Ich war wohl nicht der Einzige, der durch die Aussage des Co-Chefs der Deutschen Bank, Anshu Jain, erschreckt war. In einem Interview mit der "Welt am Sonntag" hatte er am letzten Wochenende zu den Folgen der neuen geldpolitischen Beschlüsse der Europäischen Zentralbank mit unmissverständlicher Klarheit gesagt: "Die Konsequenz wird schlussendlich Inflation sein [...] Das ist ein Preis, den wir für Europa zahlen müssen."
Da lief mir das Wasser kalt den Rücken herunter. Ich bin ein Befürworter von Europa und vom Euro. Aber einen solchen Preis möchte ich nicht zahlen. Hat der Chef der Deutschen Bank Recht und wird es als Folge der neuen Maßnahmen der EZB (auch der Federal Reserve) mehr, vielleicht sogar die große Inflation geben? Das ist im Augenblick für die Mehrzahl der Anleger die wichtigste Frage.
Leider haben auch die Experten darauf keine zwingende Antwort. In der Theorie gibt es Argumente sowohl in der einen Richtung als auch in der anderen. Deshalb habe ich mir einmal die Geschichte angeschaut. Für die letzten hundert Jahre gibt es dazu interessante Zahlen aus den USA (siehe Grafik), aus denen man ein paar Lehren ziehen kann.
Erstens: Eine so lange anhaltende Phase niedriger Inflation, wie wir sie in den letzten dreißig Jahren hatten, ist selten. Es gab sie auch nicht in der viel gepriesenen Goldwährung vor dem Zweiten Weltkrieg; damals stiegen die Preise zeitweilig sehr stark, fielen dann aber auch wieder. Es ist freilich schwierig, das richtig zu interpretieren. Heißt das, dass die Inflation tot ist und die Gefahren überschätzt werden oder heißt es, dass die Zeit niedriger Inflation so lange gedauert hat, dass sie bald wieder vorbei sein könnte? In jedem Fall erscheint mir eine Wiedereinführung der Goldwährung nicht wünschenswert. Damals waren die Verhältnisse nicht besser.
Zweitens: Liquidität und Staatsverschuldung waren in der Vergangenheit wichtige Treiber der Inflation. Sie haben sowohl die Hyperinflation von 1923 in der Weimarer Republik verursacht, als auch die verdeckte Inflation im Dritten Reich. Die Grafik zeigt, dass die Ausweitung der Liquidität in den USA in den 30er Jahren in etwa so groß war, wie sie es heute ist. Wir befinden uns also in einem gefährlichen Terrain.
Geldmenge und Inflation in den USA: St. Louis Monetary Base und Verbraucherpreissteigerung [Quelle: Fred Data]
Drittens: Liquidität und Staatsverschuldung sind aber nur eine notwendige, nicht eine hinreichende Bedingung für Geldentwertung. Damit sie zu Preissteigerungen führen, muss eine hohe gesamtwirtschaftliche Nachfrage, also eine gute Konjunktur, dazukommen. Das war nach dem Ersten Weltkrieg in Deutschland der Fall. Auch nach der Weltwirtschaftskrise 1933 lief die deutsche Konjunktur schnell wieder heiß und zwang die Regierung, Preis- und Lohnkontrollen einzuführen. In den USA dagegen gab es kein stärkeres Wachstum. Die Inflation hielt sich daher in Grenzen, von ein paar kurzfristigen Ausreißern abgesehen.
Viertens: Der Anstieg der Inflation in den 70er Jahren beruhte nicht auf Liquidität und Staatsverschuldung, sondern auf politischen Spannungen und dadurch bedingten Rohstoffpreissteigerungen. Im Oktober 1973 begann der Yom-Kippur-Krieg, dann kamen die großen Ölpreiskrisen. Die Parallelen zu heute sind offensichtlich. Es gibt erhebliche Spannungen in vielen Regionen der Welt. Das kann die Geldentwertung deutlich über das jetzige Niveau treiben.
Fünftens: Viele zweifeln, ob die Zentralbanken politisch in der Lage wären, wirklich gegen Inflationserwartungen vorzugehen. Das Brechen von Inflationserwartungen erfordert in der Tat Mut zu unpopulären Maßnahmen. Die Geschichte zeigt, dass es das tatsächlich gibt. Man muss hier nicht nur auf die Deutsche Bundesbank schauen. In den USA gab es den Notenbankpräsidenten Paul Volcker, der Ende der 70er Jahre eine ungewöhnlich restriktive Politik durchsetzte und damit die Inflationserwartungen brach. Er hob die kurzfristigen Zinsen trotz schwacher Konjunktur bis auf zweistellige Höhe an. Man kann also Liquidität einsammeln, wenn man nur will und die damit verbundenen Schmerzen in Kauf nimmt.
Sechstens: Man sagt immer, die Staatsverschuldung könne nur durch Inflation abgebaut werden. In der Tat gibt es dafür viele historische Beispiele. Es ist aber nicht zwangsläufig. In den USA ist es gelungen, den Anteil der Staatsverschuldung am Bruttoinlandsprodukt von 1945 bis 1995 von fast 120 % auf unter 40 % zu reduzieren, ohne dass es zu einer großen Inflation kam. Entscheidend war, dass die Zinsen, zu denen der Staat Geld aufnahm, nicht höher als die Geldentwertung waren. Das ist die sogenannte "Repression Economics", an die auch heute wieder gedacht wird. Für den Anleger bedeutet das freilich auch einen Kapitalverlust.
Autor: Dr. Martin W. Hüfner, Chief Economist, Assenagon Asset Management S.A.
[Bildquelle: © K.-U. Häßler - Fotolia.com]