Vor Kurzem hat der Chefstratege der Deutschen Bank, Dr. Ulrich Stephan, eine interessante Begebenheit aus der jüngeren amerikanischen Wirtschaftsgeschichte ausgegraben. In den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts, so sagte er, blieb die Inflation trotz hohen Wachstums und niedriger Arbeitslosigkeit lange Zeit sehr niedrig (unter 2 Prozent). Keiner hatte dafür eine so richtige Erklärung. 1965 wurden dann die Gesundheitsprogramme Medicare und Medicaid eingeführt. Dadurch stiegen die Gesundheitskosten stark an. Die Inflation bekam Beine. Sie erhöhte sich von 1,9 Prozent im Januar 1966 auf 6,1 Prozent (!) Anfang 1970. Die Anleiherenditen sprangen von 4,7 Prozent auf 7,7 Prozent. Anleger in festverzinslichen Bonds machten Verluste.
Geschichte wiederholt sich nicht. Man kann aus ihr jedoch Lehren ziehen. Eine ist, dass die Inflation sich nicht immer langsam und stetig entwickelt. Sie macht vielmehr – wie andere ökonomische Variablen auch – oft unerwartete Sprünge. Das haben wir schon häufiger und nicht nur in den USA erlebt. Ein besonders krasses Beispiel waren die Inflationsschübe nach den großen Ölpreissteigerungen in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts.
Eine andere Lehre ist, dass die Inflation, wenn sie denn einmal in Bewegung geraten ist, sich selbst beschleunigt. Verbraucher, die in den Geschäften mehr zahlen müssen, verlangen dann auch höhere Löhne. Unternehmer heben ihre Preise stärker an, wenn sie sehen, dass das auch andere tun. So ein sich selbst beschleunigender Prozess ist schwer einzufangen. Für Notenbanken ist er ein Albtraum. Daher das Bestreben, inflationäre Prozesse genau zu analysieren und sie schon in der Anfangsphase zu bekämpfen.
Das hat nichts mit übertriebener Sensibilität zu tun, wie das der Bundesbank häufig vorgeworfen wurde.
Nun hat Dr. Ulrich Stephan die Geschichte natürlich nicht zufällig erzählt. Er vermutet vielmehr Ähnlichkeiten der damaligen mit der heutigen Situation. Auch jetzt fährt die Konjunktur auf hohen Touren.
Den Unternehmen fehlt es vorne und hinten an Facharbeitern. Bei der Inflation tut sich aber nichts. In Europa liegen die Preise zur Zeit gerade mal um 1,2 Prozent über dem Vorjahr.
Wiederholt sich die Geschichte? Inflation, Monate seit Anfang 2003 und 2013 [Quelle: EZB]
Könnte es sein, dass wir wie damals auch jetzt wieder von einer steigenden Inflation überrascht werden?
Viele Indizien dafür gibt es nicht. Ganz abwegig ist es aber auch nicht. In der Grafik habe ich die Jahre nach 2003 mit der Zeit nach 2013 verglichen. Die Kurven weisen einige Ähnlichkeiten auf. Über vier Jahre blieb die Inflation konstant beziehungsweise ging sogar zurück. Dann plötzlich veränderte sich im Zyklus 2003 alles. Die Ölpreise schossen nach oben. In der Folge erhöhten sich die Lohnsteigerungen. Die Inflation zog kräftig an, von 1,8 Prozent auf 4,1 Prozent Mitte 2008. Das alles vollzog sich in einem Umfeld, in dem schon die ersten Symptome der Finanzkrise erkennbar wurden.
Wenn es heute so liefe wie damals, müsste die Geldentwertung jetzt auch nach oben gehen.
Wahrscheinlich ist das nicht, wohl aber vorstellbar. Immerhin steigen die Krankenhauskosten in den USA nach den Angriffen von Trump auf Obamacare. In den USA mehren sich prominente Stimmen, die vor einer höheren Inflation warnen. Die Federal Reserve hat ihren Kurs leicht verschärft.
In Europa spüren wir vor allem, dass der Ölpreis in Bewegung gekommen ist. Seit Jahresanfang ist er von USD 66 auf USD 80 pro Barrel (Brent) gestiegen. Das sind mehr als 20 Prozent. Superbenzin ist kräftig teurer geworden. Die Preise für Energie, die immerhin einen Anteil von 11 Prozent am Warenkorb des Verbraucherpreisindex haben, haben sich spürbar erhöht.
Manche sagen, dass die Ölpreise ein Sonderfaktor sind, der mit Inflation nichts zu tun hat. Sie schauen nur auf die "Kerninflation" (ohne Preise für Energie, saisonabhängige Nahrungsmittel, Alkohol und Tabak). Ich halte das für eine Milchmädchenrechnung. Zum einen muss der Verbraucher auch ölinduzierte Preissteigerungen bezahlen. Seine Kaufkraft (und die Fähigkeit zu sparen und zu konsumieren) verringert sich. Zum anderen beeinflussen Ölpreise auch das inflationäre Klima. Arbeitnehmer fordern höhere Löhne. Die ölverarbeitende Industrie hat größere Kosten.
Was heißt es für die Finanzmärkte, wenn die Geldentwertung wie im letzten Zyklus steigen würde? Damals erhöhte die EZB die Leitzinsen von 2,5 Prozent auf 3 Prozent. Die Anleiherenditen gingen um gut einen halben Prozentpunkt nach oben. Beides war verglichen mit dem Inflationsanstieg von über 2 Prozentpunkten relativ wenig. Das hing aber damit zusammen, dass die Welt damals schon unter dem Eindruck der beginnenden großen Finanzkrise stand und die Märkte sehr risikoavers waren.
Heute sähe das wohl anders aus. Zwar kann ich mir nicht vorstellen, dass die EZB bei stärkerer Preissteigerung ihren Kurs nennenswert verändern würde. Dazu hat sie sich zu sehr festgelegt. Die 10-jährigen Bundrenditen würden jedoch deutlich anziehen. Sie gingen schnell über 1 Prozent, im weiteren Verlauf aber vermutlich auch auf 1,5 Prozent. Das wäre immer noch niedrig, aber deutlich höher als heute.
Wenn die Zinsen steigen, fallen die Kurse der Anleihen und der Investor macht Verluste. Schon seit einiger Zeit rate ich, beim Kauf von Bonds vorsichtig zu sein. Andererseits: Je höher die Zinsen, umso interessanter werden die Kupons, wenn man die Papiere über die ganze Laufzeit hält. Vor allem bei Anleihen von Unternehmen und Emerging Markets kann man inzwischen ordentliche Renditen erzielen.
Allerdings sind solche Papiere mit Emittenten- und eventuell auch mit Währungsrisiken verbunden.
Autor:
Dr. Martin W. Hüfner, Chief Economist, Assenagon Asset Management S.A.