Die individuelle technische Risikobewertung und aktuarielle Analyseverfahren ergeben gemeinsam ein differenziertes Bild. Wird die Eigentragungsfähigkeit mit einbezogen, erhalten Risikomanager eine solide Entscheidungsbasis.
Vor dem Hintergrund sich verhärtender Märkte und schwindender Kapazitäten sollten Höchstentschädigungslimits in der Sach- und Betriebsausfallversicherung überprüft werden. Die Antwort auf die Frage, ob man lieber unterversichert oder überversichert wäre, lautet: Weder noch!
Zuerst ist es wichtig, die Risiko-Exponierung zu validieren, also die aktuellen Sach- und Betriebsunterbrechungswerte akkurat zu ermitteln. Zusammen mit einer umfassenden Schadenhistorie sowie Markt- und Schadendaten bildet die Summenermittlung die Grundlage – sowohl für eine technische Einschätzung der Höchstschadenszenarien (Probable Maximum Loss) als auch für eine quantitative Analyse (Actuarial Loss Forecast).
Die Bestimmung der Eigentragungsfähigkeit (Risikotoleranz) als Summe der Schadenselbstbehalte, der die Versicherungslimits übersteigenden Schadenlast und der unversicherten versicherbaren Schäden ergänzt diese Analysen und trägt so zu einer faktenbasierten Entscheidungsgrundlage für die Risikotransferstrategie bei.
Technische Analyse zur Ermittlung des Höchstschadenpotentials aus Betriebsunterbrechung
Zur technischen Höchstschadenermittlung wird zunächst der Totalverlust eines versicherungstechnischen Komplexes zugrunde gelegt. Dieses Modell beschreibt den höchst- möglichen Sachschaden an einem Betriebsstandort, ohne Berücksichtigung der Eintrittswahrscheinlichkeit.
Der zu ermittelnde Ausfallschaden setzt sich zusammen aus den entgangenen Betriebsgewinnen, den weiterlaufenden Kosten sowie eventuellen Kosten zur Reduzierung des Ausfallsschadens, also etwa für Provisorien. Es wird derjenige Standort eines Konzerns ermittelt, bei welchem der höchste Ausfallschaden entstehen kann (Probable Maximum Loss aus einer Betriebsunterbrechung, BI-PML).
Berücksichtigt werden können Mehrkosten, die im Schadenfall zum Beispiel durch Abnahmeverpflichtungen oder durch Sicherungsmaßnahmen gegen Verderb entstehen. Maßnahmen, welche die Schadenshöhe über den Ausfallzeitraum mindern, werden bei dieser Analyse in konservativer Abschätzung einbezogen.
Für die technische Analyse der Höchstentschädigung sind Workshops erforderlich, in welchen Wiederaufbau- und Wiederinbetriebnahme-Szenarien aller Standorte definiert werden. Daran nimmt üblicherweise neben der Finanzabteilung auch die Produktion, der Einkauf, der Verkauf und die Qualitätssicherung teil.
Das Ergebnis der Analyse ist der mögliche Höchstschaden durch eine Betriebsunterbrechung unter Einbeziehung wirksamer Maßnahmen zur Schadensenkung. Daraus können zielgenau unmittelbar wirksame Maßnahmen ab- geleitet werden, die das Schadenpotential senken.
Auf diese Weise wurden zum Beispiel zwei Anlagen eines kleinen Zweigwerks ermittelt, ohne die nahezu 60 Prozent der Gesamterlöse nicht zu erzielen waren. Nach einer Risikoanalyse vor Ort wurden die Anlagen brandschutz-technisch getrennt und mit Sprinklerschutz versehen.
Bestimmung der Schadenerwartung auf Basis quantitativer Methoden
Ergänzend zum ermittelten Höchstschadenpotential (PML) bietet der "Actuarial Loss Forecast" (AFL) eine datenbasierte aktuarielle Modellierung der zu erwartenden Schadenhöhen. Während der PML immer von einem Extremszenario ausgeht und keine Aussage über die Eintrittswahrscheinlichkeit des Höchstschadens macht, führt der AFL zu einem differenzierten Ergebnis für verschiedene Wiederkehrperioden. So kann das Unternehmen die Entscheidung über die zu wählende Höchstentschädigung seiner Versicherungsprogramme mit seiner Risikobereitschaft abgleichen.
Basis für die Analyse sind neben aktuellen und historischen Risiko- und Schadeninformationen des Unternehmens auch relevante Markt- und Industriedaten. Die aktuariell erstellten und individuell angepassten Modelle zur Schadenfrequenz und Schadenhöhe werden in einer Monte-Carlo-Simulation mit größer als 10.000 Jahre simuliert und in einer "Loss-Forecast-Tabelle" zusammengeführt.
Das Ergebnis dieses mathematischen auf das Unternehmen abgestimmten Modells ist eine Einschätzung der Eintrittswahrscheinlichkeit und der Eintrittshöhe zu verschiedenen Wiederkehrperioden. Das dargestellte Modell quantifiziert zum Beispiel die Anzahl und Höhe der jährlichen Schadenerwartung in einem guten Jahr (1-in-10-Jahren: 111,88 Millionen US-Dollar), in einem durchschnittlichen Jahr (Mittelwert: 53,14 Millionen US-Dollar) oder in einem katastrophalen Jahr (1-in-200-Jahren: 566,76 Millionen US-Dollar).
Bestimmung der Eigentragungsfähigkeit
Als Startpunkt für die Evaluierung von Selbstbehalten, Höchstentschädigungen und des Wertbeitrags von Versicherungslösungen empfehlen wir grundsätzlich eine Bestimmung der Risikotoleranz. Mit verschiedenen Stresstestszenarien wird die jeweilige Auswirkung auf ausgewählte Finanzkennzahlen simuliert und aufgezeigt, wann die individuell festgelegten Bandbreiten überschritten werden. Vergleichen wir den ermittelten Wert mit der tatsächlichen Summe aus Selbstbehalten, überschrittenen Limits und unversicherten versicherbaren Risiken, lässt sich ableiten, ob generell mehr oder weniger Risiko transferiert werden sollte.
Handlungsempfehlungen
- Lassen Sie parallel den BI-PML und die zu erwartenden Schadenhöhen ermitteln, um den Versicherungsschutz abgestimmt auf Ihre Risikotoleranz einkaufen zu können.
- Machen Sie sich folgenden Zusammenhang klar: Die absolute Obergrenze wird durch die Sachversicherungswerte und die Summenermittlung der Ertragsausfallversicherung definiert. Der BI-PML bietet eine konservative Abschätzung der maximal denkbaren Schadenhöhe. Die mit analytisch-empirischen Methoden kalkulierten Schadenerwartungen stellen vor dem Hintergrund der Eigentragungsfähigkeit das empfohlene Minimum dar.
- Treffen Sie eine transparente Entscheidung für einen kosteneffizienten Risikotransfer – unter Einbeziehung Ihrer unternehmenseigenen Risikostrategie, Ihrer Eigentragfähigkeit, der Kenntnis der Schadenerwartung und des Höchstschadenpotentials. Sprechen Sie uns gerne auf eine individuelle Analyse an.
Autoren:
Frank A. Forster, Head of Risk & Anayltics / Strategic Risk Consulting bei Willis Towers Watson
Arne Jägers Weinberg, Head of interRisk Consulting & Engineering bei Willis Towers Watson