Einen solchen Anstieg hatte es bei den Unternehmensinsolvenzen seit Jahren nicht mehr gegeben. Das Plus lag bei fast dreißig Prozent im ersten Halbjahr 2024 und die Zahl der Insolvenzen betrug 11.000 Unternehmen.
Dabei war die Entwicklung keine Überraschung, denn bereits im Vorjahr zeichnete sich ein zweistelliger Zuwachs ab – die Krisenzeiten von 2020 bis 2022 im Zeichen der Pandemie mit rückläufigen Insolvenzzahlen waren vorbei. Normalisierte sich das Insolvenzgeschehen auf dem Niveau der Vorjahre oder wirkten bei der Zunahme die Krisen nach? Vor allem aber drückte die schwierige konjunkturelle Lage auf die Stabilität der Unternehmen?
Gläubiger erleiden Verluste
Tatsächlich haben sich die Strukturen bei den Insolvenzen von Unternehmen im ersten Halbjahr 2024 verändert. Das zeigt sich zunächst bei den Schäden, bei den Ausfällen für die Gläubiger. So waren im Berichtszeitraum 19 Mrd. Euro bei zahlungsunfähigen Unternehmen offengeblieben. Dies ist deutlich mehr als im ersten Halbjahr 2023 mit 13 Mrd., liegt aber auch bei einer Hochrechnung auf das Gesamtjahr mit rund 40 Mrd. für 2024 höher als vor den Krisenjahren dieser Dekade. Zwischen 2015 und 2019 waren es nicht mehr als 27,5 Mrd. Euro (2016). Deutlich wird hier auch, dass eher größere Unternehmen einen Insolvenzantrag hatten stellen müssen. So lag der durchschnittliche Forderungsverlust je Insolvenzfall 2024 bei 1,7 Mio. Euro – 2015 waren es noch 846.000 Euro.
Die jüngste Entwicklung hin zu größeren betroffenen Unternehmen zeigt sich auch bei den Arbeitsplätzen. 133.000 Mitarbeiter sahen sich mit der Insolvenz ihres Arbeitgebers konfrontiert – ein Plus von 6,4 Prozent. Immer noch sind die meisten insolventen Unternehmen eher bei kleinen und mittleren Betrieben zu finden und die durchschnittliche Beschäftigtenzahl der „Pleiteunternehmen“ lag bei etwa 12 Mitarbeitern. Die aktuellen Zahlen zu den betroffenen Unternehmen selbst, aber eben auch zu den Schäden und den Arbeitsplätzen lassen erkennen, dass es weniger um eine Normalisierung als um einen Trend zu einer stärkeren Insolvenzbetroffenheit großer Betriebe geht. Auch wenn Corona keine Rolle mehr spielt und der Krieg in der Ukraine uns nunmehr schon im dritten Jahr begleitet, so sind doch die internationalen Verwerfungen immer noch spürbar. Besonders Deutschland und seine exportorientierte Konjunktur kommen nicht in Fahrt. Die Inflation hat den Konsum gebremst und die Kehrtwende bei den Zinsen die Unternehmen belastet. Die Negativentwicklung der einzelnen Wirtschaftsbereiche zeigt, wie diese beiden Bereiche, die Geldentwertung und ihre Bekämpfung durch höhere Zinsen, das Insolvenzgeschehen im ersten Halbjahr 2024 zumindest mitbestimmten.
Kein Geld für den Bau
Das Baugewerbe registrierte eine um 27,5 Prozent höhere Insolvenzzahl als im ersten Halbjahr 2023. Die hohen Zinsen treffen den privaten Wohnungsbau wie auch den Wirtschaftsbau und sorgen für rückläufige Fertigstellungen. Hinzu kommt die aktuelle Ankündigung durch die Politik, beim Autobahnbau weniger Geld in die Hand zu nehmen. Noch höher ist der Zuwachs bei den Insolvenzen im Dienstleistungsbereich. Dabei geht es weniger um unternehmensnahe Dienstleister als um konsumorientierte.
Das Plus im ersten Halbjahr 2024 liegt bei fast 35 Prozent gegenüber dem ersten Halbjahr des Vorjahres. Die Insolvenzen in diesem Wirtschaftssektor machen mittlerweile fast 60 Prozent des gesamten Aufkommens aus. Die Dienstleister verzeichnen eine Insolvenzquote, die etwa so hoch liegt wie zuletzt 2015. Die Zurückhaltung der Verbraucher trifft aber nicht nur konsumnahe Dienstleistungen, sondern auch den Handel. Zwar liegt die Veränderung bei den betroffenen Betrieben bei einem unterdurchschnittlichen Zuwachs von 20,4 Prozent, doch zeigt die Insolvenzquote (Anzahl Insolvenzen je 10.000 Betriebe einer Branche), wie stark dieser Wirtschaftsbereich betroffen ist. Waren es im Vorjahr noch 58 Insolvenzen pro 10.000 Unternehmen, so sind es nunmehr 69. Das ganze Ausmaß der Krise am Bau wird der auch hier erst mit der Insolvenzquote deutlich: Diese liegt 2024 bei 98 Pleiten je 10.000 Betriebe der Branche. Im Vorjahr waren es noch 77 Insolvenzen je 10.000 Unternehmen.
Größe schützt vor Pleite nicht
Die starke Betroffenheit von Handel und Bau ist das eine der aktuellen Insolvenzentwicklung. Das andere ist, wie bereits bei der Schadenentwicklung angedeutet, der Trend zu größeren Unternehmen, die betroffen sind. Am Schnittpunkt von Branchen und Größe steht die Insolvenz der FTI Touristik. Der Reiseanbieter, der Anfang Juni in Insolvenz gegangen war, gehört zu den größten Anbietern im Tourismus in Europa. Der konsumnahe Dienstleister mit mehr als 8.000 Beschäftigen hatte noch in den Corona-Jahren 2020/2021 mehrere 100 Mio. Euro an staatlichen Hilfsgeldern erhalten. Umsatzzahlen, branchenübergreifend aller Unternehmen in der Insolvenz, zeigen bei den Zunahmen der Umsatzklassen den Unterschied in der Entwicklung am aktuellen Rand. Kleine Unternehmen mit höchstens 250.000 Euro jährlichem Umsatz liegen trotz der Beschleunigung des Insolvenzgeschehens mit ihrem Anteil niedriger als in den Vorkrisenjahren. Aber schon die Mittelständler in der Umsatzgrößenklasse von 250.000 bis 5,0 Mio. Euro haben aktuell einen Zugang von gut 50 Prozent hinzunehmen. Das wird aber noch übertroffen von den Großunternehmen mit Umsätzen von über 5,0 Mio. Euro, die gegenüber der Vorkrisenzeit (2019) um 126 Prozent stärker von Insolvenzen betroffen sind.
Unternehmensinsolvenzen haben im ersten Halbjahr 2024 mit einem Zuwachs von 30 Prozent eine Entwicklung gezeigt, die neu ist. Geprägt wird das aktuelle Geschehen von den Krisen der Konjunktur und der Finanzstabilität, aber auch von der stärkeren Betroffenheit großer Unternehmen. Dies alles ist nicht Ausdruck einer Normalisierung, sondern einer schwierigen gesamtwirtschaftlichen Situation, wie sie vorher noch nicht hinzunehmen war.
[Quelle: Creditreform Risikomanagement-Newsletter vom 24. Juli 2024]