Die Mainzer Ökonomin Isabel Schnabel, Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, hat die milliardenschweren Anleihekäufe der Europäischen Zentralbank (EZB) kritisiert. Im Internationalen Club Frankfurter Wirtschaftsjournalisten sagte Schnabel, der Nutzen dieser Politik der quantitativen Lockerung (QE) sei ungewiss, die Risiken für Banken, Versicherer und die Altersvorsorge der Menschen seien dagegen klar.
Isabel Schnabel, die seit 2014 "Wirtschaftsweise" ist, macht aus ihrer Abneigung gegen QE kein Geheimnis. Der Zusammenhang zwischen QE und der Kreditvergabe sei weniger klar als der zwischen den gezielten Langfristtendern (TLTRO) und Krediten. Ihrer Meinung nach hätte EZB-Chef Draghi die Auswirkungen der TLTROs abwarten sollen, anstatt "völlig ohne Evidenz" auf QE zu setzten. "Es wird schwierig sein, zu sagen, ob es irgend etwas genützt hat, weil wir die kontrafaktische Situation nicht kennen", sagte sie.
Die EZB hatte im vergangenen Jahr den Leitzins auf 0,05 Prozent gesenkt und einen Strafzins auf Bankeinlagen bei der Zentralbank verhängt. Diese Maßnahmen der EZB hatte die Mainzer Ökonomin ebenso verteidigt wie die TLTROs, und auch das OMT-Programm - die Zusage, notfalls unbegrenzt Anleihen einzelner Staaten zu kaufen - hält sie für berechtigt.
Aber Draghis Aussage, dass sich der Nutzen der Anleihekäufe bereits in Finanzmarktgrößen zeige, würde sie nicht unterschrieben. "Es ist nicht möglich, das wissenschaftlich sauber zu evaluieren." Zwar hält sie einen niedrigen Kurzfristzins angesichts der schwachen Wirtschaft für angemessen, doch für das "lange Ende" der Zinskurve gilt das nicht.
Derzeit schickt sich EZB-Chef Draghi aber offenbar an, das QE-Programm sogar auszuweiten. Grund sind ein abermaliger Rückgang der Inflationsrate in Richtung null und Finanzmarktturbulenzen, die die Wachstums- und Preisaussichten zusätzlich belasten könnten. Am Mittwochnachmittag findet im Wirtschafts- und Finanzausschuss des Europaparlaments die turnusmäßige vierteljährliche Anhörung des EZB-Präsidenten statt. Dort könnte Draghi seine diesbezüglichen Vorstellungen näher erläutern.
Einem ungewissen Nutzen stehen laut Schnabel bereits jetzt sichtbare Risiken für Banken, Versicherer und die Altersvorsorge der Menschen gegenüber. "Die Margen der deutschen Banken waren schon länger schwach, und jetzt kommt auch noch die Niedrigzinsphase hinzu", sagte sie. Je länger die dauere, desto weiter fräßen sich die Niedrigzinsen in die Aktivseite der Bankbilanzen. Wenn dann die Zinsen stiegen, sei die Profitabilität zusätzlich gefährdet.
Sie plädiert dafür, Zinsen im Zweifelsfall eher früher als später anzuheben, um Gefahren für die Stabilität des Finanzsystems vorzubeugen. Dass die Zentralbanken die Verantwortung für die Finanzstabilität der neu geschaffenen makroprudenziellen Aufsicht ESRB übertragen wollen, hält die Ökonomin für eine "riskante Strategie". "Wir wissen überhaupt nicht, ob die funktioniert. Es besteht die Gefahr, dass man dann stärker reagieren muss", sagte sie.
Auch wegen der zunehmenden Rolle, die unregulierte Finanzinstitutionen bei der Finanzierung der Wirtschaft spielen, hält Schnabel eine tendenziell straffere Geldpolitik für angezeigt. "Ich bin sehr skeptisch, dass man es je schaffen wird, die Schattenbanken umfassend zu regulieren." Deshalb müsse die Geldpolitik die Auswirkungen auf die Finanzstabilität mit berücksichtigen. "Das bedeutet, dass man rechtzeitig mit der Straffung anfängt und sie nicht immer weiter hinauszögert", sagte sie.