In den letzten Jahren ist in der Industrie die Erkenntnis gereift, dass Mergers & Acquisitions (M&A) oft die Gefahr unüberbrückbarer unternehmenskultureller Gegensätze in sich tragen, die nicht selten zum Scheitern von Übernahmen führen. Bekanntestes Beispiel für derartige kulturelle Differenzen ist die Ehe auf Zeit zwischen den beiden Autobauern Daimler und Chrysler, die nach neun leidensvollen Jahren 2007 schmerzhaft und verlustreich geschieden wurde. Doch die größten Risiken von M&A liegen oft an anderer Stelle und werden zudem leicht übersehen.
Mit dem Voranschreiten der neuen industriellen Revolution im Zeichen von Industrie 4.0 werden Produkte und Produktionsprozesse branchenübergreifend einander immer ähnlicher. Wo sich optimierte Standards herausmendeln, geht stets auch Individualität verloren. Autokäufer mussten diese Erfahrung in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts machen, als der Wettbewerb um möglichst niedrige cw-Werte zu einander immer ähnlicheren Fahrzeug-Designs führte. Marken wurden verwechselbar und beliebig. Der Autobauer Opel legte zu dieser Zeit fatale Grundlagen für die spätere Entfremdung von seinen Kunden, die 2008 fast zum Untergang der Marke führte.
Wo sich Produkte annähern und technische Hürden für den Wechsel zur Konkurrenz dank online-basierter Bestellsysteme auf einen Mausklick zusammenschrumpfen, gewinnen Reputation und Marken-Image entscheidende Bedeutung für die Kundenbindung. Gerade diese aber werden durch M&A oft schwer beschädigt. Zu selten werden im Vorfeld eines Unternehmens-Zusammenschlusses oder einer Übernahme die entscheidenden Fragen gestellt:
Wie nehmen Kunden den Zusammenschluss auf? Fühlen sie sich fortan einem übermächtigen Anbieter ausgeliefert und wechseln zur Konkurrenz? Der Kauf des Messaging-Dienstes WhatsApp durch die Social-Media-Plattform Facebook resultierte 2014 in massenhafter Kundenabwanderung. Nutzer fühlten sich einem "Datenkraken" informationell ausgeliefert und suchten und fanden Alternativen. Der bis dahin kaum bekannte Konkurrent Threema konnte seine Nutzerzahlen hierdurch verdoppeln.
Gegen die Übernahme des Wettbewerbers Gagfah durch den Immobilienkonzern Deutsche Annington liefen 2014 die Mieterverbände Sturm. Auch sie sahen ihre Mitglieder zukünftig in einer schwächeren Position gegenüber einem regional marktbeherrschenden Anbieter. Bereits im Vorfeld der Übernahme waren beide Unternehmen kommunikativ stark herausgefordert und sind dies auch weiterhin.
Wie sehen Medien und Öffentlichkeit das neue Unternehmen? Übernahmen und hierdurch gestiegene Marktanteile sind für die Presse in der Regel Negativ-Storys. Buzz-Wörter wie Monopolbildung, Einsparungen zu Lasten der Kunden und Stellenabbau beherrschen meist die Berichterstattung. Auch die Geschichte von angeblichen oder tatsächlichen Qualitätsmängeln infolge des Zusammengehens ist für Medien ein Selbstläufer. Denn wo Standorte und Verfahren vereinheitlich werden, finden sich immer auch enttäuschte Kunden und Belege für angebliche oder tatsächliche Qualitätsprobleme. Und seien es nur neu zu erlernende Ersatzteilnummern oder Servicecenter-Rufnummern, die als Beleg für Kundenärger herhalten müssen.
Nur selten werden in der Öffentlichkeit oder in der medialen Berichterstattung hingegen die positiven Synergieeffekte eines Mergers herausgestellt. Denn Unternehmensgröße und Beliebtheit sind in der allgemeinen Wahrnehmung stark negativ korreliert. Krankenhauskonzerne machten in den letzten Jahren die Erfahrung, dass von ihnen übernommene Kliniken durch die Eingliederung in einen Konzernverbund häufig an Patientenvertrauen verloren. Ähnlich geht es im Musikbusiness zu, wo die Kundschaft peinlich genau zwischen "bösen" Majors und unabhängigen Kleinst-Labeln als Sympathieträgern differenziert.
Besondere Kommunikationsrisiken birgt der Aufstieg zum Marktführer. Wer durch das Zusammengehen mit einem Konkurrenten den Spitzenplatz innerhalb seiner Branche erlangt, muss fortan stellvertretend für seine Wettbewerber Rede und Antwort zu allen Branchenthemen stehen. Auch hier kommen durch eine Fusion also neue Herausforderungen auf die Unternehmenskommunikation zu, die im Vorfeld von M&A regelmäßig unterschätzt werden.
Ein weiteres Kommunikationsrisiko sind die eigenen Mitarbeiter: Der Wegfall von Managementebenen, die Umstellung auf neue Produkte und Produktionsprozesse, der Umzug an einen anderen Standort oder das Erlernen neuer Unternehmenssprachen oder -kulturen sorgen für Frustration, Ablehnung oder stillen Boykott. Noch immer sind geschasste Führungskräfte eine der wichtigsten Insider-Quellen für Medien. Wer bei einem Unternehmens-Zusammenschluss Fach- und Führungskräfte frustriert, liefert der Presse damit gleichzeitig erstklassige Quellen, die nicht selten sogar direkt aus der Vorstandsebene berichten.
Fazit: Wer einen M&A plant, sollte im Vorfeld sehr sorgfältig dessen Kommunikationsrisiken prüfen. Diese entsprechen in der Regel nicht der Schnitt- und auch nicht der Obermenge der bisherigen Issues der Einzelunternehmen. Und selbst wenn im Verlauf eines Mergers die größte Hürde genommen ist und die Gründe für den Zusammenschluss von Kunden und Öffentlichkeit akzeptiert werden, bleiben doch weiterhin offene Baustellen, die auch nach vielen Jahren noch unerwartet auftauchen können. Diese Erfahrung musste beispielsweise die MunichRe machen, die mit der Übernahme der ehemaligen Hamburg-Mannheimer Versicherung 2010 unwissentlich auch einen fulminanten Sex-Skandal aus deren Vergangenheit aufgekauft hatte, den 2011 das Handelsblatt aufdeckte ("Rauschende Sex-Party bei der Ergo-Versicherung"). Der Skandal kam zur Unzeit und konterkarierte wirksam eine gerade angelaufene Image-Kampagne.
Unlängst wurde ich zu einem Fall konsultiert, bei dem ein Unternehmen durch die Übernahme eines Wettbewerbers ebenfalls eine kommunikative Hypothek aus deren Firmen- und Produktgeschichte übernommen hatte: Der aufgekaufte Wettbewerber hatte auf einem Kernmarkt mit dem dortigen politischen Regime kooperiert. Für viele Kunden, aber auch für die wachsende Gruppe der ethisch investierenden Fonds wäre dies bei Bekanntwerden ein klares Ausschlusskriterium und der Anstoß zum Wechsel zu einem Wettbewerber. Diese tickende Zeitbombe für die Unternehmensreputation war im Vorfeld der strategischen M&A-Planungen nicht erkannt worden. Weil niemand nach ihr gesucht hatte.
Dr. Lorenz Steinke ist Journalist, Kommunikationsberater und Inhaber der PR-Agentur Kommunikation360. Von 2010 bis 2013 war er Pressesprecher bei der Deutschen Telekom, davor fast zehn Jahre Leitender Redakteur bei Axel Springer. Seine Schwerpunkte sind die Krisen-, Technik- und Wissenschaftskommunikation. Zuletzt erschien bei Springer Gabler sein Ratgeber "Kommunizieren in der Krise". Steinke ist Mitglied im Hamburger Presseclub, im Journalistennetzwerk Jonet sowie bei Mensa in Deutschland.
RiskNET Intensiv-Seminar "Krisenkommunikation in der Praxis"
Termin: 23.-24.04.2015
Ort: Schloss Hohenkammer bei München
Kommunikations- und Reputationsrisiken gewinnen im Informations- und Internetzeitalter immer stärker an Bedeutung. Schon ein einziger schlecht gemanagter Unternehmens-Skandal kann sich auf Jahre in der Bilanz niederschlagen. Spätestens nach dem zweiten Krisenereignis sind viele Unternehmen bereits insolvent. Eine gute Vorbereitung auf mögliche Krisenszenarien ist daher essentieller Bestandteil guter Unternehmensführung. Das Seminar vermittelt Werkzeuge für die präventive und akute Krisenkommunikation. Wie bereiten sich Unternehmen und Organisationen richtig darauf vor? Wie erfolgt in der Krise die Ansprache von Medien und weiteren Stakeholdern? Anhand zahlreicher Praxisbeispiele erläutert das Seminar die besonderen Herausforderungen der Krisenkommunikation und schärft den Blick für scheinbar unwichtige Details, die in einer Krise oft über Erfolg oder Misserfolg entscheiden.
Referenten:Dr. Lorenz Steinke, Frank Romeike