"Der Vorstand hat uns über die Risiken nicht informiert. Wie waren völlig überrascht", lautet die Entschuldigung der Aufsichtsorgane bei der stark angeschlagenen IKB Deutsche Industriebank AG. Was haben die Kontrollorgane wirklich gewusst? Was hätten sie wissen müssen, wenn sie ihre Aufgabe ernst genommen hätten?
Bestätigt werden die Kontrolleure durch ein Gutachten der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers. Danach hat der Vorstand den Aufsichtsrat insgesamt nur unzureichend über das wirtschaftliche Gesamtbild der IKB informiert. "Dem Aufsichtsrat war es damit nicht möglich, die besondere Risikosituation, die zur Existenzkrise der IKB führte, zu erkennen." Man könnte die Frage auch an die Wirtschaftsprüfer richten: Was haben die Wirtschaftsprüfer wirklich gewusst? Was hätten sie wissen müssen, wenn sie ihre Aufgabe ernst genommen hätten?
KfW-Chefin Ingrid Matthäus-Maier verweist entschuldigend auf die hohe Komplexität der Geschäfte. Manche Verträge seien 400 Seiten dick, schwer zu durchschauen und außerdem noch teilweise in englischer Sprache verfasst. Eine drohende Gefahr nicht sehen wollen, die Augen vor unangenehmen Realitäten verschließen oder bestimmte Tatsachen einfach nicht zur Kenntnis nehmen, wird allgemein als "Vogel-Strauß-Politik" bezeichnet. Allerdings ist der größte lebende Vogel der Erde gar nicht so dumm, wie man allgemein glaubt. Anders als die Kontrollorgane steckt er nämlich bei Gefahr seinen Kopf nicht in den Sand, auch wenn dies seit dem Altertum so behauptet wird.
Grundregeln des Risikomanagements verletzt
Da fragt man sich, ob weder Wirtschaftsprüfer noch Aufsichtsorgane die etwa 230 Seiten der Geschäftsberichte lesen? In jedem Fall hätte eine kritische Lektüre zu allerlei Fragen führen müssen. So weist etwa der Posten Eventualverbindlichkeiten und Anderen Verpflichtungen einen Betrag von 17,7 Mrd. Euro auf (Seite 66, IKB Geschäftsbericht 2006/07). "In dem Posten Andere Verpflichtungen sind Kreditzusagen über insgesamt 11,9 Mrd. Euro (Vorjahr: 11,2 Mrd. Euro) Gegenwert an Spezialgesellschaften (Anmerkung: Rhineland Funding) enthalten, die nur im Falle von kurzfristigen Liquiditätsengpässen bzw. vertraglich definierten Kreditausfallereignissen von diesen in Anspruch genommen werden können." (S. 198, IKB Geschäftsbericht 2006/07).
Eine Grundregel jeglicher unternehmerischer Tätigkeit – resultierend aus dem "1x1 des Risikomanagements" – lautet, dass man nie mehr Risiken auf seine Schultern laden sollte, als durch die Risikotragfähigkeit limitiert. Diese Risikotragfähigkeit wird letztendlich von zwei Größen bestimmt, nämlich zum einen vom Eigenkapital und zum anderen von den Liquiditätsreserven. Jahrelang haben Banken bei der Kreditvergabe diese Grundregel ihren Mittelstandskunden eingetrichtert.
Massives Ungleichgewicht zwischen Risikotragfähigkeit und tatsächlichen Risiken
Somit limitiert die Risikotragfähigkeit in der einen Waagschale die übernommenen Risiken (und Ertragschancen) in der anderen Waagschale. Es ist damit offensichtlich, dass alle Risiken (inklusive potenzieller Liquiditätsrisken aus einer übernommenen Liquiditätsgarantie) zusammen die Risikotragfähigkeit eines Unternehmens belasten, da sie auf Gewinn und Eigenkapital wirken.
Erst die Beurteilung des gesamten Risikoumfangs ermöglicht eine Aussage darüber, ob die Risikotragfähigkeit eines Unternehmens ausreichend ist, um den Risikoumfang des Unternehmens tatsächlich zu tragen und damit den Bestand des Unternehmens zu gewährleisten. Als seriöser und vorsichtiger Kaufmann muss man auch in der Lage sein, auch extrem "unerwartete" Risiken abdecken zu können. Daher stellen insbesondere Banken, Versicherungen und große Industriekonzerne durch "Extrem-Stressszenarien" auf Basis von Worst-Case-Parameterkonstellationen sicher, dass das zur Verfügung stehende Risikodeckungskapital selbst derartige Extremereignisse "überlebt".
Was versteht der IKB-Aufsichtsrat von CDOs, ABCP, VaR und RBC?
473 Millionen Euro hat die IKB für das Kreditrisiko und 108 Mio Euro für Marktrisiko als Kapitalpuffer angesetzt (vgl. Seite 75, IKB Geschäftsberichtes 2006/07). Als kritisches Kontrollorgan hätte man sich fragen müssen, ob dieser Risikopuffer ausreichend ist, wenn man die potenziellen Liquiditätsrisiken (aus dem Subprime) Engagement in Höhe von 13 Mrd. Euro gegenüberstellt. Ein Blick auf den US-Hypothekenmarkt und die Lektüre von kritischen Analysen (etwa der Analyse der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich zu "Zyklen im Finanzsystem" aus dem Jahr 2001) provoziert kritische Fragen.
Diese Fragen wurden leider nicht gestellt, da die Kontrollorgane entweder die Geschäftsberichte nicht gelesen oder deren Inhalt nicht verstanden haben. Eine wirksame Kontrolle des Vorstands bedingt, dass die Kontrollorgane erstens Zeit für ihre Aufgabe haben und zweitens aktiv Informationen einfordern. Die Sicherstellung dieser notwendigen Informationsgrundlage ist aber nicht nur Aufgabe des Vorstands ("Bringschuld"), sondern auch des Aufsichtsrats ("Holschuld"). Siehe gute Corporate Governance! Und für kritische Fragen genügt gesunder Menschenverstand.
Wie erkannte bereits Arthur Schopenhauer: Gesunder Menschenverstand kann fast jeden Grad von Bildung ersetzen, aber kein Grad von Bildung den gesunden Menschenverstand.
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Beurteilung des Risikomanagements durch den Aufsichtsrat: nötig und möglich?, Autor: Werner Gleißner, in: Der Aufsichtsrat, Heft 12/2007, Mit freundlicher Genehmigung der Redaktion "Der Aufsichtsrat", Verlagsgruppe Handelsblatt.
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