Geopolitische Krisen und Unwägbarkeiten

Konjunktur in der Schockstarre


Geopolitische Krisen und Unwägbarkeiten: Konjunktur in der Schockstarre Studie

Die deutsche Wirtschaft leidet unter einem schockbehafteten Umfeld, so die aktuelle Konjunkturprognose des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW). Neben den geoökonomischen Krisen strapazieren hartnäckige Kostenschocks sowie die globale Nachfrageschwäche. Die Weltwirtschaft legt in diesem Jahr mit 2 ½ Prozent nur schwach zu. Dies bekommt der deutsche Außenhandel zu spüren. Die allgemeine Wirtschaftsschwäche und steigende Zinsen halten die Investitionen weiterhin unter ihrem Vorkrisenniveau. Durch die kaum abgeschwächte Inflation wird der private Konsum zur Konjunkturbremse. Das reale BIP wird im Jahr 2023 um bis zu ½ Prozent unter dem Vorjahreswert liegen. Die Arbeitslosenquote wird auf gut 5 ½ Prozent steigen.

Von Schock zu Schock

Das geoökonomische Umfeld für die Unternehmen in Deutschland hat sich in den letzten Monaten nicht verändert. Der Kriegsschock hält an und ein Ende der russischen Invasion in der Ukraine ist derzeit nicht absehbar. Die Anspannungen mit China und die undurchsichtige geopolitische Position einer Reihe von Schwellenländern sorgen für Risiken hinsichtlich der Zugänge zu Rohstoffen und Energie sowie hinsichtlich effektiver globaler Lieferketten und wichtiger Absatzmärkte.

In Teilen haben sich die negativen Angebotsschocks infolge der Pandemie und des Ukraine-Kriegs zurückgebildet. Die damit einhergehenden Versorgungsrisiken und Preiseffekte haben seit Herbst letzten Jahres nachgelassen, die multiplen Kostenschocks und ihre Bedeutung für die internationale Wettbewerbsfähigkeit werden von der Mehrheit der Unternehmen jedoch als dauerhaft eingeschätzt. Während sich der Preisauftrieb auf der Konsumebene etwas entspannte, steht für die weitere Zinsentwicklung zunächst keine Entspannung in Aussicht. Die Unsicherheiten an den weltweiten Immobilienmärkten sorgen für zusätzliche Unwägbarkeiten an den Finanzmärkten. Hinzu kommen die konjunkturellen Folgen der nachlassenden Nachfrage. Sichtbar wird dies an den rückläufigen Auftragseingängen der Industrie und dem wiederkehrenden Pessimismus der Unternehmen.

Die deutsche Wirtschaft tut sich in diesem schockbehafteten Umfeld besonders schwer. Aufgrund ihres hohen Fokus auf die Weltmärkte und ihrer deshalb hohen Exportquote leidet sie überdurchschnittlich unter den geoökonomischen Schocks und der sich abschwächenden Weltwirtschaft. Mit ihrem im internationalen Vergleich hohen Industrieanteil und der Bedeutung von energieintensiven Industrien bekommt sie zudem die bestehenden Versorgungsrisiken und Kostenschocks stärker zu spüren.

Schwache Weltwirtschaft

Die Weltwirtschaft wird weiterhin geprägt von den geopolitischen Unwägbarkeiten und deren ökonomischen Folgen. Vor allem die Wachstumsdynamik beim Welthandel hat sich stark abgeschwächt. Im Mai 2023 lag dieser um 2,4 Prozent unter dem Vorjahresmonat. Die Einschränkungen im Handel mit Russland und strategische Umleitungen von Handelsströmen fordern ihren Tribut. Die Weltproduktion befindet sich seit dem Sommer 2022 in einer Seitwärtsbewegung. Die schwache Auslandsnachfrage trägt dazu bei, dass die Produktion in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften auf niedrigem Niveau verharrt. Für das Jahr 2023 wird ein Zuwachs bei der Weltproduktion von 2 ½ Prozent erwartet – das ist rund ein Prozentpunkt weniger als im Durchschnitt der letzten Dekaden. Der reale Welthandel wird in diesem Jahr nur um ein Prozent zulegen. Auch dies ist im Vergleich zu früheren Jahren sehr schwach.

Positive Wachstumsimpulse können im Verlauf des Jahres noch von den USA ausgehen. Das reale BIP der weltweit größten Volkswirtschaft ist in den ersten beiden Quartalen 2023 deutlich gewachsen, sodass ein „hard landing“ trotz der stark restriktiven Geldpolitik voraussichtlich nicht eintreten wird. Die Wirtschaftspolitik in den USA zeigt ihre Wirkung und hat vor allem in der Industrie zu einem Investitionsboom geführt. Das reale BIP wird in diesem Jahr um 1 ¾ Prozent zunehmen und die Wachstumsdynamik in den USA wird sich weiter von den trüben Aussichten in Europa abkoppeln.

Im Euroraum belasten die persistent hohen Inflationsraten, die verschlechterten Wettbewerbsbedingungen durch die Energiepreisschocks in der Industrie und die Verschiebungen von Investitionen in nicht europäische Länder die wirtschaftliche Entwicklung. Die Auswirkungen der restriktiven Geldpolitik dürften im zweiten Halbjahr 2023 weiterhin sichtbar werden, in jedem Fall schränken sie den fiskalischen Spielraum zunehmend ein. Ein starker Euro dämpft zwar den Export, nach einem Jahr historisch hoher Importpreise sollten aber von dieser Seite wieder Entlastungen eintreten. Für das Jahr 2023 wird ein moderates Wachstum im Euroraum in Höhe von ¾ Prozent erwartet.

In den Schwellenländern hatte die Produktion Anfang 2023 zunächst stark angezogen, sinkt aber seit März wieder. Ein wesentlicher Grund dafür ist der deutliche Abwärtssog in China. Die wirtschaftliche Erholung in der größten Ökonomie Asiens wird durch einen Einbruch im Immobilienmarkt, einer schwachen Exportnachfrage und einer sich abzeichnenden Deflation gebremst. Aufgrund des hohen statistischen Überhangs aus 2022 und des positiven Wachstums im ersten Halbjahr 2023 wird das reale BIP um fünf Prozent zulegen.

Rezessive Inlandsnachfrage

Die deutsche Volkswirtschaft leidet bei allen Nachfrageaggregaten. Der Konsum wird von der Inflation beeinträchtigt, die Investitionen werden vom allgemein schwachen Wirtschaftsumfeld und den höheren Zinsen belastet und der Außenhandel bekommt das schwache globale Umfeld deutlich zu spüren. Mit Blick auf die Wirtschaftsbereiche schlagen sich diese kumulativen Lasten besonders in der Industrie und der Bauwirtschaft negativ nieder. Die leicht expandierenden Dienstleistungsbranchen können diese Rückgänge nicht kompensieren. Damit wird die gesamtwirtschaftliche Leistung im Jahr 2023 zurückgehen und das reale BIP wird das Vorjahresniveau um bis zu ½ Prozent unterschreiten. Dieser Rückgang geht auf das Konto der rezessiven Inlandsnachfrage. Insgesamt ist somit seit Anfang 2022 keinerlei konjunkturelle Dynamik in Deutschland zu erkennen – und die Wirtschaftsleistung liegt zum Jahresende 2023 gerade einmal auf dem Niveau von Ende 2019. Nach den Rückgängen in den beiden Winterquartalen ging es im zweiten Quartal 2023 zumindest nicht weiter abwärts. Für die weiteren Quartale 2023 werden jeweils Rückgänge gegenüber dem Vorquartal prognostiziert.

Außenhandel: Die schwache weltwirtschaftliche Dynamik schlägt sich bereits seit geraumer Zeit in rückläufigen Auslandsaufträgen der deutschen Industrie nieder. Dies fällt zusammen mit einer deutlichen Verschlechterung der preislichen Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen im Gefolge der multiplen Kostenschocks. In diesem Kontext werden die realen Exporte im Jahr 2023 um ein Prozent unter ihrem Vorjahreswert liegen. Bei den Importen ist ein Rückgang von zwei Prozent zu erwarten. Dies reflektiert zum Teil auch den hohen Zuwachs im vergangenen Jahr. Infolge des stärkeren Rückgangs bei den Importen begünstigt der Außenbeitrag die konjunkturelle Dynamik.

Investitionen: Bei den realen Ausrüstungsinvestitionen wird für das Jahr 2023 ein Zuwachs von 3 ½ Prozent erwartet. Dies markiert im Wesentlichen die Normalisierung bei diesen Kapitalgütern nach der schlechten Entwicklung in den letzten drei Jahren. Die Ausrüstungsinvestitionen liegen damit immer noch um 1 ½ Prozent unter ihrem Niveau von 2019. Infolge der Baukrise wird das Vorkrisenniveau von 2019 bei den realen Bauinvestitionen in diesem Jahr erstmals merklich unterschritten. Die allgemein eingetrübte Wirtschaftsstimmung, hohe Kosten und steigende Zinsen führen dazu, dass die Bauinvestitionen in 2023 um 3 Prozent sinken.

Konsum: Infolge der kaum abgeschwächten Teuerung – für das Jahr 2023 wird eine Inflationsrate von rund 6 ½ Prozent prognostiziert (2022: 6,9 Prozent) – stellt der private Konsum eine erhebliche konjunkturelle Belastung dar. Dies liegt teilweise auch daran, dass vom Arbeitsmarkt kaum Impulse kommen. Die beachtlichen Lohnzuwächse sowie Zulagen und Transfers wirken dem Kaufkraftverlust jedoch in hohem Maß entgegen, sodass im Jahresdurchschnitt die realen Konsumausgaben den Vor- jahreswert nur um 1 ¼ Prozent unterschreiten.

Arbeitslosigkeit steigt leicht an

Für den Arbeitsmarkt werden im Jahresdurchschnitt 2023 knapp 45,9 Millionen Erwerbstätige erwartet. Das ist gut ½ Prozent mehr Beschäftigung als im Vorjahr. Zum Jahresbeginn 2023 startete die Erwerbstätigkeit bereits mit einem statistischen Überhang von +0,7 Prozent, weil der Dezemberwert deutlich über dem Jahresdurchschnitt von 2022 lag. Seit dem Jahresbeginn 2023 verlangsamte sich der Zuwachs aber und kam im zweiten Quartal nahezu zum Stillstand. Im zweiten Halbjahr 2023 geht die Erwerbstätigkeit voraussichtlich leicht zurück. Die Unternehmen sind zurückhaltender bei Neueinstellungen. Dies macht sich auch bei der Arbeitslosigkeit bemerkbar. Zwar sind keine größeren Entlassungen zu befürchten, aber Arbeitslose haben zunehmend Schwierigkeiten, eine neue Beschäftigung zu finden. Zusätzlich werden ukrainische Geflüchtete seit Sommer 2022 als arbeitslos registriert. Im Ergebnis nimmt die Anzahl der Arbeitslosen im Jahresdurchschnitt um 160.000 auf 2,58 Millionen zu. Die Arbeitslosenquote steigt auf gut 5 ½ Prozent.

Staatsverschuldung bleibt verkraftbar

Im Staatskonto fallen vor allem die Steuereinnahmen aufgrund der nun deutlich gedämpften Konjunkturaussichten niedriger aus als bisher prognostiziert. Gleichzeitig werden auf der Ausgabenseite des Staats die Kosten für die Strom- und Gaspreisbremsen voraussichtlich niedriger liegen als zunächst angenommen. Die steigenden Zinsausgaben stellen jedoch mittelfristig eine weitere Belastung für das Budget dar. Im Ergebnis liegt das prognostizierte Defizit für 2023 bei 97 Milliarden Euro oder knapp 2 ½ Prozent des BIP. Die Schuldenstandsquote kann dadurch im Jahr 2023 bei 65 Prozent stabilisiert werden und sollte bei einer weiteren Konsolidierung nach den Krisenjahren in Richtung des Maastricht-Kriteriums von 60 Prozent zurückgehen. Die derzeitige Staatsverschuldung kann in Anbetracht der wirtschaftlichen Umstände als verkraftbar gesehen werden.

 

[ Bildquelle Titelbild: Adobe Stock.com / Björn Wylezich ]
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