Folgt man den Sprachaufsehern des Duden, so ist eine Strategie ein "genauer Plan des eigenen Vorgehens, der dazu dient, ein militärisches, politisches, psychologisches, wirtschaftliches o.ä. Ziel zu erreichen, und in dem man diejenigen Faktoren, die in die eigene Aktion hineinspielen könnten, von vornherein einzukalkulieren versucht". Etwas zugespitzt formuliert sollte eine Unternehmensstrategie vor allem darauf abzielen, die richtigen Dinge zu tun, im Unterschied zum operativen Alltag. Denn dort geht es darum, die Dinge richtig zu tun. Soviel zur Theorie der Pläne, Ziele und richtigen Dinge. In der Praxis gelingt das nicht allen Unternehmen. Sprich, sie werden nicht alt und sind schneller vom Markt verschwunden als sie aufgetaucht sind.
Basierend auf empirischen Studien erreichen rund 40 bis 50 Prozent der neu gegründeten Unternehmen ihren ersten Geburtstag nicht. Die mittlere Lebenserwartung von Unternehmen liegt laut unabhängiger Studien in der nördlichen Hemisphäre deutlich unter 20 Jahren. Großunternehmen, die nach ihrer "Kindheit" kräftig expandierten, lebten im Durchschnitt 20 bis 30 Jahre länger. K. K. Kongō Gumi war bis zum Jahr 2006 mit 1.428 Jahren das Unternehmen mit der weltweit längsten kontinuierlichen Betriebsgeschichte. Es wurde im Jahr 578 gegründet, als Shōtoku Taishi Mitglieder der Familie Kongō aus Baekje im heutigen Korea nach Japan holte, um den buddhistischen Tempel Shitennō-ji in Ōsaka bauen zu lassen. Im Januar 2006 wurde Kongō Gumi wegen Verschuldung aufgelöst. Der Grund: Man saß auf einem lahmen Gaul und hatte völlig vergessen, abzusteigen und das Pferd zu wechseln. Kurzum: Ein strategisches Risiko hatte zugeschlagen. Weitere Beispiel gefällig? Kodak, Schlecker, Philip Holzmann, AGFA, Karstadt-Quelle, Schieder-Möbel et cetera.
Die richtigen Dinge tun
Eine Risikostrategie zielt darauf ab, die richtigen Dinge im Kontext Risiko- und Chancenmanagement zu tun. Eine aktuelle Studie zeigt auf, dass die Hälfte der Unternehmen keine klare Strategie im Risikomanagement hat und lediglich 43 Prozent der Unternehmen Kennzahlen zur Kontrolle des Risikomanagements einsetzen. Daraus resultiert direkt die Frage: Was tun Unternehmen im Risikomanagement, wenn sie garnicht wissen, wo die Reise hingehen soll? Bereits der römischer Philosoph und Staatsmann Lucius Annaeus Seneca erkannte "Wenn ein Kapitän nicht weiß, welches Ufer er ansteuern soll, dann ist kein Wind der richtige." Da wundert man sich nun doch nicht, dass die Überlebenswahrscheinlichkeit von Unternehmen so gering ist.
Für die von DNV GL und GFK Eurisko durchgeführte Studie wurden im Dezember 2016 über 1.500 Risikomanagement-Experten befragt. Die Studie verdeutlicht, dass Unternehmen, die einen strukturierten Ansatz für das Risikomanagement verfolgen und eine klare Strategie verfolgen, besser in der Lage sind, in schwierigen Gewässern zu navigieren.
Der "ehrbare Kaufmann" auf dem Abstellgleis
Die Umfrage zeigt, dass Unternehmen, die eine Risikomanagementstrategie implementiert haben, vor allem durch Compliance (71 Prozent), Unternehmenspolitik (64 Prozent) und Kundenforderungen (63 Prozent) getrieben werden. Die Hälfte der Unternehmen (55 Prozent) geben finanzielle Vorteile als Motivation an. Nach der "Erhöhung der Robustheit" eines Unternehmens oder einer "Steigerung der Überlebenswahrscheinlichkeit" wurde nicht gefragt.
Im Tagesgeschäft wird Risikomanagement von 37 Prozent der Vorstandmitglieder, 46 Prozent des Top-Managements und 40 Prozent des mittleren Managements verantwortet und operativ gesteuert. Fragt sich nur, in welcher Form Risikomanagement tatsächlich in den Organisationen gelebt wird. Größere Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeitern haben – gemäß der Studienergebnisse – einen stärkeren Fokus auf das Risikomanagement als kleinere Organisationen. Warum kommen die Studienautoren zu diesem Ergebnis? Vielleicht liegt es daran, dass 77 Prozent der größeren Unternehmen angegeben haben, eine eigene Risikomanagement-Organisation implementiert zu haben. Aber darf man daraus ableiten, dass Risikomanagement auch tatsächlich in der Organisation gelebt wird und eine Risikokultur existiert? Auch alle oben aufgeführten Großkonzerne hatten eine Risikomanagement-Organisation und wurden trotzdem gegen die Wand gefahren. Daher stellt sich hier eher die Frage, wie Risikomanagement dezentral in einer Organisation gelebt wird und ob sich jeder Mitarbeiter als "kleiner" Risiko- und Chancenmanager sieht und sich Vorstände und Geschäftsführer sich an Immanuel Kants Kategorischen Imperativ erinnern würden und sich das Denken und Handeln hieran orientieren würde: "Handle stets so, dass die Maxime deines Wollens jederzeit Grundlage eines allgemeinen Gesetzes sein könnte." Dann hätte Volkswagen einen Skandal weniger und viele Unternehmen wären nicht in den Abgrund gestürzt. Leider sieht die Unternehmensrealität heute anders aus. Das Zitat eines Top-Managers des ehemaligen US-Energieriesens Enron bringt diese Denkweise auf den Punkt: "You can break the rules, you can cheat, you can lie, but as long as you make money, it‘s all right.” Viele Risiken könnten heute vermieden werden, wenn Entscheider sich an die Tugenden des "ehrbaren Kaufmanns" erinnern würden. Aber der hängt mittlerweile bei vielen Organisationen in der "Mottenkiste", vergessen, wie ein Relikt einer längst vergangenen Geschäftswelt.
Massive methodische Defizite
Die Studie zeigt auf, dass Unternehmen vor allem mit einfachen analytischen Methoden (beispielsweise der Fehlermöglichkeits- und Einflussanalyse, FMEA) arbeiten. Kreativitätsmethoden oder anspruchsvollere analytische Methoden spielen in der Praxis – basierend auf den befragten Experten – nur eine untergeordnete Rolle. Dies deutet darauf hin, dass die für die Studie befragten Unternehmen nur über einen geringen Reifegrad (Maturity Level) im Risikomanagement verfügen. Interessant ist in dem Kontext, dass 42 Prozent der befragten Experten davon überzeugt sind, dass vor allem strategische Risiken (etwa durch disruptive Innovation) eine höhere Aufmerksamkeit verdienen. Strategische Risiken können jedoch weder mit einer FMEA, einer rückspiegelorientierten "Risikobuchhaltung" noch einem Pareto-Chart oder einem Risikoregister sinnvoll identifiziert oder bewertet werden. Hierfür sind vielmehr Kreativitätsmethoden (etwa Szenarioanalysen, Business Wargaming oder Delphi-Studien) unabdingbar.
Mehrwert eines Risikomanagements wird gesehen
Unternehmen konzentrieren sich zunehmend auf das Risikomanagement und mehr als die Hälfte geben an, dass Risikomanagement zukünftig eine entscheidende Rolle in ihrer Gesamtgeschäftsstrategie spielen wird. 45 Prozent der befragten Unternehmen planen, ihre Investitionen in das Risikomanagement in den nächsten drei Jahren zu erhöhen.
Die Mehrheit der Unternehmen (81 Prozent) glaubt, dass ein Managementsystem, das auf einem strukturierten Risikomanagement-Ansatz basiert, ihrem Unternehmen und Stakeholdern zusätzlichen Nutzen bringen wird. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen Unternehmen vor allem an ihrer Methodenkompetenz im Bereich Chancen-/Risikomanagement arbeiten und Entscheider sollten ihre Handlungen darauf prüfen, ob sie einer für alle, jederzeit und ohne Ausnahme geltenden Maxime folgen und ob dabei das Recht aller betroffenen Menschen, auch als Selbstzweck, berücksichtigt wird. Gute Unternehmensführung ("Good Corporate Governance") ist die beste Risikomanagement-Maßnahme, um die Überlebenswahrscheinlichkeit eines Unternehmens zu erhöhen. Genau hieran scheitern viele Unternehmen. Und dieses Scheitern trägt die Handschrift vieler Entscheider, die statt tragfähiger und zukunftsweisender Strukturen und Abläufe lieber die eigene Zukunft im Auge haben. Und die heißt Karriere und Boni-Zahlungen statt des ehrbaren Handelns.
Abb. 01: Die wesentlichen Risikokategorien [Quelle: DNV GL / GFK Eurisko 2017]
Abb. 02: Angewendete Methoden in der Praxis [Quelle: DNV GL / GFK Eurisko 2017]