Die wichtigste Botschaft, die ich von der Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank vorherige Woche in Tokio mitgenommen habe: Die Stimmung auf den Weltfinanzmärkten ist nicht nur vereinzelt, sondern insgesamt deutlich besser geworden. Im sechsten Jahr der Finanzkrise ist das Glas ist nicht mehr halbleer, sondern halbvoll. Die Gründe dafür liegen zum einen in der Besserung in Europa (das wussten wir), zum anderen in der Erholung des amerikanischen Häusermarkts. Banken verdienen dort wieder Geld mit Hypotheken.
Natürlich kann es noch zu Rückschlägen kommen. Die Banken in den Industrieländern brauchen Kapital und müssen ihre Bilanzsummen zurückfahren (Institute in den Schwellenländern strotzen dagegen vor Kraft). Das Wirtschaftswachstum ist schwach. Die niedrigen Zinsen und die hohe Liquidität auf den Märkten belasten Banken, Versicherungen und Asset Manager. Die Staatsverschuldung muss reduziert werden. Aber diese Gefahren sind bekannt. Politik und Märkte haben sich vorbereitet. Sie wissen, was auf dem Spiel steht. Ein amerikanischer Chefvolkswirt sagte: Die Lehman-Pleite war für die Weltfinanzmärkte ein gemütlicher Sommerspaziergang im Vergleich mit dem, was bei einem Zusammenbruch des Euros drohen würde. So etwas will jeder verhindern.
Auch zu Einzelthemen gab es interessante Aspekte. Zur Konjunktur: Es gibt keine Rezessionsstimmung, auch wenn der IWF seine Prognosen für 2013 nach unten revidiert hat. Expansive und restriktive Faktoren halten sich die Waage. Was die Konjunktur stützt, sind lagerzyklische Bewegungen, die Geldpolitik sowie zusätzliche Investitionsprogramme in China. Dagegen steht die restriktive Fiskalpolitik. Wenn sich die Lage in Europa wirklich schon im nächsten Jahr stabilisieren sollte, kämen von dort positive Konjunkturimpulse.
USA: Was für mich in dieser Dimension neu war (und ich auch nicht einschätzen kann): Amerikaner berichten, dass ihr Land vor einem Energie-Boom in den nächsten Jahren steht. Dank neuer Fördertechniken (unter anderem Fracking) werden die Öl- und Gaspreise in dem Land deutlich sinken. Das könnte ein neuer Push für die US-Wirtschaft sein und sie unabhängiger von Importen machen. Auch die Weltenergiemärkte müssen neu bewertet werden.
Das dominierende Thema in den USA ist freilich nach wie vor der "Fiscal Cliff", das heißt die Tatsache, dass nach gegenwärtiger Gesetzeslage die Steuern am Jahresende erhöht und die Ausgaben gesenkt werden müssen. Jeder rechnet damit, dass es dazu nicht kommen wird, sondern dass die Politiker am Ende doch einen Kompromiss finden.
China: Die Änderungen in dem Land gehen weit über das hinaus, was am Anfang vermutet wurde. Das Modell des exportgetriebenen Wachstums steht nicht nur auf der Kippe. Auch der Wechselkurs ist inzwischen nicht mehr überbewertet. Seit einem Jahr hat die chinesische Zentralbank per Saldo nicht mehr an den Devisenmärkten interveniert und keine weiteren Reserven akkumuliert. Das Reich der Mitte bekommt per Saldo auch keine Kapitalzuflüsse aus dem Ausland mehr, die helfen können, inländische Investitionen zu finanzieren. Wenn es die Kapitalverkehrskontrollen aufheben sollte – was auf die Dauer Voraussetzung dafür ist, dass der Renminbi eine internationale Reservewährung wird – dann ist zu befürchten, dass es netto zu Kapitalexporten kommt.
Das ändert die Angebots-/Nachfrageverhältnisse auf den Weltkapitalmärkten. Peking wird in Zukunft nicht mehr der "reiche Onkel" aus dem Fernen Osten sein, der bei Kapitalknappheit einspringt.
Asean-Länder in Südostasien: Hier ist die Welt noch in Ordnung. Das gesamtwirtschaftliche Wachstum ist hoch (5,5 %). Es wird durch die Abschwächung in China nicht beeinträchtigt. Die Philippinen mausern sich zu einem Star der Region.
Das europäische Modell: Jeder denkt beim Thema Asien nur an hohe Wachstumsraten und wirtschaftliche Dynamik. In dieser Hinsicht sehen die Europäer (auch die Amerikaner) alt aus. Ganz anders in politischer Hinsicht. Asien ist in seiner Region noch weit von einer stabilen Friedensordnung entfernt. Die Spannungen haben in diesem Jahr eher noch zugenommen. Siehe zuletzt die erbitterten Auseinandersetzungen zwischen China und Japan über einige unbedeutende Inseln im chinesischen Meer (die mich ein bisschen an deutsch-französische Konflikte im 19. Jahrhundert erinnern, nur dass hier viel größere Länder betroffen sind; es ist aber genauso ernst und es steht genauso viel Nationalbewusstsein dahinter). Manch einer beneidet die Europäer wegen der erreichten politischen Stabilität.
Japan war für manchen ein "Aha"-Erlebnis: Eigentlich wollte niemand dorthin. Tokio ist teuer. Es liegt weit weg von den westlichen Finanzzentren. Niedriges Wachstum, Deflation und hohe Staatsverschuldung sind nichts, wonach man sich sehnt. Das Überraschende jedoch: Es sieht in Tokio gar nicht nach dem berühmten "verlorenen Jahrzehnt" aus. Die Geschäfte sind voll. Es wird gebaut.
Die Menschen arbeiten, sind freundlich und hilfsbereit. Das Pro-Kopf-Einkommen ist hoch. Die Schlussfolgerung: Ein Land kann auch mit wenig Wachstum leben. Wachstum macht Strukturwandel und Anpassung an neue Gegebenheiten zwar leichter (deshalb tut sich Japan damit außerordentlich schwer). Es macht die Menschen aber nicht glücklicher. Die hohe Selbstmordrate in dem Land hat weniger wirtschaftliche als religiöse und kulturelle Gründe.
Autor: Dr. Martin W. Hüfner, Chief Economist, Assenagon Asset Management S.A.
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