Italien entscheidet über den Euro-Kurs. Erst treibt Mario Draghi den Kurs mit seiner Ankündigung nach oben, dass die EZB die Rückzahlung der Staatsschulden der Länder Südeuropas zulasten der Steuerzahler der noch gesunden Länder garantiert. Und nun treibt ihn Silvio Berlusconi wieder nach unten.
Das offenbart ein fundamentales Dilemma der Euro-Rettungspolitik. Maßnahmen, die die Finanzmärkte stabilisieren, treiben nicht nur, wie geplant, die Kurse der Staatspapiere hoch, sondern auch den Euro. Das ist gut für die Bilanzen der Gläubiger der südlichen Länder, doch schlecht für die Wettbewerbsfähigkeit der dortigen Wirtschaft. Da sich Inländer und Ausländer gleichermaßen von den Waren des Krisenlandes abwenden und verstärkt im Ausland kaufen, leiden die Exporteure und die Hersteller der mit den Importen konkurrierenden Güter gleichermaßen. Die angebliche Rettungspolitik verschlimmert also die Rezession und erzeugt noch mehr Arbeitslosigkeit, als ohnehin schon vorhanden ist. Umgekehrt führen Ereignisse, die die Finanzmärkte destabilisieren, zur Stabilisierung der Realwirtschaft. Ein Glück, dass es Silvio Berlusconi gibt.
Jenseits aller Ironie zeigt das Auf und Ab des Wechselkurses die Grenzen der europäischen Rettungspolitik auf. Durch den billigen Kredit, den der Euro brachte, hatten sich in Südeuropa inflationäre Wirtschaftsblasen gebildet, die mit dem Ausbruch der Finanzkrise platzten. Schlagartig verschlechterten sich die Kreditkonditionen, und völlig überteuerte Wirtschaftssysteme blieben zurück. Auch Frankreichs Wirtschaft leidet darunter, weil sie sehr stark auf Südeuropa ausgerichtet ist. Nach einer Studie von Goldman Sachs müsste Frankreich gegenüber Deutschland um 35% billiger werden, um im Verhältnis zum Ausland seine Schulden tragen zu können.
Die schützenden Hände von EZB und ESM haben die Märkte beruhigt. Kapital drängte angesichts der kostenlosen Absicherung wieder von den Kernländern der Eurozone in die Peripherie. Auch global wurde es wieder attraktiv, Euro zu halten und auf Euro lautende Forderungstitel zu erwerben. Das ist der Grund für die Aufwertung des Euros, die nun Frankreich die großen Probleme bereitet.
Die EZB kann die Aufwertung verhindern, indem sie ausländische Währungen durch Hergabe von Euro erwirbt. Sie muss intervenieren und die eigene Währung inflationieren, bis sie das Vertrauen in den Euro wieder so weit verringert, wie sie es durch ihre Garantien erhöht hat.
Die Aufwertung des Euros zeigt einmal mehr, welch riesige Kollateralschäden die europäische Rettungspolitik mit sich bringt. Diese Politik öffnet nicht nur Brandkanäle von den Krisenländern in den Staatsbudgets der noch soliden Länder und bürdet den Steuerzahlern und Rentnern dieser Länder riesige Vermögensrisiken auf. Sie behindert darüber hinaus die Gesundung der Krisenländer selbst. Sicher, sie stabilisiert die Staatsfinanzen und verschafft den überschuldeten Wirtschaftssystemen niedrigere Zinsen. Doch zugleich führt sie zur Aufwertung und bereitet den ohnehin überteuerten südeuropäischen Ländern und Frankreich riesige Probleme.
Die Rettungsaktionen haben bislang schon die dringend erforderliche innere Abwertung auf dem Wege fallender Euro-Preise für Vermögensobjekte, menschliche Arbeitskraft und Güter verhindert, durch die allein neues privates Kapital angelockt und die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft gestärkt werden kann. Die seit dem Sommer zu beobachtenden Wechselkurseffekte zeigen, dass zu diesem Nachteil die äußere Aufwertung hinzutritt. Nimmt man beides zusammen, so ist klar, dass die Rettungspolitik die Wettbewerbsfähigkeit der Krisenländer verringert hat.
Das heißt nun nicht, dass man sich über das italienische Chaos freuen sollte, aber es legt doch denjenigen, die vom Primat der Politik über die Gesetze der Ökonomie überzeugt sind, ein höheres Maß an Bescheidenheit nahe. Ohne die stümperhaften Rettungsversuche der Politik hätte die Krise den Euro in eine starke Abwertung getrieben und einen Teil der Volkswirtschaften Südeuropas bereits wieder wettbewerbsfähig gemacht. Außerdem hätten die Abwertung und die Senkung der Preise auf ganz natürliche Weise Kapital angezogen und so die Basis für ein neues Wirtschaftswachstum gelegt.
Wenn Berlusconi sonst auch nicht viel Gutes bedeuten mag, so muss man ihm doch zugutehalten, dass er dieser Erkenntnis den Weg bereitet hat.
Autor:
Hans-Werner Sinn, Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft, Präsident des ifo Instituts
Quelle: Erschienen unter dem Titel "Der Euro wird zur Bürde", Handelsblatt, Nr. 44, 4. März 2013, S. 48 und in ähnlicher Form unter dem Titel "The Collateral Damage of Europe's Rescue" bei Project Syndicate, 18. Februar 2013.
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