Der EZB-Rat hat heute seine schon bestehenden Programme zum Ankauf von gedeckten Schuldverschreibungen (CCBP3) und zum Aufkauf von Asset-Backed Securities (ABSPP) erweitert und in dieses erweiterte Ankaufprogram den Ankauf von Staatsanleihen der Eurostaaten und europäischer Institutionen einbezogen. Die Käufe sollen 60 Milliarden Euro pro Monat umfassen und bis Ende September 2016 dauern. Sie haben also ein Volumen von über 1 Billion Euro. Nach dem Vorbild der Fed und der japanischen Zentralbank will die EZB mit dieser Form des verharmlosend "Quantitative Easing (QE)" genannten Gelddruckens die Inflation anheizen, um die überschuldeten Staaten auf Kosten der Sparer zu entlasten. Mit diesem Programm überschreitet die EZB ihr Mandat und verstößt gegen das Verbot der monetären Staatsfinanzierung. Jetzt ist die Bundesregierung gefordert. Sie muss umgehend Klage beim Europäischen Gerichtshof erheben, um die Interessen der deutschen Steuerzahler und die Budgethoheit des Deutschen Bundestages zu verteidigen. Für den Fall, dass die Bundesregierung untätig bleibt, bereiten wir eine eigene Klage vor.
Mit dem bereits laufenden ABS-Ankaufprogramm nimmt die EZB den Banken in den Krisenstaaten, deren Bilanzen mit faulen Krediten überladen sind, Ausfallrisiken ab und überwälzt sie auf die europäischen Steuerzahler. Diese Politik wird mit der heute beschlossenen Erweiterung auf Staatsanleihenkäufe ausgeweitet und verschärft. Indem die EZB für Hunderte Milliarden Euro Staatsanleihen kauft, bürdet sie auch insoweit den Steuerzahlern die Risiken auf. Wenn ein Staat seine Schulden nicht zurückzahlt, dann machen nicht mehr die Banken, die bisher diese Anleihen gehalten haben, den Verlust, sondern die EZB und letztlich der Steuerzahler.
Allerdings sagt die EZB, dass sie dieses Risiko für Staatsanleihenkäufe (nicht für ABS-Ankäufe) begrenzt habe, indem nur für 20 Prozent dieser Käufe eine gemeinsame Haftung gelte, während für die übrigen Käufe jede nationale Zentralbank das Risiko selbst trage. Ob auf diese Weise das Haftungsrisiko tatsächlich begrenzt wird, lässt sich anhand der heute veröffentlichten Informationen nicht beurteilen. Aus diesen Informationen ergibt sich weder, in welcher Weise rechtlich bewirkt werden soll, dass es keinen Verlustausgleich zwischen den Zentralbanken gibt, noch, wie die dezentralen Käufe von den nationalen Zentralbanken getätigt werden sollen. Wenn beispielsweise die Bundesbank nur deutsche Staatsanleihen kaufen müsste, gäbe es insoweit keine Risikoumverteilung. Müßte sie aber auch griechische oder italienische Anleihen kaufen, würde es nichts nützen, dass der deutsche Steuerzahler nur für die Verluste der Bundesbank und nicht auch für diejenigen der italienischen Zentralbank haftet. Eine endgültige Beurteilung des Ankaufprogramms wird insofern erst möglich sein, nachdem die EZB einen Rechtsakt erlassen hat, der alle notwendigen – die Durchführung des Programms und die Haftungsbegrenzung regelnden – Einzelheiten enthält. Wir werden eine sorgfältige Analyse vornehmen, sobald uns diese Informationen zur Verfügung stehen. Wir erinnern daran, dass der Generalanwalt im OMT-Verfahren (Rechtssache Gauweiler u.a.) gesagt hat, dass die EZB Anleihenkäufe im Rahmen eines "unkonventionellen" Ankaufprogramms nur auf der Basis eines Rechtsakts tätigen darf, der alle erforderlichen Einzelheiten regelt und eine umfassende Begründung enthält. Einen solchen Rechtsakt gibt es noch nicht.
Heute aber lässt sich bereits sagen, dass zumindest im Hinblick auf 20 Prozent der im Rahmen des erweiterten Programms angekauften Anleihen die EZB das Verlustrisiko trägt, ebenso für 100 Prozent der Wertpapiere, die im Rahmen der fortlaufenden Programme (CBPP3 und ABSPP), die Teil des heute beschlossenen erweiterten Programms sind, gekauft worden sind und gekauft werden. Die EZB-Verluste werden auf die nationalen Zentralbanken nach dem Kapitalschlüssel verteilt, so dass auf die Bundesbank rund 26 Prozent entfallen. Mit diesen Verlusten wird letztlich der Bundeshaushalt und somit der deutsche Steuerzahler belastet.
Zumindest in diesem Umfang bewirkt das heute beschlossene Programm eine Vergemeinschaftung der Haftung für Verluste. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits in einem von uns angestrengten Prozess entschieden, dass eine solche Haftungsvergemeinschaftung verfassungswidrig ist. Das Ankaufprogramm der EZB führt dazu, dass der Bundeshaushalt mit Haftungsrisiken in riesiger Milliardenhöhe belastet wird, ohne dass der Bundestag dem konstitutiv zugestimmt hat. Das ist mit der Budgethoheit des Bundestages unvereinbar und verstößt gegen das Demokratieprinzip.
Außerdem ist der heutige Beschluss des EZB-Rats nicht vom Mandat der EZB gedeckt. Im Unterschied zu anderen Zentralbanken ist die EZB strikt auf die Wahrung der Preisstabilität verpflichtet, während die Fed beispielsweise auch die Arbeitslosigkeit bekämpfen darf. Die EZB hat ein rein geldpolitisches und nicht wie andere Zentralbanken zugleich ein wirtschaftspolitisches Mandat. Und mangels demokratischer Legitimation der EZB muss dieses Mandat eng ausgelegt werden. Die EZB unterscheidet sich von anderen Zentralbanken auch durch ihre im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) garantierte Unabhängigkeit. Andere Zentralbanken sind nicht in vergleichbarer Weise unabhängig. Dort können die Parlamente eingreifen, wenn die Zentralbank in parlamentarische Kompetenzen eingreift. Bei der EZB ist das nicht möglich. Deshalb ist die strikte Wahrung der rechtlichen Kompetenzgrenzen hier ganz besonders wichtig.
Ein QE-Programm wie das heute beschlossene lässt sich jedenfalls zur Zeit nicht geldpolitisch rechtfertigen. Es ist zur Deflationsbekämpfung nicht erforderlich und auf jeden Fall unverhältnismäßig. Es widerspricht daher den Anforderungen, die der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen vom 14.1.2015 im OMT-Verfahren (Rechtssache Gauweiler u.a.) formuliert hat. Die EZB versucht zwar, die Notwendigkeit eines QE-Programms damit zu begründen, dass die Inflationsrate schon zu tief unter das von der EZB formulierte Ziel von knapp zwei Prozent gesunken sei. Aber dieses Ziel ist von der EZB rechtswidrig zu hoch festgelegt worden. Die EZB hat den Auftrag, Preisstabilität zu gewährleisten und nicht zwei Prozent Inflation anzustreben.
Außerdem ist das heute beschlossene QE-Programm mit dem Verbot der monetären Staatsfinanzierung unvereinbar. Der AEUV verbietet, dass die Staaten sich mit der Notenpresse finanzieren. Darauf aber läuft ein QE-Programm hinaus. Zwar kauft die EZB nicht unmittelbar von den Staaten Anleihen, aber ökonomisch läuft es auf das gleiche hinaus, wenn sie diese am Sekundärmarkt in riesigem Umfang erwirbt. Dies entspricht auch der Auffassung der Bundesbank.
Bundesbankpräsident Weidmann hat immer wieder vor einem solchen Ankaufprogramm gewarnt, weil es die Grenze zur monetären Staatsfinanzierung überschreiten könne.
Völlig zu Recht hat die Bundeskanzlerin gerade betont:
"Als Politikerin muss ich den Menschen überzeugend sagen können, was da an den Märkten passiert, geschieht nach Recht und Gesetz. Nie wieder soll das Geld der Steuerzahler zur Rettung von Banken verwendet werden müssen."
Aber genau das hat die EZB mit ihrem heute beschlossenen QE-Programm vor: sich über Recht und Gesetz hinwegzusetzen und das Geld der Steuerzahler zur Rettung von Banken einzusetzen. Jetzt ist die Bundesregierung gefordert. Sie muss tätig werden, um die EZB an der Überschreitung ihres Mandats und an der Verletzung europäischen Rechts und deutschen Verfassungsrechts zu hindern. Nachdem das holländische Parlament schon gestern die EZB aufgefordert hat, Staatsanleihenkäufe zu unterlassen, muss jetzt auch die Bundesregierung sich äußern. Das ist kein unzulässiger Eingriff in die Unabhängigkeit der Zentralbank. Die Unabhängigkeit ist ein hohes Gut, aber sie ist nur im Rahmen der Kompetenzen garantiert. Überschreitet die EZB ihre Kompetenzen, dann sind die zuständigen deutschen Staatsorgane nicht nur berechtigt, sondern – wie das Bundesverfassungsgericht in dem von uns geführten OMT-Prozess gesagt hat – kraft ihrer "Integrationsverantwortung" auch verpflichtet, aktiv zu werden, um der Kompetenzüberschreitung Einhalt zu gebieten. Dazu reicht es nicht aus, mahnende Worte zu sagen. Es gibt ein Mittel, das der Bundesregierung zur Verfügung steht und das im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) ausdrücklich vorgesehen ist: eine Klage beim Europäischen Gerichtshof. Die Bundesregierung darf sich die Kompetenzanmaßung der EZB nicht gefallen lassen. Für den Fall, dass sie untätig bleibt, bereiten wir eine eigene Klage vor.
Im übrigen können wir feststellen: Wenn der heutige EZB-Beschluss so zu verstehen ist, dass die nationalen Zentralbanken jeweils nur Staatsanleihen des eigenen Staates auf eigene Rechnung kaufen und eine gemeinsame Haftung hierfür ausgeschlossen ist (80 Prozent der zusätzlichen Anleihenkäufe im erweiterten Programm – ohne CCBP3 und ABSPP), wäre das aus unserer Sicht ein großer Erfolg unserer bisherigen Bemühungen, die EZB auf dem Rechtsweg dazu zu bewegen die rechtlichen Grenzen ihres Mandats einzuhalten.
Damit haben wir erreicht, dass jedenfalls ein großer Teil der befürchteten Risiken dem Bundeshaushalt erspart bleibt, sofern nicht eine genauere Prüfung noch einen Pferdefuß sichtbar macht. Aber dieser Teilerfolg darf nicht dazu führen, dass man alle verbleibenden Rechtsverstöße akzeptiert.
Autoren:
Dr. Peter Gauweiler, MdB, Staatsminister a.D., Stellvertretender CSU-Vorsitzender
Professor Dr. Dietrich Murswiek, Geschäftsführender Direktor, Institut für Öffentliches Recht der Universität Freiburg
Kommentare zu diesem Beitrag
Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn hat die Beschlüsse der Europäischen Zentralbank (EZB) kritisiert. "Das ist illegale und unsolide Staatsfinanzierung durch die Notenpresse. Wenn die EZB Papiere kauft, werden die Staaten neue Papiere verkaufen und somit von der Druckerpresse finanziert. Das ist nach Artikel 123 des EU-Vertrages eigentlich verboten und bedarf der Klärung durch das deutsche Verfassungsgericht", sagte er in München. "Es ist schwer nachvollziehbar, warum die EZB sich daran stört, dass die Ölpreise gefallen sind und nun eine Politik betreibt, die über eine Abwertung des Euro die Ölpreise wieder erhöht, zumal die Abwertung auch noch andere Importpreise erhöhen und die Realeinkommen der Verbraucher vermindern wird." Zur Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit der Staaten Südeuropas müssten dort entweder die Preise fallen oder Deutschland müsse inflationieren. Die EZB habe sich nun für den zweiten Weg entschieden.
Der Hauptgrund für die Beschlüsse sei nicht die Bekämpfung der Deflation, sondern die Rettung der Banken und Staaten der Krisenländer. "Die Käufe werden die Kurse der von den Banken gehaltenen Staatspapiere erhöhen und den Banken neues Eigenkapital verschaffen", sagte Sinn. Zugleich würden sie die ohnehin niedrigen Zinsen auf Staatspapiere weiter senken und die Anreize zur Neuverschuldung insbesondere bei den Krisenstaaten vergrößern, was den Reformdruck verringere. "Wenn 20 Prozent der Käufe in gemeinschaftlicher Haftung liegen, bedeutet das, dass die EZB zu 20 Prozent Eurobonds schafft. Es ist bemerkenswert, dass die EZB in aller Deutlichkeit erklärt hat, dass das Programm fiskalische Risiken für die Steuerzahler mit sich bringt. Diese Risiken werden zu einem Teil über die Landesgrenzen umverteilt."