Krisen, Konflikte und Kriege: Geopolitik am Scheideweg

Jemen: Im Schraubstock der Mächtigen


Krisen, Konflikte und Kriege: Geopolitik am Scheideweg - Jemen: Im Schraubstock der Mächtigen Kolumne

"Krisen, Konflikte und Kriege: Geopolitik am Scheideweg" heißt unsere dreiteilige Serie, die wir in den kommenden Wochen auf RiskNET präsentieren. Inhaltlich geht es um das schmutzige Geschäft mit Krieg, Völkermord und Vertreibung und darum, Konflikte auf der geopolitischen Landkarte transparent aufzuzeigen. Wir fokussieren uns auf Krisenregionen, an deren Nahtstellen sich die globalen Konfliktlinien um Einfluss, Macht und Deutungshoheit auftun. Im Mittelpunkt steht die Ursachenforschung und wer mit wem und warum den riskanten "Handel mit dem Tod" treibt. Dabei geht es um Konflikte, die medial in den letzten Monaten ins Hintertreffen geraten sind oder grundsätzlich nicht die Aufmerksamkeit finden, die ihnen aufgrund der Brisanz für ganze Regionen und den weltweiten Frieden zustehen müssten.

"Wer oben steht, kann Steine werfen." Dieses Zitat aus dem Jemen spricht Bände. Denn oben standen oder stehen in der über 3000-jährigen und zugleich wechselvollen Geschichte des Staatsgebietes im Süden der Arabischen Halbinsel viele. Und viele Akteure warfen oder werfen mit Steinen – von den Osmanen über die Briten bis zu den Saudis, den USA und indirekt auch Deutschland. Sinnbildlich geht damit ein seit Jahrtausenden anhaltendes Auf und Ab, der Wechsel von Krieg und Frieden, Kolonialzeit, Unabhängigkeit und Bürgerkrieg einher. Was viele Epochen der jemenitischen Geschichte indes eint, ist ein Land als Zankapfel unterschiedlicher Mächte und Interessengruppen. Ein genauer Blick in die jüngste Vergangenheit des Jemen und auf die aktuelle Situation verdeutlicht, dass der Jemen sich in einer stetigen Abwärtsspirale befindet – politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich. Diesen Erosionsprozess fördern ausländische Interventionen in ein Staatsgebilde am Abgrund, einem sogenannten "failed state". Oder anders formuliert: Der Jemen, zementiert im Schraubstock der Mächtigen.

Saudi-Arabien, die Verbündeten und die Legitimation des Völkermords

Als im März 2015 Saudi-Arabien, mit Beteiligung unter anderem der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), Ägyptens und Kuwaits, aber auch Großbritanniens und den USA, einen Krieg gegen den Jemen lostrat, setzte sich eine blutige Tradition fort. Diese handelt vom militärischen Aufmarschgebiet Jemens für ausländische Akteure und deren Interessen. So auch im aktuellen Krieg, der von der saudischen Koalition zynisch unter dem Namen "Operation Restoring Hope" geführt wird. Doch diese Wiederherstellung der Hoffnung, oder was auch immer damit gemeint ist, bedeutet in Wahrheit ein seit Jahren anhaltender Luftkrieg gegen die Zivilbevölkerung. Im Schulterschluss mit den USA versucht Saudi-Arabien den Einfluss Irans im Nahen Osten mit Waffengewalt zurückzudrängen. Die explosive Gemengelage zwischen beiden Kontrahenten in direkter Nachbarschaft speist sich aus unterschiedlichen religiösen Weltanschauungen, wirtschaftlichen Interessen und letztendlich dem Drang nach Vormachtstellung im Nahen Osten.

Unter dem Vorwand den Einfluss der vom Iran unterstützten Huthi zu brechen, findet seit Jahren ein Völkermord an den Jemeniten statt. Die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) fasst die Zahlen im Mai 2020 wie folgt zusammen: "Bei einer Gesamtbevölkerung von ca. 29 Mio. müssen 3,65 Mio. Binnenflüchtlinge in Lagern versorgt werden. 20,1 Mio. Menschen haben keinen sicheren Zugang zu Nahrung, 14,3 Mio. Menschen sind akut von Hunger bedroht." [1] Den militärischen "Freifahrtschein" hält die Koalition mit der Resolution 2216 des UN-Sicherheitsrats aus dem Jahr 2015 in den Händen. Hart formuliert lässt sich daraus eine Mitschuld am Völkermord im Jemen durch die Vereinten Nationen (VN) ableiten. Das Onlinemagazin Telepolis brachte es im Januar 2019 auf den Punkt: "Mit der Resolution 2216 legitimiert die UN den Völkermord. Die UN selber schafft damit ihr eigenes Fundament, das Völkerrecht, ab." Und weiter heißt es: "Die UN-Resolution 2216, die dem von Seiten der SAC (Saudi-Arabian guided Coalition, Anmerkung der Redaktion) und ihrer westlichen Mentoren praktizierten Völkermord im Jemen erst Tür und Tor geöffnet hat, muss von der UN selbst widerrufen werden." [2] Mit diesem Verhalten stellt sich einmal mehr die Frage, welche Rolle und Funktion die UN eigentlich einnimmt, wenn sie (nicht zum ersten Mal) solche Resolutionen verabschiedet und damit billigend den Tod von Hunderttausenden Menschen in Kauf nimmt.

Damit einher geht eine "Erosion der regelbasierten liberalen Weltordnung", wie es Professor em. Dr. Günther Schmid, Experte für internationale Sicherheitspolitik, jüngst in einem Interview mit unserer Redaktion formulierte. In diesem Kontext stellt er die Frage, ob es je eine globale und zugleich regelbasierte Weltordnung gab. Bei einem Blick auf die Vereinten Nationen mit ihren teils völkerrechtlich bedenklichen UN-Resolutionen der vergangenen Dekaden – von Libyen über den Irak bis zum Jugoslawien-Konflikt – muss man das wohl in vielen Punkten verneinen.

Rolle Deutschlands im Jemen-Konflikt

Auch die Rolle Deutschlands im Jemen-Konflikt gilt es zu hinterfragen. Denn die deutsche Regierung hat allein seit Anfang 2019 Rüstungsexporte von über einer Milliarde Euro gerade an die Länder genehmigt, die im Jemen Krieg führen. Neben den Vereinigten Arabischen Emiraten zählen hierzu auch Ägypten oder Jordanien. Dies ist ein klarer Bruch eigener Vorgaben, wie sie unter anderem im "Bericht der Bundesregierung über ihre Exportpolitik für konventionelle Rüstungsgüter im ersten Halbjahr 2018" festgeschrieben sind. Dort heißt es: "Die Bundesregierung verfolgt eine restriktive und verantwortungsvolle Rüstungsexportpolitik. Über die Erteilung von Genehmigungen für Rüstungsexporte entscheidet die Bundesregierung im Einzelfall und im Lichte der jeweiligen Situation nach sorgfältiger Prüfung unter Einbeziehung außen- und sicherheitspolitischer Erwägungen." Dieses Licht kann bei der Betrachtung der Situation im Jemen nicht sehr hell gewesen sein. Gerade mit Blick in die "Bestandsaufnahme über die Umsetzung des Koalitionsvertrages durch die Bundesregierung" vom November 2019: "Die Bundesregierung engagiert sich für Frieden und setzt sich gemeinsam mit ihren Partnern und den VN für ein Ende der Kampfhandlungen, den Schutz der Zivilbevölkerung, humanitäre Hilfe und eine politische Lösung der Konflikte insbesondere auch in Europas Nachbarregionen ein [...]". Eines der genannten Länder ist der Jemen.

Teile der deutschen Regierung sehen indes gerade in Saudi-Arabien einen strategischen Partner und selbst Rüstungsgüter wurden trotz der "Ruheregelung" in das Land exportiert. Nach ZDF-Informationen "sind 2018 bereits Ausfuhren nach Saudi-Arabien genehmigt worden, teils eingekleidet als 'europäische Gemeinschaftsprojekte'. Auch zwischen Januar und Juni 2019 wurden zwei Rüstungsgeschäfte mit Saudi-Arabien genehmigt [...]". Und das trotz der offiziellen Haltung Berlins, wonach Waffenexporte nach Saudi-Arabien aufgrund der Ermordung des saudischen Journalisten Jamal Khashoggi ab November 2018 eigentlich komplett gestoppt wurden.

Die bittere Erkenntnis des Jemen-Konflikts ist wohl, dass alles bleibt, wie es war. Ausländische Mächte intervenieren, bomben und töten auf Kosten der Zivilbevölkerung. Eine Einschätzung, die auch Günther Schmid teilt, wenn er resümiert: "Trotz der gigantischen humanitären Katastrophe im Nahen Osten sehe ich in absehbarer Zeit keine Befriedung der Region." Dafür stünden seiner Ansicht nach die strategischen Interessen zu sehr im Widerspruch. Und der Jemen ist Teile dieser strategischen Interessen. Oder anders formuliert, wer oben steht, kann Steine werfen. Diese treffen Menschen – Frauen, Männer, Kinder und Alte – genauso wie jede Form moralischer Verantwortung.

RiskNET Summit 2020: 20. bis 21. Oktober 2020

RiskNET Summit 2020


Die geopolitische Risikolandkarte sowie die Risiken in globalen Wertschöpfungsnetzen sind auch beim RiskNET Summit 2020, der vom 20. bis 21. Oktober 2020 stattfinden wird, Themen auf der Agenda. Unter anderem mit einem Vortrag von Professor em. Dr. Günther Schmid, Experte für internationale Sicherheitspolitik, zum Thema: "Globalisierung auf der 'Isolierstation': Internationale Politik und Sicherheit nach der Corona-Krise."

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[ Bildquelle Titelbild: Adobe Stock / dinosmichail ]
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