Rechtliche Bewertung von Umstrukturierungen als Lösungsweg

Können Unternehmen Kartellstrafen umgehen?


Können Unternehmen Kartellstrafen umgehen? Rechtliche Bewertung von Umstrukturierungen als Lösungsweg News

Die Bußgelder des Bundeskartellamts werden immer höher. Letztes Jahr haben die Wettbewerbshüter Bußgelder von insgesamt über eine Milliarde EUR verhängt und damit den bisherigen Rekordwert von 700 Millionen EUR deutlich übertroffen. Das Bundeskartellamt ist der Ansicht, dass nur sehr hohe Bußgelder eine ausreichende Abschreckungswirkung entfalten. Tatsächlich stellen die Kartellstrafen, die sich mittlerweile häufig im zweistelligen Millionenbereich bewegen, gerade kleine und mittlere Unternehmen vor erhebliche Probleme und können sogar existenzbedrohend sein.

Vor diesem Hintergrund ist es nicht erstaunlich, dass von Kartellverfahren betroffene Unternehmen alle rechtlichen Mittel ausschöpfen, um möglichen Kartellstrafen zu entgehen. Ein solches Mittel können dabei gesellschaftsrechtliche Umstrukturierungen darstellen. Kartellverfahren sind im deutschen Recht in das allgemeine Ordnungswidrigkeitenrecht (OWiR) eingebettet, das nur die Ahndung eines Rechtsträgers – also einer konkreten juristischen Person wie einer AG oder GmbH oder einer Personenvereinigung wie den Personengesellschaften KG, oHG oder GbR – kennt und nicht eines "Unternehmens" an sich, wie es etwa im EU-Recht der Fall ist. Wenn der verantwortliche Rechtsträger durch Umstrukturierung erlischt, kann ein Rechtsnachfolger nur unter bestimmten Voraussetzungen in Anspruch genommen werden. Dieser rechtliche Rahmen bietet Unternehmen einen gewissen Gestaltungsspielraum – und führt zu Haftungslücken, wie das Bundeskartellamt immer wieder anmahnt.

Anfang Februar berichtete die Presse beispielsweise von zwei Unternehmen, gegen die wegen ihrer Teilnahme am Wurstkartell im letzten Jahr vom Bundeskartellamt Bußgelder in Höhe von insgesamt 120 Mio. EUR verhängt wurden und die nun aus dem Handelsregister gelöscht wurden – ganz offensichtlich mit dem Ziel, sich den Bußgeldern zu entziehen.  

Aber welche Voraussetzungen müssen tatsächlich erfüllt sein, um mittels Umstrukturierungsmaßnahmen den Kopf aus der kartellrechtlichen Schlinge zu ziehen? Und welche Gefahren birgt ein solches Vorgehen? Um die Chancen und Risiken zu verstehen muss man zunächst einen Blick auf die rechtliche Situation bei Erhalt eines Bußgeldbescheids des Bundeskartellamts werfen. Es handelt sich bei diesen Bescheiden um von einer Verwaltungsbehörde erlassene Bußgeldbescheide wegen einer Ordnungswidrigkeit, im Prinzip also um nichts anderes als bei dem berühmten Knöllchen wegen zu schnellen Fahrens. Wie beim Knöllchen gilt: Der Betroffene kann den Bußgeldbescheid akzeptieren, oder er kann innerhalb von zwei Wochen Einspruch gegen den Bescheid einlegen. Legt ein Unternehmen gegen einen Bußgeldbescheid des Kartellamts keinen Einspruch ein, wird der Bußgeldbescheid rechtskräftig und das Bußgeld eine Verbindlichkeit, der man sich in aller Regel auch durch raffinierte Umstrukturierungen nicht entziehen kann. Wird Einspruch eingelegt, geht der Fall nach einem Zwischenverfahren zu Gericht. Wichtig ist, dass das Gericht nicht etwa über die Rechtmäßigkeit des Bußgeldbescheids entscheidet, sondern eine neue eigene Prüfung des Sachverhalts vornimmt: der Bußgeldbescheid ist aus der Welt.

Das in Kartellsachen zuständige Oberlandesgericht Düsseldorf prüft nun, ob ein Kartellrechtsverstoß vorliegt und welche Unternehmen möglicherweise dafür verantwortlich sind. Dabei gelten die folgenden Grundsätze: Ordnungswidrigkeiten werden von natürlichen Personen begangen, die als sog. Betroffene (entspricht dem Täter im Strafrecht) mit einem Bußgeld rechnen müssen. Zusätzlich kann die Behörde bzw. das Gericht auch ein Bußgeld gegen den Rechtsträger als Nebenbetroffene verhängen, für den der Betroffene als verantwortliche Person wie beispielsweise Organ, Vorstand, Gesellschafter oder Geschäftsführer gehandelt hat. Existiert der Rechtsträger zum Zeitpunkt der gerichtlichen Prüfung ganz oder teilweise nicht mehr (beispielsweise weil Gesellschaft erloschen ist), wird geprüft, ob es möglicherweise einen Rechtsnachfolger gibt, gegen den ein Bußgeld verhängt werden kann.

Die Bebußung des Rechtsnachfolgers für das kartellrechtswidrige Verhalten einer verantwortlichen Person des Rechtsvorgängers ist allerdings nur möglich, wenn dieser Nachfolger mit allen Rechten und Pflichten in die Rechtsposition des Vorgängers eingetreten ist, es sich also um einen Fall der Gesamtrechtsnachfolge wie etwa die Fusion handelt. Das OWiR hält seit 2013 eine ausdrückliche Regelung bereit, die eine Bebußung des Gesamtrechtnachfolgers im Regelfall zulässt; zuvor war die Heranziehung des Gesamtrechtsnachfolgers nur auf der Grundlage einer verfassungsrechtlich eher zweifelhaften Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs möglich, die aber noch die weitere Anforderung der wirtschaftlichen Identität aufstellte (diese ist, seit es eine ausdrückliche gesetzliche Regel gibt, nicht mehr erforderlich sondern nur noch für Altfälle relevant).  Liegt dagegen ein Fall der Einzelrechtsnachfolge vor, bei der die Vermögensgegenstände eines Unternehmens einzeln erworben werden - wie insbesondere beim Asset Deal - kann der Rechtsnachfolger nicht für den Kartellverstoß in Anspruch genommen werden.

Auf den ersten Blick scheint eine Umgehung der Kartellstrafe damit simpel: Die Assets des Rechtsträgers, der für den Kartellverstoß haftet, werden auf einen neuen Rechtsträger übertragen, der nicht in Anspruch genommen werden kann. Die verbleibende leere Hülle des alten Rechtsträgers wird entweder liquidiert oder bei ihr ist jedenfalls für das Kartellamt nichts zu holen. Praktisch hält dieser Weg zur Bußgeldfreiheit jedoch ganz erhebliche Stolpersteine bereit:

  • Da ja keine Gesamtrechtsnachfolge stattfindet, bedarf die Übertragung aller Verträge, beispielsweise mit Lieferanten und Kunden, der Zustimmung.
  • Die Übertragung der Assets kann steuerlich zu ganz erheblichen Nachteilen führen, etwa wenn durch die Übertragung stille Reserven gehoben werden.
  • Wenn der alte Rechtsträger als leere Hülle zurückgelassen wird und danach insolvent wird, können sich die handelnden Personen unter Umständen wegen Bankrott (§ 283 StGB) oder nach dem Insolvenzgesetz strafbar machen.
  • Zu beachten ist außerdem, dass das Bundeskartellamt seit kurzem die Möglichkeit hat, nach Erlass eines Bußgeldbescheids einen dinglichen Arrest anzuordnen und so die Bußgeldforderung zu sichern.

In vielen Fällen ist mit Blick auf diese Nachteile der Einzelrechtsnachfolgelösung die Kartellstrafe das geringere Übel.  Einen gewissen Kniff, um zumindest einige der oben geschilderten Nachteile zu umschiffen, hält das Gesetz jedoch bereit. In einem besonderen Fall der Gesamtrechtsnachfolge haftet der Rechtsnachfolger nämlich nicht: Wenn ein als juristische Person bzw. als Personenvereinigung geführtes Unternehmen durch eine natürliche Person als Einzelkaufmann fortgeführt wird, greift die Haftungsnachfolgeregelung des OWiR nicht ein und gegen die natürliche Person kann kein Bußgeld verhängt werden. Kombiniert man eine Übertragung der Vermögensgegenstände auf einen neuen Rechtsträger – den tatsächlichen Nachfolger – und befreit den alten Rechtsträger gleichzeitig durch Umwandlung in einen einzelkaufmännischen Betrieb von dem drohendem Kartellbußgeld, lassen sich einige der oben geschilderten Nachteile, insbesondere im Hinblick auf eine Strafbarkeit durch das Leerräumen, wohl vermeiden. Die steuerlichen Aspekte bleiben freilich und auch der Beratungsaufwand, um diese Lösung sauber umzusetzen, dürfte nicht unerheblich ausfallen. Schließlich wird das Bundeskartellamt alles daran setzen um auch in einem solchen Fall das Unternehmen zur Rechenschaft zu ziehen. Ob es damit Erfolg hat, wird sich zeigen – wie es scheint, haben die zwei Unternehmen aus dem Wurstkartell genau die hier beschriebene Lösung gewählt.

Autor:

Dr. Björn Herbers, Rechtsanwalt und Experte für Kartellrecht bei CMS Hasche Sigle in Brüssel.

Dr. Björn Herbers, Rechtsanwalt und Experte für Kartellrecht bei CMS Hasche Sigle in Brüssel.

[ Bildquelle Titelbild: oben: © bildergala - Fotolia.com / Bild unten: CMS Hasche Sigle ]
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