In den USA entwickelt sich aktuell eine veritable Regionalbanken-Krise. Losgegangen ist alles im März dieses Jahres mit den Pleiten der Silicon Valley Bank sowie den kleineren Silvergate Capital Corp. und der Signature Bank. Vor wenigen Tagen brach die First Republic Bank unter dem Druck steigender Zinsen zusammen und eine knappe Handvoll weiterer Regionalbanken wackelt aktuell bedrohlich. Namen wie Pacific Western Bank (Pacwest), Bank of Hawaii oder OZK waren bis dato wohl nur Insidern bekannt. Nun sind sie plötzlich im Blickpunkt besorgter Anleger weltweit, die sich vor einer schweren Bankenkrise fürchten.
First Republic Bank: Niedergang in Zeitlupe
Die First Republic Bank ist eine Regionalbank aus San Francisco. Sie ist noch nicht einmal in allen US-Bundesstaaten vertreten und (eigentlich) für den US-Finanzsektor eher irrelevant. Eigentlich. Denn ihr Zusammenbruch ist der größte seit der Finanzkrise 2008. Und es besteht die Sorge, dass dies erst der Startpunkt sein könnte.
Bereits im März war die deutlich kleinere Silicon Valley Bank kollabiert. Die First Republic Bank geriet im Soge dessen auch ins Epizentrum der Vertrauenskrise und viele First-Republic-Kunden leerten ihre Konten. Nur durch ein Konsortium aus US-Großbanken und einer Kapitalspritze von 30 Milliarden US-Dollar konnte die Bank stabilisiert werden.
Im Verlauf der letzten Woche stürzte sie dann aber dramatisch ab. Der Aktienkurs fiel in der Spitze um 75 Prozent und musste zwischenzeitlich sogar vom Handel ausgesetzt werden. Grund dürften wohl die Angaben gewesen sein, wonach im ersten Quartal mehr als 100 Milliarden US-Dollar an Kundengeldern abgezogen wurden. Auch die Ankündigung, dass die Bank Anleihen und Kredite verkaufen müsse, konnte als Alarmsignal gewertet werden. Dies sorgte für Panik bei vielen Anlegern – trotz aller Stabilisierung in den Wochen zuvor.
Auf Jahressicht ist der Verfall des Unternehmenswertes noch krasser: Im Januar 2023 kostete eine Aktie noch rund 123 US-Dollar, ehe sie letzte Woche auf 3,09 US-Dollar fiel. Ein Allzeittief. Dann kaufte JP Morgan Chase die First Republic Bank für 85 Milliarden Euro und rettete sie so vor der sicheren Pleite.
Im "Westen" scheint es also nichts wirklich Neues zu geben. Seit März flammt immer wieder die Angst vor einem Flächenbrand im Bankwesen und einem Risiko für die Finanzstabilität auf.
Alles halb so wild?
Wie schon bei der Silicon Valley Bank sind die sogenannten unrealisierten Verluste das große Problem vieler (Regional-)Banken. Diese entstanden durch die Zinswende und betragen nach Expertenschätzungen zwischen 600 Milliarden und 1,8 Billionen US-Dollar. Kombiniert mit den zahlreichen Gewerbeimmobilienportfolios, die sich unter steigenden Zinsen weniger profitabel darstellen, schwindet das Vertrauen vieler Anleger. Durch einen Abzug großer Einlagen sind einige Banken gezwungen, die unrealisierten Anleiheverluste zu realisieren, indem Anleihen mit erheblichen Abschlägen verkauft werden, um Liquidität zu beschaffen. Unter normalen Bedingungen könnten die Anleihen bis zum Laufzeitende gehalten und zum Nennwert – ohne Kursverlust – verkauft werden.
Der JP-Morgan Analyst Steven Alexopoulos beruhigte: "Die Quartalszahlen der Regionalbanken haben gezeigt, dass die Einlagenabflüsse nicht so groß waren wie befürchtet".
Vertrauenskrise und Shortseller
Allerdings: In allen Niedergängen großer und kleiner Banken – insbesondere bei Silicon Valley Bank und auch First Republic Bank – war der Startpunkt eine Vertrauenskrise. Hätten die Kunden ihre Einlagen nicht abgezogen, wäre es wohl auch nicht so schnell zu einer solchen Kettenreaktion gekommen. Bei der Silicon Valley Bank zogen Kunden innerhalb von fünf Stunden rund 42 Milliarden US-Dollar ab. Sparer brachten ihre Einlagen lieber bei großen Banken in Sicherheit.
Die deutlichen Kursverluste vieler Regionalbanken wurden dabei wohl auch durch Shortseller verursacht, die auf sinkende Kurse wetteten. Der Datenanbieter S3 veröffentlichte Zahlen, wonach am 2. Mai bereits rund 14 Milliarden US-Dollar von Shortsellern investiert wurden, um von einem weiteren Kursverfall der Bankenaktien zu profitieren. Am größten ist die Short-Position aktuell bei der Bankenholding Truist Financial aus Charlotte. Die folgende Tab. 01 zeigt weitere große Shortpositionen.
Nr. | Bank | Short-Positionen in Mio. USD |
1 | Truist Financial | 956,6 |
2 | M&T Bank | 578,5 |
3 | First Horizon | 558,8 |
4 | Huntington Bancshares | 543,1 |
5 | Citizens Financial | 468,9 |
6 | New York Community Bancorp | 429,0 |
7 | Bank OZK | 417,7 |
8 | Southstate Bank | 381,3 |
9 | Zions Bancorporation | 370,8 |
10 | Regions Financial | 345,1 |
Tab. 01: Größte Short-Positionen gegen US-Regionalbanken (per 02.05.2023) in Mio. US-Dollar [Quelle: S3 Partners]
Allerdings: Die Shortposition bei Truist Financial ist allein deshalb so hoch, weil die Marktkapitalisierung, also der Börsenwert des Unternehmens, mit über 38 Milliarden US-Dollar größer ist als bei der Deutschen Bank (20 Milliarden Euro; Stand 05.05.2023). Deshalb ist insbesondere der prozentuale Anteil der Shortpositionen aussagekräftiger. Bei der First Republic Bank betrug die Short-Quote 37,5 Prozent. Bei Truist Financial beträgt sie gerade einmal 2,2 Prozent. Gemessen an der Short-Quote weist insbesondere die Pacific Western Bank einen beunruhigend hohen Short-Anteil von 18,07 Prozent auf, wie die folgende Tab. 02 zeigt. Die Aktie brach seit Jahresbeginn um über 70 Prozent ein und musste mehrfach vom Handel ausgesetzt werden.
Nr. | Bank | Short-Quoten in % |
1 | First Republic | 37,5 |
2 | Pacwest | 18,1 |
3 | Bank of Hawaii | 12,1 |
4 | Bank OZK | 10,3 |
5 | Zions Bancorporation | 9,5 |
6 | Northwest Bancshs | 9,3 |
7 | Southstate Bank | 7,6 |
8 | Western Alliance | 7,2 |
9 | Atlantic Union | 6,9 |
10 | Axos Financial | 6,8 |
Tab. 02: Größte Short-Quoten gegen US-Regionalbanken (per 02.05.2023) in Prozent [Quelle: S3 Partners]
Die Diskussion zu einem Short-Verbot dürften für viele Beobachter der Finanzszene einem Déjà-Vu gleichkommen. Schließlich wandert der schwarze Peter regelmäßig zu den "bösen Buben", die auf sinkende Börsenkurse wetten. Doch Short-Seller sind für das Finanzsystem sehr wichtig und nehmen eine gewisse Korrektiv-Funktion wahr. Insbesondere bei Wirecard wurde dies sehr deutlich, als sie wohl maßgeblich dafür gesorgt hatten, dass der Schaden nicht noch größer wurde.
Bisher konnte ein Flächenbrand im Finanzsystem verhindert werden, da die großen Player vergleichsweise stabil dastehen und die strauchelnden kleineren Wettbewerber übernehmen. Allerdings: Wie schon beim Niedergang der Credit Suisse, die nun in der UBS zu einer Schweizer Giganten-Bank zusammengeschlossen wurde, dürfte auch trotz aller Euphorie, dass die First Republic Bank gerettet und keine neue Bankenkrise (bisher) ausgebrochen ist, auch wieder die Frage gestellt werden, ob denn die richtigen Lehren aus der Finanzmarktkrise gezogen wurden. Damals war man sich schnell einig, dass es kein "too big to fail" mehr geben dürfe.
Verglichen mit den 3,6 Billionen US-Dollar Bilanzsumme von JP Morgan ist die First Republic Bank unbedeutend. Aber: Ihre Übernahme – und ggf. noch weitere, die folgen könnten – sollte kritisch hinterfragt werden. Steigt damit nicht das Risiko, dass die Großbanken noch größer werden? Und: Wie verändert sich dadurch das Risiko für die Finanzstabilität in den USA und weltweit?
Die US-Regierung hat übrigens von Anfang an eine Rettung der Regionalbank First Republic ausgeschlossen. Genaue Gründe hierfür nannte sie nicht, sodass nur darüber spekuliert werden kann: War die Regierung aufgrund der geringen Systemrelevanz nicht besorgt über einen merklichen Effekt für das Finanzsystem? Oder war es gar ein cleverer Schachzug, damit sich andere Banken der Rettung annehmen?
Wie sich im Nachhinein herausstellte, war es der politische Wille, dass JP Morgan aktiv werde. Jamie Dimon, CEO von JP Morgan, erklärte zur Übernahme: "Unsere Regierung hat uns und andere aufgefordert, aktiv zu werden, und das haben wir getan."
Mängel im Risikomanagement
Die schwelende Krise am US-Bankenmarkt hat mehrere Gründe – insbesondere gab es zahlreiche Verfehlungen im Risikomanagement.
1. Don’t put all your eggs in one basket!
Eine der ältesten Börsenregeln ist die Grundregel, nicht alles auf eine Karte zu setzen. Viele amerikanischen Regionalbanken haben aber genau dies getan. Sie lockten besonders wohlhabende Kunden mit großen Einlagen. Aufgrund (scheinbar) mangelnder Alternativen haben sie Kredite für Gewerbeimmobilien zu überschaubaren Renditen – dank Nullzins immer noch lukrativ – und langfristige Anleihen – häufig Staatsanleihen zu ebenfalls vergleichsweise hohen Renditen – gekauft. Durch die rasch gestiegenen Zinsen sind die Marktwerte der Anleihen gefallen und durch Covid und den zusätzlichen Kostendruck aufgrund der hohen Inflation wurden Gewerbeimmobilien weniger nachgefragt und insbesondere nicht mehr um jeden Preis! Dies wiederum erhöhte das Risiko bei einem Ausfall der Kreditnehmer bzw. einem Verkauf von Anleihen vor Laufzeitende.
2. Ertragsoptimierung auf Kosten der Risiken
Viele Banken haben in Zeiten der Niedrigzinspolitik einseitig ihre Erträge optimiert, ohne gleichzeitig darauf zu achten, laufzeitkongruent gegenfinanziert zu sein bzw. Zinssicherungen abzuschließen. Nun werden aufgrund der schnellen Erhöhungen der Leitzinsen viele Engagements unprofitabel bzw. die Marktwerte von Anleihen sinken.
Im Falle von First Republic war es insbesondere die Kombination von großen Einlagen wohlhabender Anleger, die jederzeit verfügbar und nicht vollumfänglich von der gesetzlichen Einlagensicherung gedeckt waren, einerseits und vergleichsweise günstigen, festverzinslichen Hypotheken über nicht selten 30 Jahre oder länger.
Diese Kombination dürfte nicht nur erfahrenen Risikomanagern die Schweißperlen auf die Stirn treiben, sondern auch Newbies. Denn sie stellt einen klaren Verstoß gegen die "goldene Bilanzregel" dar, wonach kurzfristige Verbindlichkeiten kurzfristig und langfristige Verbindlichkeiten langfristig refinanziert werden müssen!
Die Zentralbanken haben (bis auf Weiteres) gar keine andere Wahl, als die Leitzinsen zu erhöhen, schließlich sehen sie sich einer historisch hohen Inflation ausgesetzt. Gleichzeitig hat die Fed angekündigt, im Juni über eine Zinspause nachzudenken. Die EZB wird bis dahin noch weitere Zinserhöhungen in Aussicht gestellt. – Es bleibt zu hoffen, dass sich aus einer Regionalbankenkrise in den USA kein Flächenbrand entwickelt, der sich auch schnell wieder zu einer Staatsschuldenkrise im Euro-Raum entwickeln könnte!
3. Erhöhung der Leitzinsen ohne gleichzeitige vertrauensbildende Maßnahmen im (Regional-)Bankensektor
Die Geschwindigkeit der Zinswende dürfte einmalig sein. Gleichzeitig hat es die US-Notenbank Fed unterlassen, ihre Zinserhöhungen mit Zusatzmaßnahmen für den Bankensektor zu versehen. Vielfach waren Bank-Runs, also das rasche Abziehen von Einlagen, in Folge von Vertrauenskrisen die Ursache für den Niedergang der Regionalbanken – egal ob SVB oder First Republic Bank. Eine Erhöhung der Einlagensicherung über die bestehenden 250.000 US-Dollar könnte die Anleger beruhigen.
4. Das Undenkbare denken!
Stresstests und Szenarioanalysen sollten zum Rüstzeug eines jeden guten Risikomanagers gehören. Die Commerzbank hat vor nicht allzu langer Zeit für überraschte Gesichter gesorgt, als bekannt wurde, dass in ihrem Stresstest-Portfolio auch ein "taktischer Atomschlag" enthalten ist.
Was auf den ersten Blick vielleicht abstrakt und spinnerisch erscheint, ist ein ganz wichtiger Faktor in der strategischen Steuerung eines Unternehmens. Denn nur durch die gezielte Fokussierung auf Extremereignisse lassen sich Schwachstellen und kritische Schwellenwerte erkennen, noch bevor daraus ein existenzielles Risiko entstehen kann.
Und eines dürfte wohl außer Frage stehen: Ein Anstieg der Leitzinsen ist wohl zu Jahresbeginn (und auch zum heutigen Tag) deutlich wahrscheinlicher als ein taktischer Atomschlag auf den Standort Frankfurt. – Dies legt also den Schluss nahe, dass gerade im strategischen Risikomanagement erhebliche Schwächen vorherrschten. Man kann auch fragen: Haben die betroffenen US-Banken überhaupt ein funktionierendes Bilanzstrukturmanagement?
5. Fehleinschätzung der Bedeutung des Risikomanagements
Es ist immer wieder zu sehen, dass in guten Zeiten die größten Fehler gemacht werden. In den letzten fast 15 Jahren seit der Finanzmarktkrise hat sich – insbesondere in den USA – der Ruf nach Deregulierung der Bankenaufsicht immer stärker geäußert. So hat Präsident Trump den Dodd-Frank-Act deutlich entschärft, da er seiner Meinung nach die Kreditvergabe zu sehr erschwerte.
Auch in Deutschland wurde immer wieder auf die gegenüber den USA schlechteren Marktbedingungen für hiesige Institute verwiesen, die auf die allzu strenge Aufsicht zurückgingen. Es wurde immer wieder gefordert, die Kapitalpuffer abzuschmelzen, um Wettbewerbsnachteile gegenüber den vor Kraft strotzenden US-Banken zu reduzieren.
In Europa können viele Banken froh sein, dass die Bankenaufsicht trotz allen Gegenwinds standhaft geblieben ist und die Kapitalpuffer hochgehalten hat. Dies stärkt das Vertrauen und verhindert (zumindest bisher) vergleichbare Bank-Runs wie bei den reihenweise umfallenden mittelgroßen US-Banken.
Autor:
Dr. Christian Glaser ist promovierter Risikomanager und Dozent an mehreren Hochschulen und Buchautor mehrerer Fachbücher sowie zahlreicher Fachveröffentlichungen in den Bereichen Finanzdienstleistungen, Unternehmensführung und Management, Controlling sowie Risikomanagement.