Die Rahmenbedingungen für die Versicherungswirtschaft in Europa sind aufgrund von Solvency II derzeit einem raschen, tief greifenden Veränderungsprozess unterworfen. Versicherungsunternehmen sind mit wachsenden regulatorischen Anforderungen konfrontiert, die sich insbesondere auf das Risikomanagement konzentrieren. Eine gemeinsame Studie von KPMG und der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg zeigt, wie deutsche Versicherungsunternehmen die Auswirkungen von Solvency II einschätzen, welchen Stand das Risikomanagement erreicht hat und welche Veränderungen erwartet werden. Die Studie enthält eine detaillierte Auswertung der Antworten auf mehr als 60 Fragen. Insgesamt nahmen 83 Versicherungsunternehmen aus den Bereichen der Schaden- und Unfallversicherung (inkl. Rechtsschutz), der Lebens-, Kranken- und Rückversicherung sowie der Pensionskassen und -fonds mit einem Bruttobeitragsaufkommen von über 50 Mrd. Euro teil.
Betriebswirtschaftlicher Nutzen und wirtschaftliche Chancen
Wachsende regulatorische Anforderungen sind ein Treiber für die Weiterentwicklung des Risikomanagements, allerdings nicht der wichtigste. Viele Versicherungsunternehmen erwarten vom Ausbau und der Intensivierung ihrer Risikomanagementaktivitäten betriebswirtschaftlichen Nutzen und wirtschaftliche Chancen. Je umfassender hochwertige Informationen aus dem Risikomanagement in Unternehmensprozessen verwendet werden, umso eher erwächst ein Wettbewerbsvorteil - so die Erwartung vieler Versicherungsunternehmen.
Dr. Peter Ott (Partner bei KPMG) und Ludger Dorenkamp (Director bei KPMG) betonen, dass Risikomanagement bei Versicherungsunternehmen nicht allein der Erfüllung aufsichtsrechtlicher Anforderungen dienen sollte. Vielmehr könne ein ausgewogenes, auf die individuellen Belange des jeweiligen Versicherungsunternehmens abgestimmtes Risikomanagement einen wichtigen Beitrag zur effizienten Nutzung der Kapitalressourcen leisten.
In vielen Bereichen sehen sich die befragten Versicherungsunternehmen für Solvency II bereits gut gerüstet, so zum Beispiel bei den Themen Risikobewusstsein und Risk Governance. An anderen Stellen sind Verbesserungspotenziale sichtbar, etwa in Hinblick auf die Entwicklung von Mitarbeiter-Know-how oder die Einführung von Frühwarnsystemen für operationale Risiken. Generell ist im Bereich der Risikomessung und -steuerung Entwicklungsbereitschaft sichtbar. Prof. Dr. Dietmar Pfeifer von der Universität Oldenburg sieht in diesem Zusammenhang eine wachsende Bedeutung mathematisch-statistischer Verfahren zur Modellbildung.
Benchmarkstudie Solvency II kam bereits zu ähnlichen Ergebnissen
Die im Jahr 2006 vom Risikomanagement-Wissenspool RiskNET in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Matthias Müller-Reichart, Lehrstuhlinhaber für Risikomanagement des Studiengangs Versicherungsmanagement / Financial Services an der Fachhochschule Wiesbaden erstellte Benchmarkstudie kam bereits zu analogen Ergebnissen. Grundlage der Analyse waren 120 detaillierte Online-Fragebögen, die von Vorständen und Risikomanagern der Assekuranz in Deutschland, der Schweiz und in Österreich ausgefüllt wurden, sowie 17 vertiefende Interviews mit Vorständen und Risikoverantwortlichen aus der Branche. Thomas Steffen, Erster Direktor Versicherungsaufsicht bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleitungsaufsicht (BaFin), und Bernhard Schareck, Präsident des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft, haben für die Studie ein Vorwort verfasst.
Ähnlich wie die Basel-II-Vorgaben in der Bankenbranche sollen die Solvency-II-Regularien dafür sorgen, dass Versicherungen ihr Risikomanagement verbessern. Versicherer müssen ihre Risikostruktur und Solvabilität transparenter gestalten. Versicherte werden vor Kapitalverlust geschützt.
Benchmarkstudie: Risikomanagement als Werttreiber wahrgenommen
Die Studie zeigt, dass Risikomanagement immer deutlicher als Werttreiber wahrgenommen wird: 94 Prozent der Befragten stimmen der Aussage zu, dass ein intelligentes Risikomanagement einen Wettbewerbsvorteil darstellt, und wollen bei ihren Implementierungsbemühungen sogar über das von Solvency II geforderte Mindestmaß hinausgehen. Zugleich macht die Studie deutlich, dass Solvency II einen Paradigmenwechsel in der betriebswirtschaftlichen und prozessualen Steuerung auslösen wird. Die stärksten Veränderungen werden dabei im Asset-/Liability-Management erwartet; 64 Prozent der Befragten rechnen damit, dass Solvency II hier einen "sehr hohen Einfluss" haben wird. Bei der Unternehmenssteuerung rechnen 50 Prozent mit einem "sehr hohen Einfluss", bei der Kapitalanlagepolitik sind es 34 Prozent. Kontrovers wird die Frage diskutiert, inwieweit sich die Versicherer an Standardmodellen orientieren sollen. Nicht für alle Versicherer ist es offensichtlich, dass ein Standardmodell als pauschale, faktorbasierte Durchschnittsbetrachtung niemals die individuelle Risikosituation eines Versicherers abbilden kann – ja sogar Risiken systematisch ausblendet.
Download: KPMG-Studie "Risikomanagement und Solvency II bei Versicherungsunternehmen":
Weitere Informationen zur RiskNET-Benchmarkstudie "Solvency II: Status Quo und Erwartungen" finden Sie hier