Die Konjunktur ist einer der wichtigsten Faktoren, die die Aktienmärkte beeinflussen. Ist sie gut, dann verdienen die Unternehmen ordentlich und die Aktienkurse gehen nach oben. Ist sie schlecht oder droht gar eine Rezession, dann gehen die Gewinne zurück und die Aktionäre müssen sich auf Rückschläge gefasst machen.
Bei einer Reihe von Kundengesprächen in der letzten Woche zeigten sich die Meinungen zu den konjunkturellen Aussichten sehr gespalten. Es gab viele, die nach wie vor auf eine stabile Entwicklung im Jahr 2019 setzen. Die Abschwächung, die wir im Sommer in Europa beobachteten, sei nur vorübergehend. Spätestens im nächsten Jahr werde es wieder nach oben gehen. Es gab aber auch andere, die skeptischer waren. Der Zyklus dauere jetzt schon so lange, dass ein Ende fällig sei (siehe Grafik). Es könnte daher im kommenden Jahr zu einer deutlichen Abschwächung, vielleicht sogar einer Rezession in Europa und Japan kommen.
Ende des Zykluses: Reales BIP in % yoy, Deutschland [Quelle: Bundesbank]
Wer hat recht? Das Vertrackte ist, dass beide Meinungen gleich gute Gründe anführen können. Die Optimisten verweisen darauf, dass es bisher keine größeren Ungleichgewichte im Aufschwung gebe. Die Nachfrage sei trotz aller Risiken stabil. Das gilt selbstverständlich für die USA, wo die Steuersenkung die Wirtschaft stark gestützt hat. In Europa ist es schwieriger. Aber auch hier wird die Finanzpolitik nach den Jahren der Austerität expansiver. Die Italiener wollen das Staatsdefizit nicht reduzieren, sondern eher ausweiten. In Frankreich gibt es – wenn auch nicht so krass – ähnliche Tendenzen. In Deutschland treten im nächsten Jahr Ausgabensteigerungen und Abgabensenkungen in Höhe von etwa EUR 19 Mrd. in Kraft.
Die Nachfrage in der Autoindustrie wird sich nach dem Einbruch im Herbst wieder erholen.
Hinzu kommt, dass die Zinsen niedrig und die Liquidität reichlich bleiben wird, selbst wenn die EZB wie angekündigt die Wertpapierkäufe zum Jahresende auslaufen lässt. Auch in den USA wird die Fed bei ihren Zinserhöhungen nicht riskieren, dass die Konjunktur darunter leidet.
Die Pessimisten verweisen dagegen auf die vielfachen politischen Risiken, die die wirtschaftliche Aktivität beeinträchtigen. Der Brexit lässt die Nachfrage aus Großbritannien weiter einbrechen. Die neuen Sanktionen der Vereinigten Staaten gegen den Iran treffen einen Markt, der nicht nur für die Deutschen immer wichtig war. Die bisherigen Handelsrestriktionen der Amerikaner haben Europa und Japan bisher zwar noch nicht stärker belastet. Wenn Trump aber Zölle auf deutsche Autos erheben sollte, wird es schwierig. In China hat sich das Wachstum bereits abgeschwächt.
Es gibt daneben auch interne Risiken. Die lange Phase einer stabilen Aufwärtsentwicklung mit Nullzinsen hat dazu geführt, dass die Risikoneigung größer geworden ist. Unternehmen und private Haushalte tätigen Investitionen oder Ausgaben, die sie früher für zu riskant gehalten hatten. Immer mehr Leute denken: In der Vergangenheit ist alles gut gegangen, warum soll es nicht auch in Zukunft so weiter gehen? In den Handelsräumen der Banken sitzen zunehmend Trader, die die große Finanzkrise nicht mehr erlebt haben. Das ist gefährlich.
Das Handelsblatt hat letzte Woche berichtet, dass in den Bilanzen deutscher DAX-Unternehmen fast EUR 300 Mrd. Goodwill enthalten sind, die durch verteuerte Unternehmensübernahmen entstanden sind. Daraus können schnell Abschreibungen und Verluste werden. Wie viele Immobilien sind in den letzten Jahren zu überhöhten Preisen erworben worden? Wie viele Investitionen sind nur wegen der niedrigen Zinsen rentabel? Banken haben in den letzten Jahren ihre Kreditstandards vielfach reduziert. Wenn sich die Konjunktur nur leicht verschlechtert oder die Zinsen nur wenig steigen, können in ihren Bilanzen erhebliche Non-Performing Loans entstehen.
Gleichzeitig sind in der Phase stabilen Wachstums notwendige Anpassungen in der Produkt- und Produktionsstruktur unterlassen worden. Siehe die deutsche Autoindustrie, die bei der Elektromobilität und der Batterietechnik zurückgefallen ist. Ähnlich die deutschen Banken. All das kann sich bei schwächerer gesamtwirtschaftlicher Entwicklung rächen.
Wer hat nun mit seiner Konjunktureinschätzung recht, die Optimisten oder die Pessimisten? Hier gibt es kein Richtig oder Falsch. Beides kann eintreten, beides ist gleich wahrscheinlich. Risikomanager entscheiden sich in solchen Fällen für die Mitte. Das ist zwar langweilig, gibt am Ende aber die vernünftigsten Ergebnisse. Es wird im nächsten Jahr also schlechter gehen als in diesem Jahr, aber keinen Absturz mit einer möglichen Rezession geben. Es ist Mittelmaß, in dem wir uns bei der Konjunktur bewegen. Die guten Fundamentalfaktoren sprechen dagegen, dass die Risiken schlagend werden.
Umgekehrt sorgen die Risiken dafür, dass die wirtschaftliche Aktivität nicht zu gut wird.
Ich rechne für Deutschland mit einem realen BIP-Wachstum von 1,5 Prozent für 2019, für den Euroraum mit etwas mehr, für Japan mit weniger (1 Prozent). In den USA wird es wegen der Nachwirkungen der Steuersenkung besser gehen (2,5 Prozent). China wird voraussichtlich mit 6,5 Prozent expandieren. Solche Raten hauen niemand vom Hocker, sind aber auch kein Grund zur Panik.
Unter diesen Umständen bleiben Aktien für den Langfrist-Investor die bevorzugte Anlageform. Sie werden keine großen Kursgewinne bringen, haben aber eine nach wie vor attraktive Dividendenrendite. Ziehen Sie sich wegen der Risiken aber wärmer an. Reduzieren Sie vor allem die Aktienquote (wenn Sie das noch nicht getan haben). Bleiben Sie in jedem Fall wachsam, wenn sich die Bedingungen verschlechtern. Ein Absturz kündigt sich nicht langsam an, sondern kommt – wenn er denn kommt – eher plötzlich wie aus dem Nichts.
Autor:
Dr. Martin W. Hüfner, Chief Economist, Assenagon Asset Management S.A.