Vor ein paar Tagen mailte mir ein New Yorker Hedge-fonds-Manager (mit dem ich mich ab und zu austausche) voller Mitgefühl: "Don't worry about the Greeks. They will just do fine. It's the Germans who need our sympathy." Die Fronten im Streit in der Währungsunion haben sich verschoben. Manchmal sieht es so aus, als seien es nicht mehr die Griechen, die an den Spannungen schuld sind, sondern die Deutschen. Und zwar nicht, weil sie nicht für die Griechen zahlen wollen, sondern weil sie angeblich eine falsche Wirtschaftpolitik betreiben. Als Ökonom, der die Anpassungen der Bundesrepublik in den letzten Jahren im Grundsatz begrüßt hat, fühle ich mich in einer etwas merkwürdigen Situation. Haben wir da doch etwas falsch gemacht?
Natürlich geht es in der Debatte nicht nur um sachliche Argumente. Es ist vor allem ein Pokern um öffentliche Mittel für die Griechen. Da klingt es natürlich besser, wenn die französische Finanzministerin den Deutschen eine falsche Wirtschaftspolitik vorwirft, als wenn Athen über mangelnde Reparationszahlungen aus dem Zweiten Weltkrieg klagt. Es geht aber nicht nur um Geld. Dahinter steht ein grundsätzliches Problem der Konstruktion der Europäischen Währungsunion.
Unterschiedliche Ansätze der Wirtschaftspolitik gibt es immer. In einer Währungsunion geht es nicht darum, sie als richtig oder falsch zu klassifizieren. Die Kunst ist es, die Positionen so zu kanalisieren, dass sie nicht zur Spaltung führen, sondern zu einer gemeinsamen Lösung. Im Euroraum ist das bei der Geldpolitik hervorragend gelungen. Alle Mitglieder haben ihre geldpolitische Souveränität an die Europäische Zentralbank abgegeben. In Frankfurt treffen sich die nationalen Notenbanken alle zwei Wochen und beschließen die gemeinsame Politik. Dabei gibt es natürlich auch Meinungsverschiedenheiten. Sie werden aber diskutiert und münden in einen Kompromiss, dem alle zustimmen müssen.
Nun hängt die Stabilität der Währungsunion aber nicht nur von der Geldpolitik ab. Das wird gerade in diesen Wochen deutlich. Auch die Fiskal- und Wirtschaftspolitik spielen eine Rolle. Hier ist die Koordination der unterschiedlichen nationalen Konzepte aber bei weitem nicht so gut gelungen.
Im Prinzip könnte man es hier so wie bei der Geldpolitik machen: Man schafft eine Wirtschaftsregierung, in der Vertreter der nationalen Regierungen über eine gemeinsame Politik für die Union entscheiden. Die Nationalstaaten übertragen diesem Institut ihre eigene Souveränität. Die operative Ausführung der Politik kann dann durchaus bei den nationalen Regierungen liegen. So wie es in vielen Nationalstaaten gehandhabt wird.
Das wäre die sauberste Lösung. Sie ist jedoch bei der Fiskal- und Wirtschaftspolitik viel schwerer zu realisieren. Zum einen würde dadurch das Budgetrecht der nationalen Parlamente ausgehebelt. Das aber ist ein Kernstück der parlamentarischen Demokratie. Zum anderen berührt die Fiskal- und Wirtschaftspolitik – mehr als die Geldpolitik – essentielle Interessen der Regierungen und der Wähler. Wie viel Geld steht für die Sozialausgaben zur Verfügung, was bekommen Schulen und Universitäten und wie viel wird für Straßen und Brücken ausgegeben? Diese Entscheidungen will, jedenfalls derzeit, keiner der EU überlassen. Die Europäische Zentralbank ist darüber sicher auch nicht ganz unglücklich. Sie bekäme sonst eine Institution an die Seite gestellt, die ihre Unabhängigkeit gefährden könnte.
Daher hat man sich bei der Einführung des Euro gegen eine Wirtschaftsregierung entschieden. Die unterschiedlichen wirtschaftspolitischen Konzepte werden nicht in gemeinsamer Runde zusammengeführt und entschieden. Es gibt vielmehr nur eine lose Koordination. Sie geschieht in den monatlichen Treffen der Eurogruppe der Finanzminister. Gleichzeitig gibt es Leitplanken, die krasse Fehlentwicklungen vermeiden sollten. Das sind die Maastricht-Kriterien für die Höhe der öffentlichen Defizite (nicht mehr als 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts) und der Gesamtverschuldung (nicht mehr als 60 Prozent).
Es war von vornherein klar, dass ein solches System nur eine zweitbeste Lösung sein kann. Ein Nachteil ist, dass die Leitplanken asymmetrisch konstruiert sind. Sie begrenzen nur die Defizite, nicht aber die Überschüsse. Dadurch ergibt sich eine in der Tendenz deflationäre Grundstruktur. Ein anderer Nachteil ist, dass man die Wirkung unterschiedlicher Wirtschaftspolitiken immer erst sieht, wenn die Ungleichgewichte entstanden sind, das Kind also schon in den Brunnen gefallen ist. Bei unterschiedlichen Geldpolitiken zeigen sich die Effekte immer schon in Sekundenschnelle an den Märkten. Ein dritter ist, dass in diesem System die größeren Länder mehr Einfluss haben als die kleineren. Es ist hier so wie im richtigen Leben. Wenn zwei so unterschiedliche Länder wie Griechenland und Deutschland in derselben Gemeinschaft sind, dann muss sich schon allein wegen der Größe Griechenland an Deutschland anpassen und nicht umgekehrt. Damit ist Ärger vorprogrammiert. In der EZB ist das anders. Dort wird nach Köpfen abgestimmt.
Was wir jetzt erleben ist die logische Konsequenz dieses Systems. Eine solche Auseinandersetzung war zu erwarten. Sie ist, wenn keiner es darauf anlegt, keine Katastrophe. Überraschend ist eher, dass sie in der bisherigen Geschichte des Euro so selten vorgekommen ist. Die Deutschen sollten sich nicht beklagen. Sie haben sich selbst gegen die Wirtschaftsregierung ausgesprochen. Sie sind es auch, die am meisten von dem derzeitigen Modell profitieren. Jetzt müssen sie auch mal Kritik aushalten.
Wer diesen Streit nicht will, muss für eine Wirtschaftsregierung eintreten. Sie wäre besser und logischer als alles, was derzeit als Ersatzlösung diskutiert wird (Europäischer Währungsfonds, Ausschlussklauseln für einzelne Mitglieder, Aufhebung des "Bailout"-Verbots etc.). Es ist bemerkenswert, dass sich die Fronten in der Frage der Wirtschaftsregierung in letzter Zeit etwas gelockert haben. Vor allem die deutsche Bundeskanzlerin zeigte sich zuletzt etwas aufgeschlossener. Man sollte das aber nicht überinterpretieren. Wir sind noch meilenweit davon entfernt, Souveränität an eine Wirtschaftsregierung abzugeben.
Autor: Dr. Martin W. Hüfner, Chief Economist, Assenagon Asset Management S.A.
[Bildquelle: iStockPhoto]
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