Straftaten und Compliance-Verstöße, beispielsweise in Form von Korruption, Untreue oder Betrug, lassen sich auch durch ausgefeilte Compliance-Management-Systeme nicht verhindern. Daher kommt der Aufdeckung von Compliance-Verstößen durch anonyme Hinweise von Mitarbeitern des Unternehmens oder durch Externe in der Praxis eine wichtige Bedeutung zu. Es existieren hierbei unterschiedliche Systeme und Möglichkeiten der Kommunikation des Unternehmens mit dem potentiellen Hinweisgeber. In der Praxis ist mittlerweile am häufigsten das Modell des Ombudsmanns anzutreffen.
Hier wird meist ein externer und nicht in das Unternehmen eingegliederter Rechtsanwalt damit beauftragt, als Schnittstelle zwischen Unternehmen und Hinweisgeber zu fungieren. Der Rechtsanwalt nimmt die Hinweise von dem Informanten entgegen, filtert diese und leitet sie anschließend in der Regel anonym an das Unternehmen weiter. Häufig wird dem Hinweisgeber die Wahrung seiner Anonymität zugesichert und damit begründet, die Strafverfolgungsbehörden könnten etwaige Unterlagen des Hinweisgebers beim Rechtsanwalt nicht beschlagnahmen. Wie das Landgericht Bochum kürzlich entschieden hat, kann dieses Versprechen nicht in jedem Fall gehalten werden.
Durchsuchung bei Ombudsfrau
In dem durch das Landgericht Bochum entschiedenen Sachverhalt hatte ein Unternehmen eine Rechtsanwältin als Ombudsfrau eingesetzt um anonyme Hinweise auf Straftaten und Compliance-Verstöße entgegen zu nehmen. In dieser Funktion erhielt die Ombudsfrau eine anonyme Anzeige eines Hinweisgebers, in welcher dieser schwere Untreuevorwürfe gegen den Geschäftsführer eines Unternehmens erhob. Die Staatsanwaltschaft erwirkte einen Durchsuchungsbeschluss mit Abwendungsbefugnis für die Räumlichkeiten der Ombudsfrau um Zugriff auf die anonyme Anzeige zu bekommen. Zur Abwendung der Durchsuchung übergab die Rechtsanwältin die anonyme Anzeige und legte zugleich Beschwerde gegen den Durchsuchungsbeschluss ein. Diese begründete sie damit, bei der anonymen Anzeige handele es sich um durch ihr Mandatsverhältnis geschützte und beschlagnahmefreie Unterlagen. Im Ergebnis folgte das Landgericht der Auffassung der Staatsanwaltschaft und bejahte die Beschlagnahmefähigkeit der anonymen Anzeige bei der Ombudsfrau.
Mandatsverhältnis zwischen Unternehmen und Ombudsfrau
Im Kern entschied das Landgericht dass die Beschlagnamevorschrift des § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO Compliance-Ombudsleute im Hinblick auf die Erlangung von Informationen anonymer Hinweisgeber nicht schützt, weil zwischen dem Ombudsmann und dem Hinweisgeber kein schutzwürdiges mandatsähnliches Vertrauensverhältnis bestehe. Nach § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO dürfen Gegenstände auf die sich das Zeugnisverweigerungsrecht eines Rechtsanwalts erstreckt nicht beschlagnahmt werden. Rechtsanwälte sind zur Zeugnisverweigerung über das berechtigt, was ihnen in dieser Eigenschaft anvertraut oder bekannt geworden ist. Im entschiedenen Fall wurde die Ombudsfrau durch das Unternehmen beauftragt, zwischen dem Hinweisgeber und der Ombudsfrau bestand keine Mandatsbeziehung. Dies ist bei den meisten mit externen Rechtsanwälten praktizierten Ombudsmann-Systemen der Fall, da ein Ombudsmann-System auf die Initiative und im Interesse des Unternehmens eingerichtet und bezahlt wird.
Kein Mandatsähnliches Vertrauensverhältnis zwischen Hinweisgeber und Rechtsanwalt
An das Vorliegen eines mandatsähnlichen Vertrauensverhältnisses sind nach der Entscheidung hohe Anforderungen zu stellen. Diese seien vorliegend nicht erfüllt gewesen. Der im Strafverfahren nicht beschuldigte und auch strafrechtlich nicht gefährdete Hinweisgeber sei gerade nicht in der Situation gewesen, sich ohne Furcht vor strafrechtlicher Verfolgung anwaltlichen Beistands bedienen zu müssen. Auch die Zusicherung einer vertraulichen Behandlung durch die Rechtsanwältin im Hinblick auf die in ihrer Funktion als Ombudsfrau erlangten Informationen genüge für die Annahme eines mandatsähnlichen Vertrauensverhältnisses zu dem anonymen Hinweisgeber nicht. Andernfalls bestehe die Gefahr der Aushebelung der gesetzlichen Vorschriften über die Zulässigkeit strafprozessualer Maßnahmen im Wege von privatrechtlichen „Zusagen“. Weiter habe der Zweck der Inanspruchnahme der Ombudsfrau durch das Unternehmen darin bestanden, die Interessen des Unternehmens wahrzunehmen und Meldungen über Compliance-Verstöße entgegengenommen und anonymisiert an das Unternehmen weiterzuleiten. Im originären Interesse des Hinweisgebers habe die Ombudsfrau gerade nicht tätig werden sollen.
Folgen für die Praxis
Der Entscheidung kommt eine wichtige Bedeutung im Hinblick auf die Ausgestaltung von Hinweisgeber- und Ombudsmann-Systemen zu. Ein Kernbestandteil von Ombudsmann-Systemen besteht bislang in der Zusicherung der Anonymität oder der vertraulichen Behandlung gegenüber dem Hinweisgeber. Diese Zusicherung kann das Unternehmen und der durch das Unternehmen als Ombudsmann eingesetzte Rechtsanwalt nach der Entscheidung des Landgerichts Bochum nicht mehr uneingeschränkt geben. Ein Schutz der Anonymität des Hinweisgebers könnte zwar theoretisch durch ein mandatsähnliches Vertrauensverhältnis zwischen dem Ombudsmann und dem Hinweisgeber gewährleistet werden kann. Dies scheidet in der Praxis aber in der Regel aus, da der Ombudsmann vom Unternehmen beauftragt und in dessen Interesse tätig wird. Es ist zu befürchten, dass sich infolge der Entscheidung potentielle Hinweisgeber gegen eine anonyme Anzeige entscheiden. Damit würde die Bedeutung von Ombudsmann- und Hinweisgeber-Systemen, die bislang ein wichtiger Bestandteil wirksamer und funktionierender Compliance-Systeme sind, abnehmen.
Autor:
Dr. Daniel Kaiser, Rechtsanwalt bei CMS in Deutschland.
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