"Crisis? What Crisis?" ist ein Werk der Band Supertramp aus dem Jahr 1975, das seinerzeit kaum Anklang fand. Weltweit bekannt wurde Supertramp erst vier Jahre später mit dem Werk "Breakfast in America". Auch wenn die Gruppe heute etwas in Vergessenheit geraten ist, prägte sie mit ihren Songs damals eine ganze Generation.
Dass Supertramp jetzt als Pate für den Titel des aktuellen Credit Compass herhalten muss, ist aber nicht nur ein später Ausdruck von musikalischer Wertschätzung. Angesichts der Großwetterlage an den weltweiten Börsen drängt sich der Vergleich derzeit aber auch geradezu auf. Denn der amerikanische Leitindex Dow Jones markierte jüngst mit 15.387 Zählern ein neues Allzeithoch, noch über der bisherigen Bestmarke von 14.165 Punkten aus dem Jahr 2007 – dem Jahr, in dem die verheerende Finanzkrise ihren Lauf nahm. Anders ausgedrückt, zwischen dem heutigen Schlusskurs und dem Krisentiefststand vom 9. März 2009 liegen beeindruckende 8.843 Zähler – der Index hat sich in vier Jahren also mehr als verdoppelt. Das ist an sich schon bemerkenswert, denn obgleich nennenswerte Fortschritte zu verzeichnen sind, gelten viele von der Finanzkrise verursachten Probleme als noch immer nicht gelöst. Und auch im historischen Vergleich ist die kurze Zeitspanne, die die Aktienmärkte zur Erholung benötigten, einzigartig. Nach der großen Depression, die in den USA dem Börsen-Crash vom Schwarzen Donnerstag des 24. Oktobers 1929 folgte, brauchte der Dow Jones immerhin Jahrzehnte, um die erlittenen Verluste wieder wettzumachen.
Abb. 01: Unbeeindruckt – Dow Jones im Höhenflug [Quelle: Bloomberg]
Dabei scheinen die Aktienmärkte zumindest in Europa den wirtschaftlichen Fundamentaldaten, die einfach nicht richtig in Schwung kommen wollen, vorausgelaufen zu sein. Das Wirtschaftswachstum der Eurozone im ersten Quartal des Jahres fällt mit einem Rückgang von 0,2 Prozent zwar besser aus als das Vorquartal. Gleichzeitig hält die Rezession damit seit nunmehr sechs Quartalen in Folge an – und unter-streicht so die Bedenken der Gegner von Sparsamkeit und fiskalischer Zurückhaltung. Dagegen sehen die Verfechter der "Eher-halbvoll-als-halbleer"-Theorie in den Daten vor allem eine ermutigende Verlangsamung der Geschwindigkeit, mit der die europäischen Staaten tiefer in die Rezession rutschen. Die freundliche Stimmung an den Finanzmärkten lässt den Schluss zu, dass die Hoffnung auf eine wirtschaftliche Erholung klar überwiegt – auch wenn mit dieser schon früher gerechnet wurde.
"Tapern" – die Fed auf dem Rückzug?
Entscheidender allerdings als die konjunkturelle Entwicklung ist für die Anleihemärkte zweifelsohne die Geldpolitik der weltweiten Zentralbanken. Eine weitere Zinssenkungsrunde der EZB, die am 2. Mai 2013 ihren Leitsatz um 0,25 Prozent auf nunmehr 0,5 Prozent senkte, signalisiert weithin die Bereitschaft der europäischen Notenbanker, es ihren amerikanischen und japanischen Amtskollegen gleichzutun und zugunsten der Wirtschaftstätigkeit zu intervenieren.
Abb. 02: Die Luft ist raus – Leitzinsen auf Tiefststand [Quelle: Bloomberg]
Dennoch ist das Bild für länger laufende Renditen von Bundesanleihen und amerikanischen Treasuries uneinheitlich. Denn derzeit gilt die ganze Aufmerksamkeit der Marktteilnehmer der Diskussion um das "Tapern". Gemeint ist damit, dass sich die amerikanische Fed angesichts des zarten, aber spürbaren Aufschwungs in den USA langsam aber sicher von ihrem Wertpapierkaufprogramm verabschieden könnte. Dass die Debatte von verschiedenen Mitgliedern der US-Notenbank so öffentlich geführt wird, wird von vielen Ökonomen als sicheres Zeichen einer behutsamen Vorbereitung der Finanzmärkte auf steigende Zinsen interpretiert. In der Folge zogen die Renditen der US-Treasuries zuletzt wieder an und setzen sich deutlich von den Bundesanleihen ab. Schon rufen Legenden wie Bill Gross von Pimco oder Warren Buffet von Berkshire Hathaway das Ende der goldenen Ära der Anleihen aus und sprechen von der Gefahr, dass die Bond-Blase platzen könnte. Darauf reagieren die Finanzmärkte vorhersehbar verschnupft.
Abb. 03: Abgesetzt – Treasuries rentieren höher [Quelle: Bloomberg]
Doch nicht wenige warnen vor einer verfrühten Panikmache und verweisen darauf, dass die Zentralbanken notfalls die Zinsen auch für längere Zeit auf dem jetzigen niedrigen Niveau belassen werden. Und falls nicht, muss das noch lange keine Beben an den Aktienmärkten verursachen. Für Anleiheinvestoren sieht die Sache dagegen anders aus: Steigende Zinsen sind Gift für die Bond-Kurse und können schnell zu empfindlichen Verlusten führen. Doch welcher Indikator ist nun geeignet, um die nächste Zinsentscheidung zu antizipieren? Etwa die Arbeitslosigkeit in den USA, an die der dortige Leitzins gekoppelt ist? Oder die Inflation, nachdem Japan sich ein Preissteigerungsziel von 2 Prozent verordnet hat? Oder doch ganz klassisch das Wirtschaftswachstum? Mit dem Dilemma stehen Anleger nicht allein da, denn einerseits geben die sinkenden Inflationsraten den Zentralbanken den Raum, die geldpolitischen Zügel zur gezielten Stimulierung der Wirtschaftstätigkeit und damit zur Senkung der Arbeitslosigkeit weiter zu lockern. Doch schon meldet sich der Internationale Währungsfonds zu Wort und verweist in einer Studie auf die Risiken einer zu expansiven Geldpolitik bei gleichzeitig lahmender Wirtschaft. Denn damit die immense Liquiditätsschwemme, die ja zu einer sichtbaren Asset-Preisinflation führt, auch auf die Preise von Konsumgütern von Dienstleistungen durchschlägt, müssen diese erst einmal verstärkt nachgefragt werden und genau daran hängt es. Und dass der monetäre Impuls seine Wirkung nicht wie erhofft entfaltet, sehen auch die EZB und ihr Vorsitzender Mario Draghi so und suchen händeringend nach zielführenden Alternativen, die über die Senkung der Leitzinsen hinausgehen. Von all diesen Initiativen profitierten bisher insbesondere Credit Spreads. So weisen Kreditderivate ebenso wie Anleihen mit höherem Bonitätsrisiko seit Jahresbeginn erneut eine sehr erfreuliche Wertentwicklung auf.
Es spricht viel dafür, dass uns die derzeit ausgesprochen unübersichtliche, aber für kreditrisikobehaftete Investments recht vorteilhafte Gesamtsituation wohl noch einige Zeit erhalten bleibt. Denn das Risiko von Refinanzierungsproblemen und eines dadurch bedingten plötzlichen Liquiditätsengpasses ist für die meisten Unternehmen aufgrund der großen Nachfrage nach Unternehmensanleihen derzeit gering. Die operative Entwicklung der Firmen im ersten Quartal gibt zwar überwiegend keinen Anlass zu Luftsprüngen. Aber im Gegensatz zum Aktionär reicht dem Gläubiger eine verlässliche Zins- und Anleiherückzahlung. Genau das geben die Zahlen in den allermeisten Fällen her – zumindest derzeit noch.
Gold-Crash gibt Rätsel auf
Bei der Beurteilung der konjunkturellen Aussichten ist unlängst ein sonst etwas vernachlässigtes Barometer für Inflationserwartungen und Risikoaversion in den Vordergrund gerückt. Der weithin beachtete, erdrutschartige Kurssturz des Goldes, das – ähnlich wie Immobilien – als Anti-Inflationswährung gilt, sorgt für Gesprächsstoff. Bislang hatte die Angst vor einer liquiditätsinduzierten Hyperinflation zu einem dramatischen Preisanstieg des gelben Edelmetalls geführt, doch diese Sorge erscheint nun unbegründet und mindert so die Attraktivität des Goldes als sichere Anlageform.
Abb. 04: Abgestürzt – der Glanz des Goldes verblasst [Quelle: Bloomberg]
Auch kommt die jüngste Ankündigung des finanziell klammen Zyperns, den hauseigenen Goldvorrat zur Schuldenreduzierung veräußern zu wollen, aufgrund des geringen Bestandsvolumens für eine Erklärung des Crashs nicht in Frage. Es sei denn, andere Länder mit vergleichbaren Schuldenproblemen ziehen diese Vorgehensweise ebenfalls in Erwägung oder bekommen dies gar von deren Kreditgebern nahegelegt. Das hätte dann Folgen. Denn zu einer stagnierenden Nachfrage und immens gestiegenen Produktionskosten käme dann noch ein dramatischer Angebotsüberhang hinzu. Dass Zypern hier einen Stein ins Rollen brachte, ist also nicht gänzlich von der Hand zu weisen. Mit dem Goldverkauf steht Zypern ein weiteres Mal für einen Tabubruch.
Denn auch die jüngste Beschränkung des freien Kapitalverkehrs ist eine für das liberale Europa, das vor allem auf der Idee des freien Handels, Waren- und Kapitalverkehrs fußt, eine geradezu unerhörte Angelegenheit. Dieser Eingriff in das Finanzsystem, auch als Transferrisiko bekannt, war im vergangenen Jahrhundert ein vor allem, aber nicht nur, in Entwicklungsländern zu beobachtendes Problem. Zwar gilt die Eurozone trotz aller Schuldenprobleme nicht als Entwicklungsland und Zypern ist auch nur ein kleiner, aus Finanzmarktsicht am Ende sogar unbedeutender, Teil des Gesamtkonstruktes. Doch was bleibt, ist Verunsicherung darüber, ob die hier getroffenen Maßnahmen zur Krisenbekämpfung am Ende als Blaupause dienen könnten. Der holländische Finanzminister Jeroen Dijsselbloem, in seiner Rolle als Vorsteher der Eurogruppe bei den Verhandlungen mit Zypern über die Konditionen eines Rettungspaketes, äußerte sich jedenfalls bezüglich der Haftung von Bankeinlagen mit genau diesen Worten. Dabei sind sich die Experten uneins, ob die Verlustbeteiligung von Sicht- und Spareinlagen ab einer bestimmten Höhe wie in Zypern praktiziert nun als Reichensonderabgabe oder als sogenanntes "Bail in", bei dem jeder Anleger für die Misere seines Bankinstituts haftet, tituliert werden soll.
Den betroffenen Sparern wird es am Ende gleich sein, den auf Refinanzierung über direkte Einlagen angewiesenen Banken dagegen nicht. Denn nachdem die Finanzmärkte sich zuletzt jedoch weniger schockanfällig zeigten, wurde seitens der Regierenden mehr Mut gefordert, Steuerzahler von den Kosten der Bankenrettung, die diese nicht zu vertreten haben, zu entlasten. Naheliegend seien solche Kosten dafür den Anlegern aufzubürden, die bislang auch von höheren Zinsen ihrer Einlagen profitierten.
Zypern und der Tag danach
Zwar schossen die Kreditrisikoprämien von Anleihen der globalen Finanzinstitute nach der Ankündigung der Einlagenhaftung im Falle der zypriotischen Banken zunächst in die Höhe, auch europäische Bankaktien gerieten erheblich unter Druck. Die Angst vor einem massenweisen Abzug von Spareinlagen, insbesondere in den europäischen Peripherieländern, erwies sich jedoch als unbegründet, daher setzte die Erholung der Finanztitel bereits nach einem kurzen Schreckensmoment wieder ein. Wie am CDS Spread und Aktienkurs der italienischen Großbank Intesa Sanpaolo ablesbar ist, messen Marktteilnehmer derzeit also dem Beispiel Zyperns kein nennenswertes Bedrohungspotenzial zu.
Abb. 05: Schreckgespenst – Zypern verschreckt Anleger [Quelle: Bloomberg]
Das könnte auch daher kommen, dass derselbe holländische Finanzminister, der so unverblümt die Verlustbeteiligung der Sparer in Zypern forderte, nur wenige Wochen zuvor bei der Verstaatlichung der größten niederländischen Hypothekenbank vor der Haftung der Bankeinlagen zurückschreckte. Bei der Nationalisierung der systemrelevanten SNS Reaal Bank wurden Aktien sowie Nachranganleihen wertlos ausgebucht – deren Investoren also faktisch enteignet.
Sichteinlagen sowie erstrangige unbesicherte Anleihen dagegen blieben unangetastet. Das holländische Finanzministerium führte als Begründung für diese höchst ungewöhnliche und rechtlich fragwürdige Vorgehensweise an, dass eine Verlustbeteiligung von hoch in der Kapitalstruktur der Bank angesiedelten Gläubigern nur dazu geführt hätte, dass sich die Finanzinstitute des Landes nicht mehr am Kapitalmarkt hätten refinanzieren können. Die inkonsistente Vorgehensweise verlangt eine Interpretation. Während zum jetzigen Zeitpunkt wohl ausgeschlossen werden kann, dass das zypriotische Enteignungsmodell aufgrund der damit verbundenen Folgen bei systemrelevanten Finanzinstituten in Ländern wie Spanien, Italien oder Portugal herangezogen werden könnte, bleibt doch festzuhalten, dass die gegenwärtigen politischen Diskussionen auch diese Überlegung mit einbeziehen. Naheliegend zeigen sich die portugiesischen Großbanken, unter ihnen die Banco Espirito Santo und Millennium BCP, besorgt über die möglichen Folgen dieser Diskussion.
Denn trotz der deutlich verschärften Anforderungen bezüglich der Mindestkapitalanforderungen und des hierfür qualifizierenden Kapitals wie sie etwa in Basel III geregelt sind, bleiben Banken im Vergleich zu ihrer Bilanzsumme chronisch unterkapitalisiert. In diesem Zusammenhang wird auch die Bemessung der Kapitaldecke auf Nominalbasis der Aktiva gefordert und nicht, wie gegenwärtig praktiziert, an modellbasierten Risikogewichten wie diese von Basel II vorgegeben werden. Die sogenannten Risikoaktiva (Risk Weighted Assets, kurz RWA) stehen dabei im Ruf, das wirtschaftliche Risiko von Kreditverlusten möglicherweise nachhaltig zu unterzeichnen und so auch einer der Ursachen für die Bankenkrise der letzten Jahre zu sein. Es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass im Falle einer Bankeninsolvenz überwiegend nur unwesentliche Unterschiede zwischen der Verwertungsquote von erstrangigen und nachrangigen Gläubigeransprüchen festzustellen sind. Anders stellt sich dies bei einem Going Concern dar, bei dem Teile des Fremdkapitals entweder abgeschrieben oder gegebenenfalls in Aktien umgewandelt werden. Die Renditedifferenz von erstrangigen zu nachrangigen Anleihen, sichtbar auch durch die Kreditderivateindizes iTraxx Senior Financials und iTraxx Subordinated Financials, lässt zwar den Schluss zu, dass die Rangstufe bei der Wertermittlung solcher Anleihen eine Rolle spielt. Doch die aktuelle Annäherung der Spreads der beiden Indizes ist auffällig und könnte auf das Versagen der Kreditderivate bei der SNS Reaal Bank zurückzuführen sein.
Abb. 06: Umsonst, nicht kostenlos – Absicherung von Nachrang [Quelle: Bloomberg]
Webfehler der Kreditderivate
Die Nationalisierung der SNS Reaal Bank offenbarte, nach Griechenland nun zum zweiten Mal, einen bekannten Webfehler der Kreditderivate (Credit Default Swaps, kurz CDS). Das Konstrukt eines CDS ist denkbar einfach: Das Derivat ermöglicht die Übertragung des Ausfallrisikos eines Schuldners. Sollte also ein Kreditnehmer oder Anleiheemittent seinen kreditvertraglichen Verpflichtungen nicht nachkommen, erstattet der Verkäufer eines CDS dem Käufer der Absicherung den entstandenen Schaden. Im Gegenzug erhält der Sicherungsgeber vom Sicherungsnehmer für die vertragliche Laufzeit des CDS eine festgelegte Prämie, den Credit Spread.
Aufgrund der Ähnlichkeit mit Versicherungskontrakten werden CDS oftmals als Kreditausfallversicherungen bezeichnet. Dennoch gibt es hier wesentliche Unterschiede, wie etwa den Umstand, dass ein Versicherungsnehmer – anders als ein Käufer einer CDS-Absicherung – üblicherweise im Besitz des versicherten Gegenstandes sein muss. Genau dies sorgte jedoch bei Kreditderivaten in der Vergangenheit für einigen Unmut. Denn nicht nur im Falle Griechenlands standen Hedge-Fonds im Verdacht, vom Schuldenschnitt der griechischen Staatsanleihen unbillig profitiert zu haben, indem sie sich gegen das Ausfallrisiko des hellenischen Staates absicherten, ohne gleichzeitig deren Staatsanleihen gehalten und so auch Kursverluste erlitten zu haben. Aufgrund der hohen Standardisierung der Kreditderivate ist ein Markt entstanden, der nach Handelsvolumen weit den der vergleichbaren Unternehmensanleihen übertrifft. Da die ursprüngliche Intention der Kreditderivate die Absicherung von bestehenden Kreditrisiken, also neben Anleihen insbesondere Krediten, war, führte das explosionsartige Wachstum des Marktes für CDS zu einem unerwarteten Problem. Denn anfänglich waren CDS so ausgestaltet, dass bei Eintritt eines zuvor festgelegten Kreditereignisses die betroffenen Kredite vom Sicherungsnehmer an den Verkäufer der Absicherung übertragen wurden und diese dafür eine Ausgleichszahlung in Höhe des Nennwertes erhielten. Eine genaue Bemessung der Kreditausfallschadenshöhe war daher nicht erforderlich, der Sicherungsnehmer war in jedem Fall schadlos gestellt. Diese als physische Einlieferung eines Kredites bekannte Vorgehensweise fand jedoch ihre Grenzen, als erstmals bei einem insolventen Unternehmen das Volumen der ausstehenden CDS das der zugrunde liegenden Kredite und Anleihen überstieg. Der einsetzende Ansturm auf die ausstehenden Schuldtitel trieb die Preise der Kredite dermaßen in die Höhe, dass die Wirkungsweise der Kreditderivate in Frage gestellt wurde. Beispielsweise standen im Falle des amerikanischen Automobilzulieferers Delphi, der 2005 Insolvenz anmelden musste, USD 20 Mrd. Kreditderivate Schulden in Höhe von nur USD 2 Mrd. gegenüber.
Wertlose Absicherung bei Enteignung
Um diesem Problem zu begegnen, wurde eine Lösung ersonnen, die im Schadensfall eine monetäre Ausgleichszahlung ohne Übertragung des Schuldtitels vorsieht, das sogenannte Cash Settlement. Dadurch ist es allerdings notwendig geworden, die Schadenshöhe zu beziffern, andernfalls ja keine Schadenskompensation erfolgen kann. Das kann man sich so vorstellen, dass eine Versicherung nach einem Autounfall entweder die Reparatur bezahlt oder im Falle einer Nichtinstandsetzung die voraussichtlichen Kosten auf Basis eines Kostenvoranschlags begleicht.
Darin liegt aber eine nicht zu unterschätzende Schwierigkeit. Denn während die für eine Instandsetzung notwendigen Autoteile und Arbeitsstunden einigermaßen objektivierbar sind, kann die Abwicklung oder Restrukturierung eines insolventen Kreditnehmers Jahre in Anspruch nehmen. Während dieser Zeit ist also die genaue Schadenshöhe unsicher und wird sich überdies für verschiedene Schuldtitel gegebenenfalls auch noch unterscheiden. Da die Sicherungsnehmer aber solange nicht auf ihr Geld warten wollen, wurde ein Verfahren eingeführt, bei der wie bei einer Auktion Angebot und Nachfrage nach Krediten eines ausgefallenen Schuldners gegenübergestellt und so ein fairer Preis für diese ermittelt wird. Diese Vorgehensweise ist als Credit Auction bekannt und der daraus resultierende Wert als Recovery. Es lässt sich sogar zeigen, dass die von den Auktionsteilnehmern trotz nachweisbar strategischem Verhaltens erzielte Recovery der Höhe nach eine gute Schätzung für den tatsächlichen Verwertungserlös nach Liquidation des Schuldners ist. In jedem Fall ist aber für das Zustandekommen eines Auktionsergebnisses das Vorhandensein der Schuldtitel naheliegend eine unabdingbare Voraussetzung.
Was aber, wenn diese nicht mehr existieren wie im Falle des niederländischen Finanzkonzerns SNS Reaal? Dann verfällt der CDS wertlos oder der Sicherungsnehmer muss sich eine einlieferbare Anleihe oder Kredit am Markt besorgen und dafür den Marktpreis bezahlen. Da die Verlautbarung des holländischen Finanzministeriums erstrangige Anleihen ausdrücklich von der Haftung ausnahm, handelten die verbleibenden Anleihen des Hypothekenfinanzierers nahe am Nennwert, so dass die CDS-Auktion entsprechend einen Recovery-Wert von 95,5 ergab – mit anderen Worten: Dem Verlust des gesamten eingesetzten Kapitals stand eine Schadenausgleich von nur 4,5 Prozent entgegen.
Verkauf von CDS vorteilhafter als Kauf Anleihe
Zusammenfassend steht der Fall SNS Reaal für einen Totalschaden bei nachrangigen Anleihen des Instituts, ohne dass eine gleichzeitige Absicherung durch einen CDS den entstandenen Verlust kompensierte. Dies ist insbesondere für Anleihehalter, die das Kreditrisiko über einen CDS absichern und die verbleibende Renditedifferenz zwischen Anleihe und CDS als laufenden Ertrag vereinnahmen, äußerst problematisch.
Das Risiko, dass ein CDS nicht greift, ist grundsätzlich jedoch kein Einzelfall. Es betrifft vielmehr alle Situationen, bei denen die Gläubiger über ein "Bail in" vom Staat faktisch enteignet werden. Auch im Fall des spanischen Finanzinstituts Bankia zeichnet sich ab, dass keine nachrangigen Schulden für eine Einlieferung in den CDS verfügbar sind. Wird für die Nachrangschulden wiederum ein Recovery-Wert anhand der erstrangigen Schulden ermittelt, gehen dessen Anleger voraussichtlich einmal mehr leer aus. Ähnlich prekär ist die Abspaltung eines Teils einer Bank als "Bad Bank". Hier bedarf es der Klärung, auf welches Nachfolgeinstitut der CDS dann referenziert. Einer Meldung des Informationsanbieters IFR zufolge arbeitet das über den Kreditderivatestandard herrschende ISDA an der Ergänzung des CDS-Kontraktes um ein neues Kreditereignis, das speziell Abschreibungen von Bankschulden zum Gegenstand hat. Bis dahin allerdings bleiben alle ausstehenden CDS riskant für den Versicherungsnehmer – und, im Vergleich zu einem Direktinvestment in eine Anleihe desselben Emittenten, vor allem wirtschaftlich attraktiv für den CDS-Verkäufer.
Autor:
Michael Hünseler, Head of Credit Portfolio Management, Assenagon Asset Management S.A.
[Bildquelle: © mekcar - Fotolia.com]
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Die europäischen Bankenunion darf aus Sicht der Deutschen Bundesbank nicht dazu führen, dass die Gemeinschaft unmittelbar die Kosten der Abwicklung oder Restrukturierung einer Bank übernimmt. Vizepräsidentin Sabine Lautenschläger forderte, selbst nach Einrichtung einer gemeinsamen Bankenaufsicht und einer Abwicklungsbehörde sollten die Nationalstaaten nicht gleich aus der Haftung entlassen werden.
Zudem warnte Lautenschläger davor, bei der Bankenregulierung der von angelsächsischer Seite favorisierten Leverage Ratio eine wichtige Rolle zu geben. Die Einführung von Eigenkapitalanforderungen auf den Besitz von Staatsanleihen hält sie "mittelfristig" für sinnvoll.
Die Europäische Zentralbank (EZB) ist nach den Worten ihres Vizepräsidenten Vitor Constancio vom deutlichen Inflationsrückgang im Euroraum überrascht und wird das Tempo dieser Entwicklung genau verfolgen. Auf Basis erster Daten aus Deutschland zeichnet sich allerdings für Mai bereits ein spürbar höherer Preisauftrieb ab.
"Der Inflationsrückgang ist sicherlich schneller als wir erwartet haben. Die April-Zahl war überraschend", sagte Constancio bei der Vorstellung des jüngsten Finanzstabilitätsberichts in Frankfurt und kündigte an: "Die Geschwindigkeit des Rückgangs ist etwas, was wir jetzt genau beobachten werden." Der EZB-Vizepräsident verwies darauf, dass das mittelfristige Ziel der EZB eine Inflation von knapp 2 Prozent sei, das allerdings nur mittelfristig und nicht jeden Monat erreicht werden müsse.
Im April war die Inflationsrate von 1,7 auf 1,2 Prozent gefallen. Für Mai erwarten die von Dow Jones Newswires befragten Volkswirte einen Anstieg auf 1,4 Prozent. In Deutschland ist die am harmonisierten Verbraucherpreisindex gemessene Inflation von 1,1 auf 1,7 Prozent gestiegen.
Der Finanzsektor der Eurozone ist nach Einschätzung der Europäischen Zentralbank (EZB) derzeit so sicher wie zuletzt vor zwei Jahren. Wie aus dem aktuellen Finanzstabilitätsbericht der EZB hervorgeht, führt die EZB das hauptsächlich auf ihre Zusage zurück, im Rahmen ihres OMT-Programms notfalls unbegrenzt Staatsanleihen von Problemländern zu kaufen. Diesem Versprechen könnte das Bundesverfassungsgericht demnächst aber seine Wirksamkeit nehmen.
Nach Aussage der EZB hat sich der Stress im Finanzsektor des Euroraums deutlich verringert. Messgrößen, die die Spannungen innerhalb des Bankensektors messen, deuten nach ihrer Aussage darauf hin, dass der systemische Stress den niedrigsten Stand seit zwei Jahren erreicht hat. "Die Politik der EZB, vor allem das Programm über Outright Monetary Transactions (OMT), welches das wahrgenommene Restrisiko eines Euro-Zusammenbruchs eliminiert hat, ist dabei der entscheidende, wenn auch nicht einzige Punkt gewesen", heißt es in dem Bericht wörtlich.
Bisher beruht die Wirkung des OMT einzig und allein auf der Erwartung der Märkte, dass die EZB im Zweifelsfall unbegrenzt Staatsanleihen eines Staates kaufen würde, dessen Anleihezinsen sie für ungerechtfertigt hoch hält, weil sie zum Teil auf der Erwartung beruhen, dass dieser Staat aus der Eurozone ausscheidet.
Klar ist schon jetzt, dass Bundesbankpräsident Jens Weidmann der EZB dieses Recht bestreiten wird, wenn er am 11. und 12. Juni als Sachverständiger vom Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe angehört wird. Wie aus bereits bekannt gewordenen Dokumenten hervorgeht, steht es der EZB nach Weidmanns Überzeugung nicht zu, über die Zusammensetzung des Euroraums zu entscheiden. Außerdem kritisiert er eine zu große Nähe der geplanten OMT-Käufe zur verbotenen Staatsfinanzierung.
Beobachter rechnen nicht damit, dass das Gericht die Staatsanleihekäufe generell als unrechtmäßig bezeichnen wird. Sie halten es aber für möglich, dass es mehr Mitentscheidungsbefugnisse für den Deutschen Bundestag oder quantitative Beschränkungen fordern wird. Die Glaubwürdigkeit des EZB-Kaufversprechens würde dabei deutlichen Schaden nehmen, was die Finanzstabilität beeinträchtigen könnte.
Trotz enttäuschenden Mini-Wachstums im ersten Quartal sieht das Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) die Konjunktur im Aufwand. Die Berliner Forscher sagen für das zweite Quartal hierzulande ein Wachstum von 0,3 Prozent gegenüber dem ersten Quartal voraus. Zwischen Januar und März hatte das BIP nur 0,1 Prozent zugelegt.
"Die Industrie hat ihr Tief zu Jahresbeginn überwunden", sagt DIW-Konjunkturchef Ferdinand Fichtner. Im Winterhalbjahr war die deutsche Wirtschaft geschrumpft. Nach dem strengen Winter erwarten die Berliner Konjunkturforscher für das laufende Quartal außerdem merkliche Impulse aus der Bauwirtschaft.
"Die Dienstleistungsbranchen profitieren vom kräftigen privaten Verbrauch", so DIW-Deutschlandexperte Simon Junker. Es gebe zudem keine Anhaltspunkte für eine Schwäche auf dem Arbeitsmarkt: "Der Beschäftigungsaufbau wird anhalten, wenngleich mit nachlassendem Tempo". Auch die Löhne dürften weiter kräftig zulegen und den Konsum anschieben. Sorgen machen den Volkswirten hingegen die nach wie vor fallenden Investitionen der Unternehmen, die das Wachstum belasten.