Der Basler Ausschuss für Bankenaufsicht hat die Einzelheiten zu den Kapitalquoten im neuen Regelwerk Basel III bekannt gegeben. Bereits Ende Juli war die Definition des harten Kernkapitals (durch eine großzügigere Behandlung von Minderheitenbeteiligungen sowie beschränkter Berücksichtigung von latenten Steuern und Investitionen in Finanzinstitute) leicht verwässert worden. Wie lauten die neuen Regeln?
Nach dem neuen Regelwerk müssen Banken eine Mindestkapitalausstattung von 4,5 Prozent (Kernkapitalquote = Core Tier 1) ihrer risikogewichteten Aktiva vorweisen. Nach Basel II waren es bisher 2 Prozent. Unterschreitet eine Bank diese Schwelle gilt sie als insolvent. Darüber hinaus muss ein "Kapitalerhaltungspuffer" von 2,5 Prozent gewahrt werden, woraus sich eine Mindestkernkapitalquote von 7 Prozent ergibt. Der geforderte Kapitalerhalt ist effektiv ein Pufferkapital, auf das in schwierigen Zeiten zurückgegriffen werden kann. Banken in der Zone des Kapitalerhalts (das heißt bei einer Kernkapitalquote zwischen 4,5 Prozent und 7 Prozent) sind gezwungen, die Ausshüttung von Geldmitteln oder die Auszahlung von Boni einzuschränken. Zusätzlich können nach freiem Ermessen der lokalen Gesetzgeber noch bis zu 2,5 Prozent hinzukommen (in der Sprache der Gesetzgeber als antizyklischer Puffer bezeichnet). Das Ziel ist es, den Enthusiasmus der Banken in Zeiten "exzessiven Kreditwachstums" zu drosseln – ein Szenario, das in Europa in den nächsten Jahren unwahrscheinlich ist.
Die oben genannten Vorschriften liegen im unteren Bereich der Erwartungen, die vor einigen Wochen an den Märkten herrschten. Die eigentliche Überraschung sind aber die großzügigen Übergangsregelungen. 2013 wird die Kernkapitalquote auf gerade einmal 3,5 Prozent angehoben und steigt bis 2015 auf 4,5 Prozent. Der Kapitalpuffer kommt erst 2016 ins Spiel und steigt über vier Jahre bis 2019 in graduellen Schritten von 0,625 Prozent. Darüber hinaus werden strengere Regeln bei der Definition des Kernkapitals (im Wesentlichen durch beschränkte Berücksichtigung von latenten Steuern und signifikanten Finanzinvestitionen mit jeweils 10Prozent des Kernkapitals beziehungsweise 15Prozent insgesamt) zwischen 2014 und 2018 nur schrittweise eingeführt. Zudem müssen Banken ihre staatlichen Kapitalspritzen bis zum 1. Januar 2018 zurückbezahlt haben.
Kurzum: Klar ist jetzt, dass die neuen Basler Vorschriften keine neue Runde der Massenkapitalbeschaffungen im Bankensektor einläuten. Insgesamt gehen wir davon aus, dass der gesamteuropäische Bankensektor Ende 2010 bei einer Kernkapitalquote von über 9Prozent – nach derzeitigen Regeln – liegen wird. Nach grober Schätzung würden höhere Risikogewichtungen für die Investmentbanking-Aktivitäten (erwartet in den Jahren 2011 und 2012) in Kombination mit der eingeschränkten Berücksichtigung von Steuerrückstellungen und Finanzinvestitionen die Kernkapitalquote auf 7 Prozent drücken – bei einem wahrscheinlichen Wachstum von mindestens 50 Basispunkten pro Jahr. Dies gilt unter der Voraussetzung, dass der moderate Aufschwung weiter anhält.
Nach diesen Vorschriften hätten einige Banken – vor allem die skandinavischen, schweizer und britischen Banken – scheinbar bereits jetzt einen Kapitalüberschuss. Das bedeutet aber nicht, dass wir uns jetzt sofort daran begeben müssen, Aktienrückkäufe im Sektor in unseren Kalkulationsblättern einzupreisen. Die erforderlichen Kernkapitalquoten sind nicht mehr und nicht weniger als eine Mindest-, aber keine Zielvorgabe. Lokale Gesetzgeber und den Geschäftsleitungen der Banken liegt daran sicherzustellen, dass Banken (besonders die, die als systemrelevant gelten) auch bei allen Extremrisiken bequem über den gesetzlichen Mindestvorgaben liegen. Wir könnten uns auch vorstellen, dass die Akteure an den Aktien- und Rentenmärkte den Banken ihre eigene Form des "Superausgleichs" (zusätzliche Pufferanforderungen) auferlegen. Trotzdem ist jetzt klar, dass die Gesetzesreform die meisten Akteure nicht daran hindern wird, Eigenkapitalrenditen im mittleren Zehnerprozentbereich zu erzielen – in diesem Fall scheint der Sektor bei einem durchschnittlichen Kurs-Buch-Verhältnis von 1,3 Ende 2010 immer noch preiswert. Natürlich sind und bleiben Banken in einem Umfeld mit anhaltendem Double-Dip-Risiko, Störungen der Kreditmärkte und hohen Kreditspreads bei vielen europäischen Staaten eine spekulative Wette auf die Konjunkturentwicklung.
Alles in allem sind die Kapitalanforderungen europäischer Banken als Folge dieser Vorschläge deutlich gestiegen – statt 2 Prozent heißt es jetzt 7 Prozent. Und angesichts einer strengeren Definition von Kapital und risikogewichteten Anlagen kann man durchaus behaupten, dass die gesetzlichen Kapitalanforderungen der Branche sich gegenüber den Zahlen vor der Krise um mehr als das Vierfache erhöht haben. Das erscheint ein vernünftiger Kompromiss zwischen den beiden Anforderungen, die Flexibilität des Sektors zu steigern und gleichzeitig sicherzustellen, dass die Banken zur Erholung der Wirtschaft beitragen können.
Außerdem sollte man sich daran erinnern, dass höhere Kapitalanforderungen nur ein Teil der Maßnahmen sind, um die Wahrscheinlichkeit einer Wiederkehr der Krise von 2007 bis 2009 zu vermindern. Des Weiteren stehen strengere Liquiditätsvorschriften vor der Tür (in Form der beiden Kennziffern "Liquidity Coverage Ratio" und "Net Stable Funding Ratio", die 2015 beziehungsweise 2018 eingeführt werden). Außerdem sind neue Vorschriften in Arbeit, um die Belastung für Rettungsaktionen vom Staat verstärkt auf die Anleiheninhaber abzuwälzen, und das International Accounting Standards Board (IASB) arbeitet weiter an Regelungen zu drohenden Verlustrückstellungen.
Autor: Justin Bisseker ist Analyst für europäische Banken bei Schroders.
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Die zehn größten Kreditinstitute Deutschlands brauchen nach Einschätzung der Bundesbank wegen der neuen Eigenkapitalvorschriften nach "Basel III" bis 2019 rund 50 Mrd EUR. Das geht aus einer vertraulichen Expertise der Bundesbank hervor, die dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" vorliegt. Ein Bundesbank-Sprecher wollte diese Information am Sonntag nicht kommentieren.
Die Summe wäre nur die Hälfte dessen, wovon der Bundesverband deutscher Banken (BdB) ausgeht. Die Lobbyorganisation der Geschäftsbanken hatte den Kapitalbedarf der zehn größten Institute jüngst auf 105 Mrd EUR geschätzt.
Laut "Spiegel" haben Bundesbank-Fachleute untersucht, wie sich die neuen Auflagen auf Banken mit einem Kernkapital von mehr als 3 Mrd EUR auswirken. Dazu zählten neben der Deutschen Bank und der Commerzbank auch Landesbanken wie die WestLB, die LBBW oder die BayernLB.
Auf Basis historischer Daten kämen die Bundesbänker zu dem Schluss, dass die Institute bis Ende 2019 etwas mehr als 40 Mrd EUR durch einbehaltene Gewinne und Kapitalaufnahme von außen aufbringen könnten. Für den Rest müssten sie neue Geldquellen erschließen, was vor allem die wenig profitablen Landesbanken vor Probleme stellen werde.
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) wolle sich deshalb Ende September mit den Eigentümergruppen der Landesbanken treffen, um auf eine Sanierung zu drängen, schreibt "Der Spiegel".