone auf den Markt. Wenn wir die Veränderungen und heutigen Nutzungsmöglichkeiten mit der Geschwindigkeit des Internet der Dinge verbinden, werden wir in den kommenden zehn Jahren eine rasante Weiterentwicklung erleben. Das Angebot an technischen Unterstützungen wird sich erhöhen und im Sinn der Customer Convenience verändern. Intrum ist Wegbereiter für eine gesunde Wirtschaft, für Einzelpersonen, Unternehmen und für die Gesellschaft. Wir argumentieren, dass Unternehmen und Organisationen, die pünktlich bezahlt werden, eine Voraussetzung für ihr kontinuierliches Wachstum und ihre weitere Entwicklung sind. Gleichzeitig ist auf einer individuellen Ebene eine gesunde Wirtschaft die Grundlage für eine gute Lebensqualität und schafft Möglichkeiten für Menschen, ihre Träume und Ziele zu erreichen. Durch unsere Dienstleistungen schafft Intrum Arbeitsplätze und ermöglicht Wachstum. Wir wünschen uns, dass die zukünftigen Entwicklungen dazu beitragen, diese Vision zu erfüllen.
Florian Wöretshofer ist seit September 2017 CEO von Intrum Deutschland. Davor war er seit 2014 Country Manager der Lindorff Deutschland. Bevor er 2012 als Head of Operations bei Lindorff anfing, war er in verschiedenen Geschäftsführer- und Management-Positionen innerhalb der GFKL-Gruppe tätig.
Ralph Bender ist seit 2017 bei Intrum und verantwortet hier den Vertrieb für Banken und Finanzinstitute in Deutschland. Davor war er 25 Jahre bei verschiedenen internationalen Banken als Director im Vertrieb von Kapitalmarktprodukten an institutionelle Kunden tätig (u. a. Morgan Stanley, Société Générale, ABN AMRO, UBS)